VCMG: Ssss

Dass in den Medien nach Bekanntwerden der Zusammenarbeit von Martin Gore und Vince Clarke schnell von einer „Sensation“ die Rede war, hatte (natürlich) erst einmal weniger mit der Musik als mit den Beteiligten, insbesondere ihrem Verhältnis zueinander zu tun und natürlich mit der enormen zeitlichen Distanz zwischen der (gemeinsamen) Arbeit am ersten Depeche Mode-Album und dem neuen Technoprojekt VCMG. In den dazwischen liegenden drei Dekaden haben Martin Gore und Vince Clarke mit durchaus unterschiedlichem Instrumentarium und einer fast gänzlich anderen Ästhetik elektronische (Pop-)Musik auf hohem Niveau produziert und Generationen von Musikern beeinflusst – aus dem Genre Techno fallen einem sofort Derrick May oder Kevin Saunderson ein. Interessanterwiese hat Clarke nach eigenem Bekunden Techno allerdings erst spät kennen und schätzen gelernt und zwar anlässlich eines Remixes für Plastikman und dann intensiver über das Portal Beatport, Gore dagegen ist schon seit Jahren Connaisseur minimalen Technos und immer wieder als DJ tätig. Die Erwartungshaltung war dementsprechend groß und letztlich kann das zu zwei Problemen führen: Man lobt das Album eventuell nur deswegen, weil man das restliche Oeuvre der Beteiligten schätzt oder aber man ist besonders kritisch, schraubt die Erwartungen erst recht hoch.

Nach mehrmaligem Hören von „Ssss“ fallen zwei Dinge auf: Zum einen findet sich auf dem Album keine wirklich aktuelle Clubmusik , wobei sich das in Amerika, wo sowohl Clarke als auch Gore leben, etwas anders verhalten mag. Das Album klingt – zumnindest im deutschen Kontext – verspätet. Gleichzeitig fehlt aber das gewisse Maß an spielerischer, nostalgischer Verklärung; man hat nicht den Eindruck, hier würden bewusst Retroelemente eingesetzt – dabei hat zum Beispiel Gore auf den letzten beiden Depeche Mode-Alben bewiesen, wie so etwas funktionieren kann. Der Kollege von der ZEIT bezeichnet die Stücke als „traditionell, fast archaisch“, kann sich aber dennoch vorstellen, dass die Tracks „perfekt“ ins Berghain passen würden. Ich wage zu widersprechen.

Zum anderen ist „Ssss“ für ein elektronsiches Album (!) sehr spannungsarm bzw. besitzt keine erkennbare Dramaturgie (es kann natürlich die Frage gestellt werden, ob dies zwingend notwendig ist). Aber (auch dadurch bedingt) ist das Album nur eingeschränkt in einem „Home Listening“-Kontext tauglich – interessanterwiese im Gegensatz zu vielen anderen Techno-Alben (die aber häufig von (hauptberuflichen) DJs stammen, die sowohl auf die Clubtauglichkeit als auch auf die Möglichkeit des „Home Listenings“ achten (können)). Dazu trägt auch bei, dass die –vielleicht erwarteten und eventuell deswegen bewusst nicht eingesetzten – Popelemente fast gänzlich fehlen. „Ssss“ ballert von Anfang an ziemlich los: Man sucht den großen Effekt und vergisst dabei etwas die Nuancen. Letztlich ist das Label Minimal Techno, das manche Rezensenten ins Feld geworfen haben, auch nicht ganz zutreffend, da auf den meisten Tracks Sound auf Sound geschichtet wird.

Vielleicht ist aber einfach das größte Problem, dass diese Herangehensweise nicht auf Albumlänge funktioniert, denn auf dem begrenzten Raum einer EP fallen die angesprochenen Schwächen nicht so auf und gerade die auf „Single Blip“ veröffentlichten Remixe von Matthew Jonson und Wolfgang Voigt zeigen, was man mit dem Material eigentlich alles machen kann.

(J.M.)

Label: Mute