ALI BALIGHI: Ghazale Vay

Manchmal wirkt Musik und Klangkunst am stärksten dann, wenn sie sich scheinbar widersprüchlicher Elemente bedient: Geräusche, die wie Naturereignisse klingen, treffen auf klassische Instrumente, die zugleich vertraut und verfremdet wirken. In Ali Balighis neuem Album “Ghazale Vay” wird genau dieses Spannungsfeld produktiv gemacht. Der aus dem Iran stammende Komponist und Klanggestalter, der derzeit in den USA ansässig ist, verbindet darin zusammen mit einem siebenköpfigen Weiterlesen

YAYOBA: Sensory Sensei

Bisweilen liegt die Besonderheit einer Musik weniger in großen Gesten als in der Art, wie kleinste Details ineinander greifen. Schon beim ersten Hören von Yayobas schon vor einigen Monaten erscheinenem Tape “Sensory Sensei” fällt auf, wie stark die einzelnen Bausteine nicht nur nebeneinanderstehen, sondern sich ineinander verschieben und so einen vielschichtigen, oft überraschenden Klangstrom Weiterlesen

RELAY FOR DEATH: Mutual Consuming

2019 erschien auf The Helen Scarsdale Agency unter dem Titel „On Corrosion“ eine Mammutveröffentlichung: Auf 10 in einer Holzbox  zu findenden Tapes versammelten sich Künstler von Alice Kemp über Himulkalt bis zu She Spread Sorrow mit je einem Album. Einige der Alben wurden in den letzten Jahren als Einzeltonträger wiederveröffentlicht, etwa der Beitrag von Gary Mundys sehr produktivem Projekt Kleistwahr oder das Weiterlesen

LAY LLAMAS: Hidden Eyes of a Ghost Jungle

Vieles spricht heute eher dagegen, musikalische Arbeiten gerade aus den experimentierfreudigeren Bereichen als Reise oder Klangreise zu beschreiben, v.a. aufgrund der Überstrapaziertheit solcher Begriffe im musikjournalistischen Diskurs. “Hidden Eyes of a Ghost Jungle”, die vor einigen Wochen erschienene LP des sizilianischen Projektes Lay Llamas, mutet allerdings tatsächlich wie ein musikalischer Reiseroman an, der einen langsam und Weiterlesen

ANIQO: The Call

Manchmal kündigt sich Veränderung nicht laut an, sondern flüsternd, als leiser Impuls, dem man nur folgen kann, wenn man bereit ist, alles Vertraute hinter sich zu lassen. “The Call”, der neue Song der Sängerin und Mehrfachinstrumentalistin Aniqo handelt von genau so einem Moment, einem inneren Aufbruch, der keiner klaren Richtung folgt, aber doch Weiterlesen

SALFORD ELECTRONICS: After The Rain

David Padbury hat sich jahrzehntelang am eher rabiaten Feld aus Power Electronics und Industrial abgearbeitet. Seit einigen Jahren nimmt er – im Projektnamen auf seine Heimatstadt verweisend – als Salford Electronics auf. Wies das 2017 auf Tesco veröffentlichte Album „Communique No. 2“ noch Spuren von Industrial auf, so näherten sich die zahlreichen (hauptsächlich digital verfügbaren)  Alben und Tracks allerdings stärker einem tendenziell dunklen, Weiterlesen

THE SPECTRAL LIGHT: Obliteration

Das neue Album “Obliteration” von The Spectral Light, bestehend aus Amanda Votta, Neddal Ayad und Jon Free, ist ein düsteres, raues Werk, das sich mit fünf ausgedehnten, jeweils um die zehn Minuten langen Stücken gänzlich der Langsamkeit, Tieftönigkeit und atmosphärischen Verdichtung verschreibt. Alles wirkt hier abgründig und gespenstisch – eine Musik zwischen bröckelndem Lärm, zäher Wucht und einer zerfransten, melancholischen Schönheit. Weiterlesen

SARY MOUSSA: Wind, Again

Es gibt Musik, die nicht nach Einheit strebt, sondern gerade aus dem Zusammenprall unterschiedlicher Elemente ihre Spannung bezieht. “Wind, Again”, das neue Album von Sary Moussa, das der hier als Sazspieler auftretende Musiker zusammen mit einigen der großen Namen der libanesischen Experimentalszene – Julia Sabra (Piano, Hammond-Orgel), Paed Conca (Klarinette), Abed Kobeissi (Buzuq), Sary Moussa (Saz), Fadi Tabbal (Gitarre) und Pascal Semerdjian (Schlagzeug) – eingespielt hat, ist Weiterlesen

Aber hin und wieder passiert etwas Überraschendes: Interview mit Graeme Revell

Als das Lineup für das kürzlich stattgefundene VOD-Fest in Friedrichshafen bekannt gegeben wurde, da waren viele überrascht wie erfreut, als klar wurde, dass Graeme Revell auftreten würde. Die Relevanz, die insbesondere das Frühwerk SPKs für die Industrial Culture musikalisch, visuell und konzeptionell hatte, ist wohl kaum zu überschätzen. Die weitere musikalische Kariere Revells ist weithin bekannt: „In Flagrante Delicto“ von „Zamia Lehmanni“ ebnete ihm den Weg zu einer Kariere als Komponist in Hollywood, der um die 100 Soundtracks komponierte. Weiterlesen

IBIZA MOVE: #1

Rauschen, Knistern, Stimmenfetzen, die wie aus einem Traum auftauchen und wieder verschwinden – “Ibiza Move #1″ entfaltet sich wie ein akustisches Geflecht aus Fragmenten, Zufällen und präzise gesetzten Eingriffen. Nichts wirkt zufällig, auch wenn vieles auf den ersten Eindruck so erscheint. Jedes Detail scheint an seinem Platz, ob brodelnde Texturen, marschierende Rhythmen oder warme Pianoloops. Hinter dieser dicht verwobenen, in Echtzeit entstandenen Weiterlesen

SELENE HELIOTROPE: Monorama

Ein stets wiederkehrendes, tastendes Umkreisen von Motiven, Gedanken und Zuständen scheint das Prinzip zu sein, das sich nicht nur in der musikalischen Struktur, sondern auch in der inhaltlichen Ausrichtung des Albums “Monorama” von Selene Heliotrope spiegelt. Ursprünglich 2011 bei Reverb Worship erschienen, wird das Werk nun erstmals zum Weiterlesen

DANGOLOID: Onehundred Lockgrooves On A White 10”

Der deskriptive Titel dieser Veröffentlichung macht sofort klar, was der Hörer hier bekommt. Das Kölner Projekt Dangoloid, das 2023 mit „The Flight Of The Schemtterling” “den Sound von Eisenbahntunneln, Heizungskellern, Kühlgeräten und Montagehallen aus seinen Oszillatoren krault[e]“, stellt sich in eine lange Tradition: Weiterlesen

DEEP FADE: Oblivion Spell

Es gab in den vergangenen Jahrzehnten eine Menge an Platten, die Bestandsaufnahmen apokalyptischer Niedergangsszenarien in wunderschönen harmonischen Klängen und mit Texten, die auch nach herkömmlichen Standards als poetisch verstanden werden können, auszudrücken wussten, und in vielen Fällen konnte und kann das auch wunderbar funktionieren. Natürlich lassen sich manche Bilder von Zerfall und Untergang ebenso gut und bisweilen besser durch eine Weiterlesen

FORTUNATO DURUTTI MARINETTI: Bitter Sweet, Sweet Bitter

Der gebürtige Italiener und nun in Toronto ansässige Daniel Colussi nimmt seit einigen Jahren unter dem Namen Fortunato Durutti Marienetti auf und hat gerade sein viertes Album veröffentlicht. Man kann ihn irgendwo in einem Spannungsfeld von Rock und Jazz verorten. Im Zentrum ist sicher seine Stimme, der es mühelos gelingt, zwischen Lakonie, Wärme und gezügeltem Pathos zu changieren. Weiterlesen

DUCHAMP: The Wild Joy

Was bleibt vom Klang, wenn man alles Narrative, alles Bildhafte, alles allzu Identifizierbare entfernt? Auf ihrem neuen Album entwirft DuChamp ein musikalisches Szenario, das weniger auf konkrete Bedeutung als auf Präsenz und Empfindungen zielt. “The Wild Joy” ist ein Werk, das sich an der Grenze zwischen Struktur und Auflösung mit großer Konsequenz der Aufmerksamkeit auf den Moment widmet. Weiterlesen

ALLYSEN CALLERY: King Neptune 7″

In einer Zeit, in der der Begriff Folk vieles bedeutet und noch mehr bedeuten kann, bleibt Allysen Callery eine Musikerin, die sich mit stiller Konsequenz auf das Unaufdringliche, das Intime, das Kleine und gleichsam Dichte konzentriert. Ihre Lieder sind oft Miniaturen, aber nie bloß Skizzen. Seit ihrem Debüt hat sich die aus Rhode Island stammende Sängerin und Gitarristin eine beständige Nische in der Welt alternativer Weiterlesen

CHARBEL HABER / NICOLÁS JAAR / SARY MOUSSA: Crashing waves dance to the rhythm set by the broadcast journalist revealing the tragedies of the day

Die Luft ist schwer, mit Drama aufgeladen – so beschreibt es ein Gedicht von Charbel Haber, dessen Verse dem neuen Album von Haber, Nicolás Jaar und Sary Moussa als Titel und atmosphärische Grundlage dienen. Es zeichnet das Bild einer Welt im Umbruch, in der Realität und Fiktion verschwimmen, Nachrichten zur Groteske werden, und das Alltägliche von einer latenten Gewalt durchdrungen ist. Die in ein an William Turner erinnerndes Licht getauchte Weiterlesen

V.A.: Lost Coast: Some Visionary Music from California, 1980–1992

Kalifornien ist wohl der amerikanische Staat, der am meisten quasimythisch aufgeladen ist, der „golden state“, dessen Geographie in besonderem Maße Versprechen des amerikanischen Traums enthielt. Man denke an die Küste, die die Lyrik Robinson Jeffers’ prägte. Es ist sicher dann auch kein Zufall, dass zahlreiche gegenkulturelle Bewegungen in all ihrer Ambivalenz – Weiterlesen

BELLUCCI: Seta

“Seta”, das Debütalbum von Bellucci, einem neuen, wohl in Berlin ansässigen Projekt der Künstlerin Paola Lesina, ist eine bemerkenswerte Veröffentlichung, die auf den ersten Höreindruck fast verschlossen anmutet und in ihrer Vielschichtigkeit nur schwer zu fassen ist – ein Werk, das sich gängigen Kategorisierungen weitgehend entzieht, dabei aber v.a. duch seine präzise Gestaltung beeindruckt. Weiterlesen