Auf “Modern Individual”, dem for kurzem erschienenen ersten gemeinsamen Longplayer der drei libanesischen Musiker Jad Atoui, Jawad Nawfal und Sharif Sehnaoui, beschleicht einen immer wieder das Gefühl, etwas Unberechenbares braue sich zusammen. Vor einem unruhigen Hintergrund aus Rattern, Knacken und schrill rauschendem Feedback irren bereits in den ersten Minuten hohe Sinustöne durch den Raum, kollidieren mit metallisch klingenden Objekten und lassen mal perkussive, mal quietschend Sounds entstehen, springen weiter in den nächsten Track, wo sie zwischen allerlei Gerumpel eine noisige Brodelstimmung entfachen. Wird dieses immer in Bewegung begriffene, eher trockene und zugleich kraftvolle Soundgebilde irgendwann explodieren oder implodieren?
“Modern Individual” ist das Werk dreier Musiker, denen man ihr Händchen für Improvisation und in jedem Fall für spontan entworfene Narrative ohne Längen anmerkt, und alle drei sind im künstlerischen Dialog erfahrene Kollaborateure in unterschiedlichen Bereichen experimenteller Musik. Sehnaoui, bekannt als Mitbegründer des in den libanesischen Bergen stattfindenden Irtijal-Festivals ebenso wie als Meister der Improvisation mit elektrischen und akustischen Gitarren, bewegt sich mit Gruppen wie dem ‘A’ Trio und Calamita irgendwo in Grenzbereichen von Freejazz und Noiserock. Auch Jad Atoui, der als Klangkünstler aus einer ganz anderen musikalischen Richtung kommt und vor allem für seine Biosonics bekannt ist, in der die Fotosynthese und andere “Verhaltensweisen” von Pflanzen in kompositorische Strukturen übersetzt werden, hat sowohl im Libanon als auch in seiner zeitweise zweiten Heimat New York mit zahlreichen bekannten Musikerinnen und Musikern (John Zorn, Laurie Anderson, Anthony Seyhoun u.v.a.) zusammengearbeitet. Jawad Nawfal, auch bekannt unter dem Namen Munma, ist mittlerweile einer der renommiertesten Producer elektronischer Musik des Nahen und Mittleren Ostens. Gleichwohl mehr für seine Soloarbeiten bekannt, gibt es neben den hier öfter thematisierten Tasjiil Moujaheed eine ganze Reihe an Kollaborationen, die zum Teil auf seinem eigenen kleinen Label erscheinen. Ich erwähne diese Dinge nicht nur, um die drei Musiker vorzustellen, sondern auch deshalb, weil es die Stimmigkeit des halborganisch anmutenden Klanggebildes auf dem gemeinsamen Album über alle unterschiedlichen musikalischen Herangehensweisen hinweg erklären kann.
Die anfangs genannte Unberechenbarkeit der Musik, die natürlich in unruhigeren Momenten wie im von atemlosem Hecheln und knarrigen Saiten geprägten “Sends and Returns” besonders ins Auge fällt, offenbart sich einerseits in abrupten Brüchen, die die Szenarien der einzelnen Stücke vermeintlich neu anordnen, aber auch in allerlei falschen Fährten. So denkt man an vielen Stellen, das zentrale musikalische Motive sich wiederholen, doch bei genauem Hinhören ist dies nur dem Anschein nach der Fall. Dies fällt besonders auf in den propellernden Sounds des noisigen “Public Outburst”, in der cinemstischen Spannung inklusive filmreifer Zikaden im Titeltrack, aber auch in der Beschaffenheit der ausladenden noisigen Rauschdröhnung, die das zehnminütige “Shift the Basis of Differentiation” einleitet. In seiner wandlungsvollen episodischen Struktur – nach dem Austoben des verauschten Lärms tastet sich ein angejazztes Saitenspiel in den Vordergrund, irgendwann, nach einer Passage undefinierbaren Klapperns und Gluckerns, überführt ein orgelartiger Sound das Stück in eine halllastige, verrauschte Welt, in der sich alles zu einer zombifizierten Hypnotik steigert – könnte das Stück eine EP für sich ausfüllen.
Gerade solche Stücke, die zumindest den Verfasser dieser Zeilen anregen, sie im Geiste weiterzuspinnen, sind immer ein Indiz, dass ein gemeinsames musikalisches Konzept noch weitergeführt werden könnte und sollte – im Falle des Trios wäre dies auf jeden Fall wünschenswert, und eine internationale Community improvisierter Echtzeitmusik wäre ihnen dankbar. In der einen oder anderen Form wird man die drei oder einigen von ihnen aber garantiert noch zusammen zu hören bekommen. (U.S.)
Label: Ruptured