LUSTMORD – Interview

„There is a place/Within darkness/Beyond, between/Without name“

Brian Williams’ Projekt entstand in den Nachwehen der ersten Industrialgeneration. Seine Bekanntschaft mit Throbbing Gristle, SPK und Monte Cazazza ließ ihn zuerst noch in bester transgressiver Tradition atonale Klänge herstellen, bevor er sich weniger konfrontativer und atmosphärisch dichterer Musik zuwandte und dabei ein Genre erfand, das unglücklicherweise wenig originell mit Dark Ambient betitelt wurde, wobei Brian Williams’ Veröffentlichungen schon immer allzu enge Genregrenzen gesprengt haben und er (insbesondere in den letzten Jahren) das Spektrum seiner Klänge stark erweitert hat: Ob auf seiner Zusammenarbeit mit den Melvins auf „Pigs of the Roman empire“ oder aber auf dem letzten regulären Studioalbum „[Other]“, auf dem erstmals sehr offen elektrische Gitarren verwendet wurden – nie scheint er sich mit dem Status Quo zufrieden zu geben, zu sehr ist da das Interesse am Erforschen (es ist sicher kein Zufall, dass dieses Wort im folgenden Interview auch fällt) neuer Klänge.

 

? War es von Anfang an klar, dass es einen ganzen Zyklus von Veröffentlichungen rund um das „[Other]“-Album geben würde („ [The dark places of the earth]“, „[Beyond]“, „[Other dub]“, „[Transmuted]“) oder hat sich das erst nach und nach entwickelt?

Es war nicht wirklich vor der Veröffentlichung von „[Other]“ geplant, aber nachdem das Album herausgekommen war, dachte ich mir, dass ich ganz gerne eine zweite CD mit Ambientmixen machen würde. Ich hatte nicht geplant, dass es zwei Veröffentlichungen werden würden, aber es ist nicht so, dass ich –wenn ich an Tracks arbeite – sage: Der Track wird sechs Minuten lang sein, der wird zwanzig Minuten lang sein. Ich arbeite an einem Stück und erlaube ihm, sich natürlich zu entwickeln und zwar so lange, wie es notwendig ist. Als ich an den Ambientmixen saß, stellte sich heraus, dass ich ziemlich viel Musik hatte. Ich veröffentlichte also „[The dark places of the earth]“ und als  mir klar wurde, dass ich noch etliche Minuten übrig hatte, und zudem zwei der Tracks noch nicht gemixt hatte, beschloss ich, weiterzumachen.

? Würdest du sagen, dass es sich eher um Ergänzungen oder um Korrekturen handelt?

Ganz sicher nicht um Korrekturen. „[Other]“ war ein Experiment, da Gitarren eingesetzt wurden und andere Leute mitgemacht haben. Mit dem Ergebnis bin ich ganz zufrieden. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es ein voller Erfolg war; aber wenn man Alben macht, weiß man eigentlich immer erst sehr viel später, ob es funktioniert hat oder nicht. Ich weiß, dass es einigen nicht gefallen hat, dass Gitarren dabei waren, das ist aber auch ok. Ich wollte aber dann auch einige Ambientmixe in limitierter Auflage herausbringen.

? Hast du das Artwork, das du für die limitierten CDs gemacht hast – man sieht all diese kargen, trockenen Orte –  ausgewählt, weil die Musik darauf auch sehr reduziert ist oder war das nur ein Zufall?

Es war eine Mischung verschiedener Sachen. An dem, was du sagst, ist schon was Wahres dran. Die beiden Extraveröffentlichungen sind auch definitiv ein Paar. Die eigentlichen Bilder stammen aus der Wüste im Westen Amerikas. Es hatte mit Designüberlegungen zu tun und auch damit, dass wir Bilder nehmen wollten, die wir selbst bei verschiedenen Ausflügen gemacht hatten.

? Auch nicht schlecht.

Diese Urlaubsbilder als Artwork zu benutzen, ist eine nette Weise, persönliche Sachen mit anderen zu teilen.

? Kann ich mir vorstellen. Was etwas anderes: Du hast in der Vergangenheit gesagt, dass du die Sachen, die du für Filme machst und deine eigene Musik zwei unterschiedliche Dinge sind. In deinem letzten Rundbrief hieß es, dass du Sachen, die du für „The Crow“ und das Computerspiel „Unreal tournament III“ gemacht hast, in einige längere Ambientmixe integriert hättest. Ist das etwas Neues für dich?

So habe ich noch nicht darüber nachgedacht. Es ist in dem Sinne neu, dass ich es vorher noch nicht gemacht habe. Hier lag noch einiges an Material herum. Einiges kann ich nicht veröffentlichen, weil es mir nicht gehört, aber andere Sachen, die bei der Arbeit dafür entstanden sind, gehören mir. Ich arbeite selten mit alten Sachen, weil ich es nicht mag, zurückzugehen und mit altem Material zu arbeiten. Es ist so langweilig und ist nicht wirklich inspirierend. Bei den Sachen wollte ich aber schauen, ob man sie noch weiter erforschen kann, bevor man sie endgültig ad acta legt. Vielleicht wird das eine limitierte Veröffentlichung oder eine Veröffentlichung über iTunes. Es gibt da einiges, was ich nicht weiter verfolgt habe. Wenn man an seinen eigenen Sachen arbeitet, ist es seine eigene Sache, man kann in jede Richtung gehen bzw. in die, in die man will: Vielleicht will man den Leuten gefallen, vielleicht will man Geld verdienen – davon abgesehen, kann man machen, was man möchte. Wenn man aber für andere etwas macht, z.B. für einen Film, ist die Musik einfach eine Sache im Film. Mal schauen, was daraus wird, es ist ein Experiment. Manchmal funktionieren solche Sachen, manchmal nicht.

? Sind denn die Film- und Computersachen sozusagen nur dein Brotjob oder ist es mehr?

Ja schon. Es ist das gleiche Prinzip als wenn man einen 8-Stunden-Job hat. Na ja, ich muss nicht zur Arbeit gehen, weil ich es von Zuhause mache – es macht aber definitiv einen Unterschied aus, dass es ein kreativer Prozess ist. Es ist ähnlich wie das, was ich sonst tue. Und wer hat schon die Möglichkeit dazu, das zu machen, was er sonst so tut und dafür auch noch bezahlt zu werden? Aber was ich vorhin schon mal gesagt habe, es gibt da nicht eine klare Antwort, es ist eine Kombination von Dingen. Es ist hauptsächlich ein Job, den ich erledige und dann weitermache, aber es ist eben auch etwas Kreatives, das ich sowieso mache und das ein Teil von mir ist. Manchmal muss man die Sachen auch lediglich als Arbeit betrachten, weil die Projekte nicht sehr gut sind und der einzige Grund, warum man es macht, das Geld ist. Das ist ok. Man muss schließlich seine Rechnungen zahlen.

? A propos Rechnungen: Du hast mal im Lustmordforum gesagt…

Ich muss wohl aufpassen, was ich so sage. (lacht)

? …dass du manchmal wegen der ganzen illegalen Downloads etwas frustriert bist. Ich hatte vor einigen Jahren fälschlicherweise angenommen, das sei nur ein Problem gesichtsloser Mainstreammusik, aber da habe ich mich ziemlich getäuscht.

Wenn Leute deine Arbeit schätzen und Sachen herunterladen und sie sich anhören, kann das eine gute Sache sein, aber das Problem ist, dass es schwierig wird, neue Dinge zu veröffentlichen. Wenn man etwas veröffentlicht, muss man etwas daran verdienen, um mit dem Geld die nächste Sache rausbringen zu können. Schau dir „[Other]“ an. Daran habe ich auch zwei Jahre später noch nichts verdient. Früher haben die Leute ziemlich viel gekauft, jetzt nur noch sehr wenig. Die meisten Leute, die ich kenne, sind professionelle Musiker, haben Label und alle leiden ganz schön darunter. Ich sage jetzt nicht, dass man deswegen in Tränen ausbrechen sollte oder Mitgefühl zeigen muss, aber die Realität sieht eben so aus, dass diejenigen, die früher vom Musikmachen leben konnten, es jetzt kaum noch oder gar nicht mehr können. Früher war das so, dass Leute wie ich, die komische experimentelle Musik machen, sich einen Publikumsstamm aufbauen konnten: Meine ersten beiden Alben waren wenig bekannt, aber ich habe das Geld von den Verkäufen benutzt, um ein drittes und viertes zu machen und dann hatte ich einen gewissen Ruf. Heutzutage bringt man sein ersten Album raus, die Leute laden es runter ohne dafür zu bezahlen und man kann kein zweites Album mehr veröffentlichen. Das ist dann das Ende davon. Und das ist unglücklicherweise ein großes Problem.

? Ich habe vor einigen Monaten mit Andrew Liles gesprochen, der davon erzählte, dass er auf Tour mit Nurse With Wound australische Fans getroffen habe, die seine Arbeit so sehr schätzten, dass sie ihren Hund Liles genannt haben. Als er fragte, welche seiner Alben sie hätten, kam heraus, dass sie alles illegal runtergeladen hatten. Er war ganz schön sauer.

Früher konnte man 10,000 Alben verkaufen, heute sind es 1,000 oder 2,000. Man kann klarkommen, wenn man noch einen weiteren Job hat, aber oft ist es so, dass man dann keine Zeit mehr hat, Musik zu machen. Das ist frustrierend. Ich habe nie erwartet, reich zu werden. Wenn ich es wegen des Geldes machen würde, wäre meine Musik viel kommerzieller. Lustmord wird nie kommerziell sein und das ist in Ordnung. Ich mache das für mich. Ich habe Glück, dass es Leute gibt, die mich unterstützen und die mein Werk schätzen und bislang war es so, dass ich mit dem Gewinn des letzten Albums ein neues finanzieren konnte oder ich konnte in Equipment investieren. Ich habe gestern mit jemandem – ich werde jetzt keine Namen nennen –, der ein größeres Indielabel hat gesprochen und er meinte, sie hätten ziemliche Probleme über die Runden zu kommen. Ich denke, es wird irgendwann weniger Labels und Bands geben. Die Zeiten ändern sich.

? Du nutzt das Internet sehr intensiv…

Ja, Leute wie ich können viel einfacher mit anderen kommunizieren. Das ist ein ziemlicher Vorteil. Die Kehrseite ist, dass man mit zwei, drei Mausklicks die Musik runterladen kann. Ich weiß aber auch keine gute Antwort darauf. Wenn sich die Leute deine Sachen anhören, ist das ein Kompliment, aber wie man davon leben soll, weiß ich nicht.

? Heutzutage ist für jüngere Leute Musik nur noch eine Sache unter vielen.

Das ist ok.

? Ist das auch ein Grund dafür, warum du das Livealbum „Lustmord rising“ nicht mehr nachpressen wirst?

Ja, auf gewisse Weise schon. Das ist keine wütende Reaktion sondern einfach ganz pragmatisch gedacht. Vor zehn Jahren hätte ich mehr von der CD verkauft und ich hätte sie nachgepresst. Falls das Sinn ergibt, da das Album vor zehn Jahren natürlich nicht existiert hat. Aber du weißt, was ich meine.

? Natürlich. Es ist erstaunlich, wenn man sich frühere Verkaufszahlen anschaut.

Eine Band, deren Namen ich nicht nennen kann, hat vor 18 Monaten ihr Debüt veröffentlicht. Sie hatten ziemlich gute Kritiken, ihre Tour war ganz erfolgreich und sie haben insgesamt 10,000 Alben verkauft. Jetzt haben sie ihr zweites Album veröffentlicht, hatten auch wieder gute Rückmeldungen, haben eine große Tour gemacht, haben auch über myspace super Feedback bekommen und sie haben 2.000 Stück verkauft. Ich fange an, mich zu wiederholen, aber du hast die Frage gestellt. (lacht)

? Wir haben vorhin über dein Livealbum gesprochen. Wie bewertest du es aus der Distanz?

Aus meiner Sicht war es ein Erfolg. Ich habe mir das Album vor einem Jahr noch einmal angehört und fand, dass es ok war.

? Ich wollte noch ein paar Sachen zu spezifischen Tracks fragen. Auf „Carbon/Core“ gibt es dieses Stück „Born of cold light“ und ich habe mich gefragt, wo die verwendeten Choralsamples herstammen?

Ich weiß nicht genau, welches Stück das ist. Ich habe das Album seit Ewigkeiten nicht mehr gehört und kann mich nicht mehr erinnern, was ich alles benutzt habe.

? Wo wir gerade bei Gesang sind: Du hast ein neues Album namens „Word as power“ angekündigt, auf dem die Stimme eine größere Rolle spielen soll.

Ich habe schon seit langem Stimmen aufgenommen. Einer von vielen Einflüssen waren osteuropäische Gesänge: aus Georgien, Armenien, dem mittleren Osten, auch japanische Einflüsse. Nicht gregorianisch, eher prägregorianisch. Ich habe mit der Arbeit an dem Album schon angefangen. Diese Alben sind lange, bevor ich sie aufnehme, in meinem Kopf geplant. Ich habe schon weiblichen Gesang und hoffe, dass ich auch noch männlichen bekomme. Mit Gesang meine ich jetzt nicht Singen im herkömmlichen Sinn, eher Harmonien und so etwas.

? Glaubst du, dass das noch dieses Jahr veröffentlicht werden wird?

Ich bin mir nicht sicher. Ursprünglich dachte ich, dass es dieses Jahr rauskommt, aber andere Sachen haben mich etwas von der Arbeit abgehalten. Ich bin mir relativ sicher, dass ich es dieses Jahr fertig bekomme, aber du weißt ja, wie das mit Labeln funktioniert. Auch wenn ich es dieses Jahr fertig bekomme, dauert es ein paar Monate, bis es veröffentlicht werden wird.

? Wird das wieder auf Hydra Head rauskommen?

Ich denke. Bis jetzt macht es uns Spaß zusammen zu arbeiten. Ich mag ihren Vertrieb und ich schätze sie auch als Menschen. Momentan wüsste ich nicht, warum es nicht dort rauskommen sollte.

? Du hast noch ein weiteres [atmosphärisches Dub-] Projekt mit dem Namen Dread angekündigt. Weißt du schon, wann da etwas veröffentlicht werden wird?

Ich hoffe, dass dieses Jahr was rauskommt und wenn es nur eine 12″ ist. Es ist eine ziemlich alte Idee. Ich habe immer mal wieder an diesem Projekt gearbeitet. Es machen noch ein paar andere Leute mit und die müssen Zeit haben. Momentan sind die mit anderen Dingen beschäftigt. Es wäre schön, wenn mehr als eine Sache veröffentlicht würde. Ich arbeite einfach an Sachen und mache mir nicht allzu große Sorgen, wann die dann herauskommen.

? Lass uns noch kurz über deine Arbeit als Produzent reden. Du hast das erste Monte Cazazza-Album seit langem produziert. „The Cynic“ sollte ja vor Ewigkeiten auf Side Effects veröffentlicht werden.

Ja stimmt, das hatte ich ganz vergessen (lacht). Monte ist mit vielen anderen Sachen beschäftigt, mit Equipment usw. Eigentlich muss man sagen, dass es das erste Monte Cazazza-Album überhaupt ist, weil die anderen beiden Zusammenstellungen waren. Aber was hattest du noch einmal gefragt?

? Ich wollte wissen, wie die Arbeit an dem Album so war.

Es war toll. Monte hat einen gewissen Ruf und dieses Image. Er ist dafür bekannt, etwas irre zu sein, aber Monte ist ein sehr, sehr guter und enger Freund von mir. Er ist ein toller Typ und wir haben immer viel Spaß zusammen. Das Album soll auf Blast First (Petite) rauskommen. Aber das weißt du wahrscheinlich. Wahrscheinlich weißt du das Veröffentlichungsdatum auch vor mir (lacht). In zwei Monaten soll übrigens ein langes Interview mit Monte veröffentlicht werden.

? Mir fällt noch eine Sache ein. Auf der Wiederveröffentlichung deines ersten Albums auf Dark Vinyl als „A document…“ gibt es Bilder. Auf der Rückseite ist ein blutender Mann [der auf dem Original das Cover zierte] abgebildet. Du hast in Interviews oft deinen Abscheu Rassisten gegenüber zum Ausdruck gebracht. Ich habe erst vor ein paar Wochen zufällig festgestellt, dass das Foto einen Mann zeigt, der während der Bürgerrechtsbewegung bei den so genannten „Freedom Rides“ verletzt worden war. Wolltest du ein Statement abgeben, auch wenn es sehr indirekt war?

Bei meiner Arbeit und insbesondere bei meiner Musik finden sich immer Statements, die die meisten nicht verstehen. Manche erkennen es – wie du jetzt – erst viele Jahre später. Ich finde es interessanter, wenn sie als Textur da sind und nicht als etwas Offensichtliches. Ein großer Teil von dem, was ich mache, ist häufig nicht offensichtlich. Manch einer wird es nie verstehen, andere irgendwann. Das finde ich spannender.

? Du sagst, dass du ungern so direkt bist. Du wolltest mal vor Jahren ein Album machen, das sich sehr kritisch mit dem Christentum auseinandersetzen sollte. Hast du das aus eben diesen Gründen nicht weiterverfolgt?

Da gibt es viele Gründe, aber ich habe einfach nicht mehr die Notwendigkeit verspürt, das zu machen. Wenn Leute Christen sein wollen, ist das ok, das geht mich nichts an, sie können machen, was sie wollen. Was ich nicht mag, ist – und das bezieht sich nicht nur auf Christen –, wenn sie mir ihre Ansichten aufzwingen wollen. Ich habe sehr klare Ansichten, aber ich zwinge sie keinem auf. Ich will niemanden bekehren. Ich habe eine Meinung. Wenn man mich in Ruhe lässt, will ich keinen davon überzeugen, dass er Unrecht hat.

? Willst…

Nebenbei gesagt, haben sie natürlich Unrecht. (lacht)

(M.G., D.L.; Fotos: Bild 1: Tracey Roberts, Bild 3: Aina Okane für Shinto Studios)

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