V.A.: John Barleycorn Reborn. Dark Britannica

Das Weblabel Woven Wheat Whispers ist eine Anlaufstelle für legale Downloads verschiedenster Arten von Folk. Als meines Wissens erster “greifbarer“ Tonträger erscheint ein Album unter einem Projektnamen, der vielen etwas sagen sollte: John Barleycorn, ein Gedicht über die Herstellung (und Wirkung!) von Alkohol, ist (auch) immer wieder als Restspur heidnischer Riten gedeutet worden, das legt das Zyklische, der darin beschriebene Kreislauf von Geburt und Tod nahe.

Es mag eines der am häufigsten interpretierten Traditionals sein (von TRAFFIC und STEELEYE SPAN bis zu FIRE AND ICE und STONE BREATH). Im Konzept, das im Booklet ansatzweise dargelegt wird, wird betont, dass das auf den ersten Blick seltsam (anachronistisch) anmutende Adjektiv “dark“ nicht musikalisch zu verstehen sei, sondern in einer ähnlichen Weise, wie in “Dark Ages“ (mit dem in etwa der Zeitraum des frühes Mittelalters beschrieben wird), also eine Zeit, über die verhältnismäßig wenig bekannt ist, ebenso wie ­– wie postuliert wird – über die hier vorgestellte Musik der Künstler, die bisher noch nicht so sehr vom Folk-Revival haben profitieren können. Man findet Musik, die versucht, ursprüngliche Traditionslinien zu erkunden, aber gleichzeitig auch experimentelle Elemente integriert. Das Projekt ist also  – um ein inflationär gebrauchtes Wort zu gebrauchen – “ambitioniert“. Das der Compilation den Titel gebende Lied wird insgesamt dreimal vertont. Ansonsten orientieren sich eine Vielzahl der Künstler an traditionellem Material (MARY JANE interpretieren z.B. “Twa Corbies“, Traditionals werden ebenfalls u.a. von Charlotte Greig & Johan Ashterton, PUMAJAW oder VENEREUM ARVUM vertont), andere der Beteiligten verwenden eigene Texte (z.B. THE STORY oder Tony Wakefords von M.R. James beeinflusste THE TRIPLE TREE), man hört Folk Rock von MARY JANE, von Drehleier getragene Stücke, die sich dem Drone annähern (DROHNE), Melancholisches (SAND SNOWMAN), Experimentelleres (XENIS EMPUTAE TRAVELLING BAND, ENGLISH HERETIC), melodischen Folk (z.B. von der großartigen Sharron Kraus) und auch Unerwartetes (wie z.B. von Martyn Bates, der sich ja schon vor langem auf den drei Alben mit Mick Harris “Murder Ballads“ widmete und dessen Stimme normalerweise unverkennbar in ihrer Fragilität und Entrücktheit ist, aber auf seinem Beitrag hier nur eine einsame Flöte erklingen lässt).  Weitere Beteiligte sind z.B. der ehemalige DEAD CAN DANCE-Mitstreiter Peter Ulrich, QUICKTHORN (bei denen STONE BREATH-Mitglied Prydwyn mitsingt). Manches ist  etwas arg rückwärtsgewandt (THE OWL SERVICE, DAMH THE BARD, der vielleicht unfreiwillig komisch wirkt), aber alles in allem ist das eine gerade wegen ihrer Heterogenität innerhalb gewisser Konstanten tolle nie langweilende Veröffentlichung. Auch wenn die Rezension leicht enumerativen Charakter hat (das mag in der Natur dieser Veröffentlichung liegen), sollte dennoch (oder gerade deswegen) deutlich geworden sein, dass innerhalb der Gattung Folk  eine Menge möglich ist. Rob Young schreibt im WIRE (bezogen auf den Folk, der Anfang der 70er virulent wurde) sinngemäß, dass der Terminus British Psychedelic Folk am besten dazu geeignet sei, das Spannungsfeld zwischen Bewahrung und Fortschreiten, Land und Stadt, Akustischem und Elektrischem, Selbstgesponnenem und Visionären zu beschreiben. Diese Reibung zwischen diesen (vermeintlichen) Gegensatzpaaren zeigt sich auch auf “John Barleycorn Reborn“ und das ist durchaus als Lob zu verstehen.

Wer im sonst informativen Booklet Informationen zu den Künstlern und einzelnen Tracks vermisst, kann sich ein mehrseitiges pdf-file als Ergänzung von der eigens eingerichteten Website herunterladen – ebenso wie einen dritten Teil, auf dem weitere 33 (!) Tracks zu finden sind (soviel wie auf den ersten beiden CDs zusammen – ein erneuter Verweis auf das Zyklische?).

(M.G.)