NICO: The Frozen Borderline

Der lange Drogenabusus’ Nicos spiegelte sich (auch) immer in den teils skurrilen Veröffentlichungen wider – hier hatte eine Künstlerin die Kontrolle über Distribution ihres Werkes verloren. Ob Liveaufnahmen aus Westeuropa als hinter dem damals noch existierenden eisernen Vorhang aufgenommen ausgegeben  (“Behind The Iron Curtain“), ob Liveaufnahmen als Studiomaterial angepriesen wurden (“Hanging Gardens, postum“) oder eine Flut teils mediokrer Livemitschnitte in den Handel kam – trotz allen darauf enthaltenen beeindruckenden Momenten drohten diese Veröffentlichungen doch etwas, die Werke, auf denen NICOS Status basiert, unter sich zu begraben – allein schon quantitativ.

Bei “The Frozen Borderline“ handelt es sich allerdings um eine essentielle Veröffentlichung, denn diese Doppel-CD vereint zwei der drei wichtigtsten NICO-Alben, nämlich ihr erstes richtiges Soloalbum “The Marble Index“ von 1968 wie auch den Nachfolger “Desertshore“ von 1970. Nicht berücksichtigt wurde das  auf Island veröffentlichte “The End“ (das die Trilogie der Meisterwerke 1974 abschloss). Was auch heute nach mehreren Jahrzehnten auffällt, ist wie frisch und zeitlos die Aufnahmen klingen, ganz so, als seien sie in einem eigenen Universum aufgenommen worden. Nicos tiefer Gesang und ihr Harmoniumspiel werden von John Cale mit einer Reihe von Sounds und Instrumenten begleitet (man höre sich die Geräusche bei “Lawns Of Dawns“ an oder das fast schon majestätische “Evening of Light“). Was die CD auch für Besitzer der Einzelalben interessant macht, ist das Bonusmaterial, so z.B. die bisher unveröffentlichten Stücke “Sagen die Gelehrten“ (das trotz apokalyptischem Text (“Plötzlich sieht der Himmel aus wie Blut“) fast schon Popcharakter hat) und „Rêve Réveiller“.  Zudem finden sich (durchaus spannende) alternative Versionen und zum ersten Mal die vollständig instrumentierte Version von “Nibelungen“.

“Dersert Shore“ beginnt mit dem vielleicht beeindruckendsten Stück “Janitor Of Lunacy“ (das auf den im Swimmingpool ertrunkenen ROLLING STONE Brian Jones verweist), es gibt das finstere “Mütterlein“, um nur zwei der Stücke herauszugreifen. Als Ergänzung finden sich Demoversionen, auf denen kurze Einwürfe NICOs zu hören sind.

Was wäre passiert, wenn NICO einmal – als eine der wenigen Berufenen und Befugten – JOY DIVISION gecovert hätte? NICOS Musik ist zeitlos, auch wenn sie einem mit jedem Ton die eigene begrenzte Zeit vor Augen führt; beide Alben sind schwarze Monolithen, die man als Willen zum (eigenen) Untergang lesen kann (John Cale wird zitiert mit den Worten: “The Marble Index is an artefact, not a commodity…you can’t sell suicide.”), die aber vielleicht auch lediglich nur eine adäquate musikalische Umsetzung der menschlichen Existenz darstellen.

(M.G.)