Das Schöne am sogenannten „Denver Sound“ ist, dass die gut zwei handvoll Exponenten, die man unter diesem Sammelbegriff zu fassen sucht, alle sehr unterschiedlich klingen. Wenn man neben der lokalen noch die musikalische Komponente mit einbringen will, dann klingen weit gefasste Genrekonstruktionen wie „Dark Alternative Hillbilly Gothic“ und dergleichen derart nach Begriffsungetüm, dass man sich schon gar nicht mehr vor der Klischeefalle zu fürchten braucht. Neben dem unberechenbaren Yankee-Satiriker Jay Munly, dem bleichen Mahner David Eugene Edwards (SIXTEEN HORSEPOWER, WOVEN HAND) und der zwischen Folklore und tiefgründigem Pop changierenden Kal Cahoone (TARANTELLA) zählt auch Slim Cessna zu den Protagonisten dieses subkulturellen Netzwerks. Wie bei den anderen geht seine Karriere auf die mittlerweile schon legendären DENVER GENTLEMEN zurück, seit einem Jahrzehnt betreibt er sein eigenes Bandprojekt SLIM CESSNA’S AUTO CLUB, bei dem Munly wiederum der zweite Sänger ist.
Bislang fielen S.C.A.C. für mich immer etwas hinter die anderen Denver-Bands zurück, denn ich hielt sie für eine etwas derbe Party-Variante von Woven Hand und Co., von der sicher gute Konzerte zu erwarten sind, der aber eine vergleichbare Tiefe fehlt. Nachdem ich so auch dem 2008 erschienenen Longplayer „Cipher“ nur eine halbe Chance gab, lässt mich die aktuelle, gut halbstündige EP „Buried Behind the Barn“ meine Vormeinung deutlich revidieren. Doch zunächst zu den Fakten – „Buried“ ist kein neues Werk der Band, sondern eine bereits 2004 auf einer limitierten CDr zusammengetragene Ansammlung von Outtakes und Alternativ-Versionen früherer Stücke, die jüngst von Bob Ferbrache (u.a. HUMAN HEAD TRANSPLANT, BLOOD AXIS) überarbeitet und nun auf Jello Biafras Alternative Tentacles-Label zugänglich gemacht wurde. Cessna und seine Mannschaft gehen mit „Cranston“ gleich in die Vollen und führen einen unmissverständlich ein in den Stil und die Lieblingsmotive der sechs Cowboys: Zu einem hypnotisch angeschlagenen Banjo und einem punkigen Polkarhythmus singen Cessna und Munly eine schwarzhumorige Moritat über einen anscheinend archetypischen Stoff der besungenen Grenzstadt – um Huren und Mörder geht es, und um einen wiedergängerischen Mahner mit der Bibel in der Hand, der die Bewohner zum reumütigen Busgebet auffordert. Ob die religiöse Ermahnung auch bei den Cessna-Fans fruchten wird, wäre eine interessante Frage – in seiner Rohheit dürfte mich das Stück wohl eher zum Pogo animieren als zur reumütigen Innenschau. Es gibt weitere Stücke mit Schmiss, „Shady Lane“ beispielsweise ist eine ebensolche Polka-Punk-Ballade – mit apokalyptischem Pathos wird die Figur eines charismatischen, mönchischen Outsiders, eines lonesome Rider im Büßerhemd zum Leben erweckt. Der Song steigert sich nach und nach zum Crescendo, und alles gipfelt in einem von „Glory, Glory, Halleluja“-Geschmetter begleiteten Tusch. Einige der Songstexte wechseln beinahe im Sekundentakt zwischen Tragik und reißerischem Melodrama, derweil die Musik vorübergehend in bewusst dick aufgetragener Wehmut versinkt, nur um danach noch kompromissloser und fatalistischer nach vorn zu preschen. Diese Bandbreite lässt dann auch rockige Elemente wie etwa bei „Jackson“ zu. Im Unterschied zu den Rockstücken auf dem Vorgängeralbum, die mir immer etwas zu sehr nach Autoradio und Vollgas klangen, geht es hier eher schleppend zur Sache. Gerade die richtige Gangart, um sich voller Verzweiflung seinen Lebenshunger aus Leib und Seele zu singen, bevor das Stück mit einer 60s-Hammondorgel sein schwermütiges Ende findet. Auch besinnliche Momente gibt es, wobei die Schmonzette „Angel“ aufgrund von Cessnas Jodeln vielleicht nicht jedem gefallen mag. Passend sind dann Zeilen wie diese gar zu rührende Liebeserklärung: „The Angel sang her sweet refrain/Her lovely name can heal the lame/Ten thousand men they felt the same/My angel came/For me she sang.“ Angesichts der augenzwinkernden Grundattitüde des Ganzen sind natürlich auch dies Cultural Studies im besten Sinne, aber mit der typischen Pedal-Steel-Gitarre ist es auch mir dann etwas zu nah am Schlager-Country. Das Gegenstück dazu findet sich im finalen „Earthquake“, das vom Archetypus der leidenschaftlich begehrten Verführerin handelt und dem Bluesrock huldigt.
Die Frage, wie ein an manchen Stellen doch recht puritanisches Religionsverständnis, dass zunächst einmal ohne deutlich erkennbare Brechung auskommt, bei einem Publikum Anklang findet, das eine solche Religion schätzungsweise nur in Ausnahmen praktiziert, hat sich gerade im Fall von Cessnas Kollegen Woven Hand schon macher gefragt. Man erklärt das gerne über den vielzitierten “Exotenbonus” und die Distanz des Rezipienten, der die in den Songs präsentierte Welt als nicht die seine erkennt. Damit verbunden natürlich über die Lust am Schwelgen in derber Düsternis. Im Falle von S.C.A.C., bei denen sich solche Motive ebenso finden, fällt die Erklärung vielleicht noch weniger schwer, denn in Cessnas Welt verschmelzen Apokalyptik und der Glaube an Prädestination mit der Lust auf starken Fusel, mit der Freude am Tanz mit Provinzmädchen und der Wertschätzung ehrlicher Männerfreundschaften. Die Schwarzromantik von Woven Hand wird hier oftmals an der Grenze zur Räuberpistole präsentiert, und das mit voller Absicht und selbstverständlich durchweg gelungen. Die gegenkulturelle Relevanz von S.C.A.C. liegt unter anderem darin, dass eine solche Variante des viel beschworenen “anderen”, “unbewussten” Amerika nicht nur ungeheuren Spaß machen kann, sondern auch selten ist, mag man es nun “weird” nennen oder sonstwie.
Dass „Buried Behind the Barn“ mehr eine Art Sammelsurium darstellt, vergisst man schnell, denn es gebärdet sich so kohärent wie ein richtiges Album, und zugleich so facettenreich, wie ein gelungenes sein sollte – ein beeindruckendes Stück Americana, irgendwo in der Mitte zwischen Calvinismus, Robert Crumb und Rodeo, und ideal zum Kennenlernen der Band. (U.S.)