COMUS: Out Of The Coma

Wenige Bands haben solch singuläre Alben erschaffen wie Comus mit dem 1971 veröffentlichten „First Utterance“. Den Einfluss, den dieses Album auf eine Reihe auch für diese Publikation wichtige Künstler hatte, ist an vielen Stellen dokumentiert. Die Themen, an denen sich Comus auf „First Utterance“ abarbeiteten, standen im scharfen Kontrast zu der „love and peace“-Attitüde der Hippies. Dass Comus Ende der 60er u.a. mit Velvet Underground-Covern begannen, passt schon, denn auch die New Yorker hassten die Blumenkinder (bei ihrem ersten Auftritt nach über 30 Jahren – auf Gnostic Dirt als „East of Sweden“ veröffentlicht – coverten Comus dann auch „Venus in Furs“).

Comus präsentierten auf den sieben Stücken ihres Debüts nicht Liebe, sondern u.a. Virilität, die Unberechenbarkeit, das Gewalt(ätig)e des Sexus. Bezeichnenderweise beginnt „Diana“, das erste Stück des Albums, mit dem Wort „lust“ – und die Göttin der Jagd wird von der Personifizierung der Begierde verfolgt. Im „Song to Comus“ beschwört die Band John Miltons Figur als „chastity chaser virile for the virgin’s virtue” und „hymen hunter“. „The Bite“ handelt vom Lynchen eines Christen, auf „Drip Drip“ begibt sich Hauptsongschreiber Roger Wootton in die Rolle eines Mörders, der den ausblutenden Leichnam seines Opfers vergräbt und wenn Wootton in der Persona des Mörders beim Abschneiden des Körpers „I’ll be gentle“ singt bzw. schreit, dann klingt das auch heute nach vier Jahrzehnten noch bedrohlich. Der Verweis auf die Vergangenheit war hier nicht nostalgisch-verklärend (etwas, das sich heutzutage in einem ganz anderen Kontext, nämlich auf den (so genannten) Mittelaltermärkten zeigt), sondern hier waren unberechenbare Kräfte und Kreaturen am Werk. Die fast völlig akustisch arbeitende Band schaffte es, mit Akustikgitarre(n), Geigen, Flöten, Perkussion und E-Bass eine ans Atonale grenzende Musik voller Dynamik zu erzeugen, die von einer Wucht und Vehemenz war und von kaum jemandem sonst erreicht wurde. Dass der Erfolg ausblieb, mag nur bedingt verwundern und dass das sehr konventionelle zweite 1974 in leicht anderer Besetzung veröffentlichte Album für die heutige Inkarnation der Band keine Rolle mehr spielt, ist nicht verwunderlich, denn obwohl „To Keep From Crying“ im direkten Vergleich mit anderen Folkalben der Zeit problemlos bestehen kann, so hatten Comus mit „First Utterance“ die Latte was Originalität und Experimentierfreude anbelangt, doch so hoch gelegt, dass Stücke wie „Down (Like a Movie Star)“ einfach nur schrecklich betulich und bieder klangen.

Die fast vierzig Jahre später entstandenen und fast in Originalbesetzung eingespielten ersten neuen Aufnahmen knüpfen dann auch ganz explizit musikalisch als auch ästhetisch (das Cover wird von der gleichen Figur, die von Wire-Autor Rob Young einmal als „napalmed orphan“ bzw. „emaciated homonculus“ beschrieben wurde, geziert) an das Debüt an. Dabei reflektiert Wootton in den Linernotes über die Wahl der Sujets für „Out Of The Coma“, knüpft das Titelstück doch an „The Prisoner“ (von „First Utterance“) an: Der psychisch Kranke (wie eben auch Comus selbst) erwacht nun aus dem Koma („Then slowly, I awaken. Out of oblivion, my dormant soul is shaken“), mit leicht dissonanten Gitarren beginnt das Stück, heftiges Atmen illustriert die Unruhe des Patienten, Kongas setzen ein, Geigen leiten zum Refrain über und es ist immer noch kaum fassbar, wie der glasklare Gesang von Bobbie Watson (der man ihr Alter weder ansieht noch –hört) einen Kontrapunkt zu Woottons Vocals setzt. Die Zeilen „Like a volcano – from the depths erupting“ könnten auch eine Beschreibung seiner Stimme sein. „The Sacrifice“ beschreibt die Opferung der „fairest maiden“ zur Sicherung von Fertilität und guter Ernte. Bobbie Watson beginnt das Stück als auserwählte Jungfrau, untermalt vom Fingerpicking der Gitarre, Flöten kommen hinzu, Wootton setzt als Hohepriester ein, das Stück steigert sich analog zur Furcht der Auserwählten. Hier erinnert die Beschreibung der verängstigten zu Opfernden an „Song to Comus“ und „Diana“. Die Geigen untermalen den zweistimmigen Gesang und auch hier intoniert Wootton Zeilen wie „The sacrifice; venerate the Master“ mit einer Vehemenz, dass man ihn fürchten kann, während die Geigen von Colin Pearson an der Grenze zur Dissonanz gespielt werden. „The Return“, von Glenn Goring verfasst, klingt weniger rabiat als die beiden ersten Stücke, Jon Seagroatts Blasintsrumente sorgen fast schon für eine pastorale Atmosphäre.

Den Bogen zur Vergangenheit spannt der lange erste Teil von „The Malgaard Suite“. Die zwei Teile dieses Stückes waren eigentlich als zweites Album nach „First Utterance“ geplant und wurden mangels Interesse der Plattenfirma nie im Studio aufgenommen. Von den zwei Teilen wurde lediglich der erste ein paar Mal live gespielt und die hier zu findende Aufnahme ist scheinbar die einzig noch existierende. Sieht man von der Klangqualität ab, ist natürlich allein die Vorstellung, einen Teil eines verlorenen Albums zu hören, aufregend. In den Linernotes wird der Track, der zwischen ruhigen psychedelischen Momenten und dem Hysterischen, das auch das erste Album durchzog, schwankt, als „diabolical Prokofiev“ bezeichnet.

Vergangenheit und Gegenwart treffen auf diesen Album also zusammen, wobei man natürlich einwenden kann, dass fast 40 Jahre später die Motivation des Songschreibens eine andere ist, was die schon angesprochene Reflexion über den Prozess des Schreibens verdeutlicht, aber das ändert nichts an der Kraft und Vitalität der drei neuen Stücke. Wer zudem Comus seit ihrer Reunion live erlebte, der hatte nicht den Eindruck einer von eine Rentnercombo gespielten Retroshow. Roger Wootton wies in einem Interview darauf hin, dass man sich vor den ersten Auftritten nach fast vier Jahrzehnten ein wenig wie eine Tributeband fühlte, die das Material einer fremden Band erlernen müsse. Die Konzerte zeigen aber, dass dieses Stadium längst überwunden ist und Comus sich ihre Songs auf eine Weise (wieder)angeeignet haben, die schier unglaublich ist.

Hier wird deutlich, dass der Begriff des Acid Folk, der natürlich seinen Ursprung bei Herrn Hoffmanns Sorgenkind hat, zumindest bei Comus auch anders erklärt werden kann, denn das Wort Acid bezeichnet auch andere als die aus dem Mutterkorn synthetisierte Säure und Comus spielen Musik, die sich in den Kopf des Hörers ätzt und tiefe Ein- und Abdrücke hinterlässt.

M.G.

Label: Coptic Cat

Label: Rise Above Records