TOR LUNDVALL – Interview

1998 erschien ein Album, das Tony Wakeford mit dem bisher als Maler bekannten Tor Lundvall aufgenommen hatte: Der herbstlichen Ausrichtung entsprechend, fanden sich auf “Autumn Calls“ fragile Kompositionen, auf denen elektronische  ambiente Passagen mit melancholischer akustischer Instrumentierung kombiniert wurden. Seitdem hat Tor Lundvall sich alleine den restlichen Jahreszeiten gewidmet, dem Frühling (“The Mist“), Sommer (“Under the Shadows of Trees“) und Winter (“Ice“), wobei das Herbstliche seiner Arbeit wahrscheinlich am nächsten stehen dürfte. Er hat nach dem Zusammenbruch von World Serpent auf Strange Fortune ein neues Zuhause gefunden und  mit “Last Light“ ein vokallastiges Album sowie mit dem jüngst erschienenen “Empty City“ ein primär instrumentales Werk aufgenommen. All seinen (musikalischen wie die Alben schmückenden visuellen) Arbeiten ist eine seltsam entrückte Atmosphäre gemein, die sich vielleicht am besten mit dem englischen Adjektiv “uncanny“ beschreiben ließe. Lundvall selbst hat vor einigen Jahren seine Musik als Ghost Ambient bezeichnet, was man sicher auch auf seine teils an Munch erinnernden Gemälde beziehen kann, die von schemenhaften, manchmal maskierten Gestalten und Wesenheiten bevölkert werden.

Du scheinst schon mit sehr jungen Jahren aufgetreten zu sein. Wie kann man sich die Musik vorstellen?

Ich habe mit einigen Freunden von der Highschool eine Handvoll Auftritte in den späten 80ern gemacht. Es war ziemlich spaßig, obwohl die Musik hauptsächlich aus Coverversionen von Synthiepopstücken bestand und wir nicht viel eigenes Material hatten. Ich verstehe mich nicht als Musiker, dessen Schwerpunkt in Auftritten liegt. Es bedürfte schon recht viel um mich wieder auf die Bühne zu bringen.

Ist Passing Through Alone” eine gute Zusammenfassung deiner frühen Versuche Musik zu machen? Wird es jemals eine Wiederveröffentlichung geben?

Mein erstes Album spiegelt eine musikalische Richtung wieder, die ich glücklicherweise nicht weiter verfolgt habe. In den späten 80ern und frühen 90ern war meine Musik fast im wortwörtlichen Sinne geteilt. Ich fühlte mich hin- und hergerissen zwischen meinem Ambient-Material und rhythmischeren Popsongs. Erst 1995 verschmolzen die beiden Richtungen zu etwas Einzigartigem.

“Passing Through Alone” ist im Großen und Ganzen ein Popalbum. Auch wenn ich viele Stunden in dieses Projekt gesteckt habe, war das Resultat letztlich eine eher unreife und naive Sache. Ich denke darüber nach, es als Kuriosität wiederzuveröffentlichen, aber erst dann, wenn meine richtigen Aufnahmen wieder das Licht der Welt erblickt haben.

Nach “Autumn Calls” hast du nie wieder solch eine extensive Zusammenarbeit gemacht. Gibt es Pläne für so etwas (mit Tony Wakeford oder anderen) and was hältst du ganz allgemein von der Zusammenarbeit mit anderen?

Ehrlich gesagt bin ich nicht ein allzu großer Fan von so etwas, es sei denn, ich habe eine enge Beziehung zu der betreffenden Person. Tony und ich haben darüber geredet, wieder zusammen etwas aufzunehmen und ich habe ihm sogar schon ein paar ungefähre Ideen geschickt. Ich denke schon, dass es einen Nachfolger zu “Autumn Calls“ geben wird, der in den nächsten Jahren veröffentlicht wird, aber mit anderen Musikern ist augenblicklich nichts geplant.

Ich habe mal in einer Rezension deiner Musik geschrieben, dass es den Eindruck erweckt, als seien Worte primär dazu da, eine gewisse Atmosphäre zu erzeugen, nicht um Geschichten zu erzählen. Würdest du da zustimmen?

Die Worte helfen ganz sicher die Atmosphäre eines Stückes zu verbessern, allerdings gibt es auch eine Geschichte. Meine Texte haben eine sehr persönliche Bedeutung, auch wenn die übergeordneten Themen manchmal etwas abstrakt sind.

Diese Frage hängt mit der letzten zusammen. In The Modern Weird Tale schreibt S. T. Joshi über Thomas Ligotti, dass im Werk dieses Autors der Plot verglichen mit der Stimmung sekundär ist. Fühlst du da eine gewisse Affinität? Bist du mit der Arbeit dieses Autors vertraut und wenn das so ist, kannst du irgendwelche Gemeinsamkeiten erkennen?

Ich denke, dass die Erschaffung einer Stimmung und einer Vorstellung von einem Ort für mich weitaus wichtiger ist, als irgendetwas anderes, wenn ich aufnehme. Ich kenne einige Kurzgeschichten von Ligotti und bin von dem, was ich bisher gelesen habe, recht beeindruckt, aber ich müsste noch mehr lesen, um zu sehen, ob es sehr starke Ähnlichkeiten zwischen uns gibt.

Ich glaube, du selbst hast den Begriff “Ghost Ambient” erfunden, um deine Musik zu beschreiben. Hast du dich jemals damit unwohl gefühlt, wie deine Musik in der Vergangenheit bezeichnet wurde?

Eigentlich habe ich mich eher darüber aufgeregt, als vor einigen Jahren eine Galerie  den “Stil” meiner Gemälde als “post-modern gothic” bezeichnet hat. Ich verabscheue Kategorisierungen jedweder Art, obwohl ich denke, dass es wohl unvermeidlich ist und einem gewissen organisatorischen Zweck dient. Es ist interessant, dass ich den Begriff “Ghost Ambient“ während meines ersten Interviews mit eurem Magazin vor sechs Jahren geprägt habe. Ich hatte das Gefühl, dass es besser sei, wenn ich mir etwas Eigenes ausdächte als wenn mich jemand anderes in eine Schublade steckt.

Wenn wir schon über Thomas Ligotti und Geister sprechen – ist deine Arbeit von unheimlichen Geschichten beeinflusst?

Sicher wurden einige meiner früheren Gemälde teilweise von übernatürlichen Geschichten und Geistergeschichten beeinflusst, insbesondere von denen von M. R. James. Ich muss Tony Wakeford dafür danken, dass er mich auf diesen Autoren hingewiesen hat. Lovecraft, Hawthorne und Poe waren in der Vergangenheit auch nicht von unbeträchtlichem Interesse.

Nachdem du dich mit den Jahreszeiten beschäftigt hast, scheint “Last Light“ ein persönlicheres Album zu sein. Welche zentrale Idee steckt dahinter?

“Last Light” handelt hauptsächlich von Themen der Isolation. Ich habe mich darangemacht ein Album zu schaffen, dass versucht, meine Gefühle und meine Wahrnehmung der Welt zu dem damaligen Zeitpunkt widerzuspiegeln. Die ursprüngliche Inspiration kam dadurch, dass ich mir Lichtmuster anschaute, die sich zu verschiedenen Tageszeiten durch mein Schlafzimmer bewegten und außerdem von meiner Sicht aus meinem Schlafzimmerfenster heraus. Ich denke, dass dieses Album bisher eines meiner stärksten ist und ich bin darauf stolz.

Waren deine früheren Alben in einer Art imaginärer Landschaft angesiedelt (manchmal konnte man in der Entfernung Städte sehen), scheint “Empty City“ – wie der Titel schon nahe legt – in einer (imaginären) Stadt angesiedelt zu sein. Was hältst du von Stadt und Land?

Ich denke, dass sich das Land und städtische Gegenden gegenseitig nähren. Ich habe “Empty City” kürzlich als eine Reflektion darüber, wie Natur und von Menschen erschaffene Ruinen nebeneinander existieren, bezeichnet. Die meisten Menschen versuchen ihre städtischen Kreationen von der Natur zu trennen, aber das ist unmöglich. Neue hybride Landschaften und Umgebungen werden permanent erschaffen, während die zwei Welten unvermeidlich Teil voneinander werden.

Würdest du sagen, dass die Figuren in deinen Gemälden, die “einfach durch das Rätsel und die Stille der Landschaft gehen”, wie du es einmal formuliert hast, eine Art Erscheinung sind?

In vielerlei Hinsicht sind sie das. Es ist alles “nur eine Illusion”, um eine passende Formulierung von ZOVIET FRANCE zu übernehmen.

Manchmal scheinen die Figuren Masken zu tragen. Würdest du sagen, dass du damit auf Halloween Bezug nimmst (ein Titel wie “The 31st“ könnte darauf hinweisen)?

Halloween und der Herbst  waren für mich immer etwas Besonderes, deswegen spiegeln einige meiner Gemälde Kindheitserinnerungen dieser Zeit wider. Manchmal tragen die Figuren Masken, meistens werden sie jedoch so dargestellt, wie sie wirklich sind.

Man findet – wie schon gesagt – sehr häufig Figuren in deinen Gemälden. Glaubst du, dass sie Trost in der Landschaft finden oder willst die die Isolation der menschlichen Existenz betonen? In einigen deiner neueren Gemälde gibt es Figurengruppen.

Es ist interessant zu beobachten, wie sich die Gemälde über die Jahre hinweg entwickelt und verändert haben. Manchmal gibt es eine Vielzahl von Figuren und manchmal verschwinden die Figuren komplett. Meistens sind meine Figuren mit ihrer Umgebung in Harmonie. Ich denke, sie spiegeln auf gewisse Weise mein Leben wider. Ich lebe relativ zurückgezogen, und trotzdem fühle ich mich mit der Natur nicht allein. Ich denke, wir sind alle isoliert. Selbst dann, wenn wir mit anderen zusammen sind, sind wir letztendlich allein.

In deinen Gemälden findet sich meistens etwas Rätselhaftes, vielleicht sogar etwas Bedrohliches. Dennoch drückst du die Bedrohung kaum jemals so direkt aus, wie auf dem Gemälde “Summer Ends”, das sich auf dem ersten L’ORCHESTRE NOIR-Album befindet. Siehst du das ähnlich?

Meine erfolgreichsten Gemälde sind die, auf denen ein Gefühl der Bedrohung ganz subtil ausgedrückt wird. Was du über “Summer Ends“ sagst, ist ganz interessant. Die baumartige dämonische Figur, die die Ankunft des Herbstes darstellt, ist bestimmt eines meiner bedrohlicheren Bilder. Das Mädchen im Vordergrund, das den Sommer darstellt, ist allerdings auf seltsame Weise ruhig, während ihre Welt verschwindet. Ich habe das Gemälde kürzlich verkauft und ich werde es vermissen. Ich bin froh, dass es ein gutes Zuhause gefunden hat.

Trotz der bedrohlichen Aspekte gibt es in fast allen deinen Bildern Ruhe. Ist das die andere Seite?

Ich denke, dass es immer eine Balance dieser Kräfte in meiner Arbeit gibt. Der Zuschauer mag ein Gefühl von Friedlichkeit haben, auch wenn es unter der Oberfläche nicht so friedlich ist. Das gleiche Prinzip findet man auch bei der kompositorischen Verwendung von Licht und Farbe. Es gibt immer eine konstante Spannung zwischen Licht und Schatten.

Was genau fühlst du, wenn du dir deine Gemälde anschaust?

Ich fühle, dass alles einen Sinn ergibt. Ich bin dann am glücklichsten, wenn es mir gelungen ist, eine Welt zu erschaffen, in die ich hineinkriechen und in der ich leben möchte.

Würdest du denn sagen, dass deine Musik eine Illustration deiner Gemälde ist und umgekehrt?

Ganz bestimmt.  Mit der Zeit sind diese beiden Richtungen meiner künstlerischen Tätigkeit untrennbar voneinander geworden.

Du hast einmal erwähnt, dass du dich Malern wie William Turner oder Edward Munch nahe fühlst. Ich frage mich, was du von einem Maler wie Francis Bacon hältst?

Ich habe Bacons Arbeit immer bewundert, ganz besonders die Art, wie er mit Farbe umgeht. Ich werde die Retrospektive seiner Arbeit in Washington D.C. in den späten 80ern nie vergessen. Sie hat mich als jungen Künstler sehr beeindruckt. Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass Teile seiner Bildlichkeit etwas zu viel für meinen Geschmack sind, aber seine Komposition und seine Verwendung von Farbe werden immer faszinierend bleiben.

Du schätzt die Arbeit von ZOVIET FRANCE. Was hältst du davon, dass Andy Eardley, Mark Spybey und Robin Storey wieder zusammen gefunden haben und als  THE REFORMED FACTION neues Material veröffentlichen werden?

Ich war richtig aufgeregt, als ich das gehört habe. Ich liebe sie und fast alles das, was sie allein und als Kollektiv gemacht haben. THE REFORMED FACTION ist da keine Ausnahme. Ich habe ihr Debüt direkt beim ersten Hören gemocht, besonders den tollen Track  “Snapper Bird”. Ich hoffe auch, dass Andy Eardleys Aufnahmen als DELAYER veröffentlicht werden, da es ein tolles Projekt ist.

In der zweiten Ausgabe des Sol-Magazins hast du über deine Malerei und deine Einstellung gegenüber dem Modernismus gesprochen. Lassen sich diese Sätze als künstlerisches Manifest verstehen?

Ich habe nicht wirklich ein künstlerisches Credo abgesehen davon, dass ich meinen eigenen Weg gehen will, unabhängig davon, was andere sagen. Die Sachen, die ich im Sol-Magazin gesagt habe, sind weitgehend immer noch gültig, auch wenn ich jetzt bezüglich der akademischen Welt mit zunehmendem Alter etwas moderater geworden bin. Ich habe durch meinen modernistischen Unterricht viel gelernt, trotz vieler Sachen, mit denen ich nicht übereinstimme.

Wenn du dich auf ein Medium konzentrieren müsstest, würdest du die Malerei wählen?

Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten, aber ja, ich denke, letztendlich würde ich die Malerei wählen. Die Malerei ist meine erste Liebe und die reinste Form meines künstlerischen Ausdrucks. Bei Musik wird man schon mal abgelenkt.

Was sind deine Pläne?

Wie immer hoffe ich, dass ich mit so wenigen Störungen von außen wie möglich weitermachen kann. Was Veröffentlichungen anbelangt, sollte eine limitierte MCD namens “Yule” noch pünktlich dieses Jahr herauskommen. Ich habe auch die Absicht meine ersten an den vier Jahreszeiten orientierten Alben 2007 auf Strange Fortune wiederzuveröffentlichen, wobei die Form der Veröffentlichung noch unklar ist. Ein neues Album mit Gesang, das den Arbeitstitel “Sleeping and Hiding” trägt, ist auch in Arbeit, wobei es noch nicht ganz fertig ist.

  • M.G. & D.L. & S.L. –

torlundvall.com