GREY MALKIN / FOGROOM: Shoreline Ritual

Wäre “Shoreline Ritual”, das erste gemeinsam aufgenommene Album das Schotten Grey Malkin und des Deutschen Fogroom, ein Film, so wäre es wahrscheinlich einer dieser Streifen, die einen mit ihren geheimnisvollen atmosphärischen Bildwelten ungemein in den Bann zu ziehen vermögen, auch wenn man wahrscheinlich nur sehr bedingt sagen könnte, was sich in dem Film und seinen von diffusen Andeutungen lebenden Szenenfolgen eigentlich ereignet.

Die beiden Musiker – man mag sie Komponisten, Klangkünstler oder in einem Fall auch Multiinstrumentalisten nennen – bewunderten schon länger das Werk des jeweils anderen, vielleicht weil das Hauntologische, das Aufspüren verhuschter Geister in den Nischen musikalischer Settings und anderer nicht immer imaginärer Orte, ein gemeinsames Element im Werk der beiden ist, das gleichzeitig auch genügend Unterschiede aufweist, wenn man die folkige Seite Malkins mit den Wurzeln Fogrooms in der elektronischen Musik vergleicht.

Nach Fogrooms Tape “The Browning Vortex”, das wir als spannende Geisterarbeit in einer merkwürdigen Heterotopie beschrieben, kam es zu einer persönlichen Korrespondenz, und schon bald stand die Idee zu einer gemeinsamen Arbeit. Bedenkt man die Vorliebe der beiden für alles verhuscht-gespenstische, dann wundert es nicht, dass sie recht vage Ideen zum Ausgangspunkt nahmen, statt sich ein elaboriertes Konzept an den Haaren herbeizuziehen. Beide teilen eine gewisse Liebe für das Wasser, für das Meer und seine Küsten, die sie folglich als groben Schauplatz für ihre noch im Entstehen begriffene Geschichte auswählten, und wie von selbst passierte es, dass dieser Schauplatz, der in den Vorstellungen der beiden eigentlich eher etwas Heilsames hatte, zum Ort seltsamer, dunkel melancholischer, vielleicht sogar unheilsamer Vorkommnisse und Herausforderungen wurde. Geschichten von Verlust und halb vergessenen Träumen, von Begegnungen im Nebel der Dämmerung an irgendeiner verlassenen Küste tauchen auf und verschwinden wieder vor dem Auge des Betrachters, sobald dieser nach ihnen zu greifen versucht.

Vielleicht ist es die verfremdete und wahrscheinlich gesamplete männliche Stimme im einstimmenden Auftakt “As it Began”, die mich auf den Filmvergleich brachte – in den ersten Minuten des Albums jedenfalls ereignet sich einiges: ein subtiles Rauschen, das sich bald als Brandung entpuppt, eine Melodie auf einem einsamen Piano, Glöckchen und allerhand klingelndes dazu, dass eventuell von einen Saiteninstrument stammt, eine eher raue Keyboardfläche und die Ansage, dass irgendwo an einer Küstenlinie jemand vermisst wird. Wie viel kann man daraus ziehen?

Auch in den folgenden Stücken wird stets eine intensive Spannung gewahrt, die nicht nur, aber durchaus auch durch ein stets variiertes Klangmaterial gewinnt – ein Aspekt der umso mehr beeindruckt, da auf diesem Album wohl keine akustischen Instrumente verwendet wurden, bzw nur in gesampleter Form zu hören sind. “The Coast” lässt scheinbar akustisches und Vintage-Synthes, die Erinnerungen an späte Coil aufkommen, helle Klänge und sehnsuchtsvoll melancholische Melodien entstehen, bei denen einem bewusst wird, das auf der anderen Seite des Meeres wieder eine andere ferne Küste liegt, die ein Sehnsuchtsort sein kann. “Ghosts in our transmissions, a distress signal ” heißt es in den Liner Notes, und natürlich muss man in der von allerhand Störgeräuschen begleiteten Radioübertragung daran denken. “A Certain Sense” lässt sein geheimnisvolles Soundmaterial tremolieren und zittern, doch dann bringt ein dezenter Takt Bewegung in die eher sanfte Szenerie, und eine angenehme Melodie (eine Stimme? Eine Gitarre?) setzt dem Ganzen die Krone auf. Vor diesem Hintergrund erscheint die wiedereinsetzende knarrige Rezitation wie von einer geisterhaften Aufnahme zu stammen, die jemand irgendwo an einem verlassenen Künstenstreifen gefunden hat.

Metallophonische Soundtupfer, vibrierende Synthies, wellenförmig wiederkehrende Avantgardetitate aus besseren Zeiten, später so etwas wie die ausladend gestrichenen Saiten eines Cellos oder Kontrabasses – all dies macht aus “The Old Dream” einen verträumten Tanz in Zeitlupe. Das Stück wirkt wie ein retardierendes Moment in einer klassischen Tragödie, bevor sich all die aufgeladene Spannung im Titeltrack zuspitzt und entlädt: Aggressiver grollt hier die Brandung, stürmisch erscheinen die durchaus gefühlvollen Streichersounds, die bedrohlich näher kommen, während es aus allen Richtungen zittert und flirrt. Dass Aufruhr im Anmarsch ist, merkt man immer mehr, es paukt lauter, bis das Stück in etwas beinahe Monumentales kulminiert. Allerlei Stimmen, zum Teil im Chor, meint man zu halluzinieren, doch dann geht alles ganz schnell, die Fata Morgana löst sich auf und nur die Violine und die Brandung bleiben.

Wenn sich im abschließenden kurzen “The Change” noch einmal alle Elemente kurz aufzubäumen scheinen, wird klar, dass die Situation nun eine veränderte ist und vor einem anderen Hintergrund stattfindet: Die Schwelle des Shoreline-Ritual ist überschritten und eine neue Zeit beginnt. P.S.: Das Album ist bisher digital erhältlich, gut informierten Quellen zufolge ist aber die Idee eines physischen Tonträgers noch nicht vom Tisch. (U.S.)