Es gab ein klares Moment von manischer Aggression: Ein Interview mit Comus

Eine der vielleicht größten Sensationen der letzten Jahre war die Rückkehr von “legendary British pagan acid folk rock act “ (Aquarius Records) Comus, deren Debütalbum “First Utterance” vielleicht das originellste und irritierendste Zeugnis des Acid Folks war, das auch nach vier Jahrzehnten nichts an Vitalität, Virilität und Virtuosität eingebüßt hat. Zu ”First Utterance“ – einem Album, das fortwährend beweist, wie sehr Comus vom Ende der 60er Jahre herrschenden Zeitgeist entfernt waren – habe ich hier etwas anlässlich des kürzlich veröffentlichten Comebackalbums “Out of the Coma” geschrieben, das thematisch wie musikalisch fast nahtlos an das Debüt anknüpft und ebenfalls unterstreicht, wie rabiat eine fast ausschließlich mit akustischem Instrumentarium arbeitende Band klingen kann. Im folgenden Interview weist Songschreiber Roger Wooton dann bezeichnenderweise darauf hin, dass Comus ebenfalls von Death Metal-Fans geschätzt würden. Auch die Auftritte der wieder fast in Originalbesetzung spielenden Band – lediglich Flötist Rob Young ist nicht mehr dabei – sind keine peinliche Retroshows, sondern zeigen Musiker, die sich ihre Songs trotz mehrerer Dekaden Unterbrechung aufs Neue zu eigen gemacht haben.

Lassen wir am Ende dieser Einleitung den der Band ihren Namen gebenden Comus aus John Miltons “A Masque” sprechen: “See, here be all the pleasures/That fancy can beget on youthful thoughts,/When the fresh blood grows lively, and returns/Brisk as the April buds in primrose season.”

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In Jeanette Leechs Seasons they change schreibt sie, dass “die Musikindustrie [...] nicht die Infrastruktur bereitgestlellt hat, um [“First Utterance”] zu bewerben. Denkst du, dass Comus weitergemacht hätte, wenn die Infrastruktur bereit gestellt worden wäre?

Ja vielleicht, aber es gab noch andere Gründe. Damals – und bis zum Ende der 80er – war die britische Musikszene sehr an Trends und Moden orientiert. Diese Trends hielten ein paar Jahre an und dominierten fast komplett. Nach dem Boom der Beatmusik kam Psychedelic, aus dem sich viele ungewöhnliche Bands entwickelten, wie z.B. Comus. Und Psychedelic wurde dann von Glamrock überschattet. Das Publikum für Comus schwand zusehends und ebenso nahmen die Gigs ab. Wir waren gezwungen uns aufzulösen. Wir fingen auch mit der “Malgaard Suite” an, die im Rückblick ziemlich maßlos war und zu dieser Zeit nicht der richtige Weg war und uns noch mehr von den sich ändernden Modetrends des Publikums entfremdete.

Viele Autoren haben die Einzigartigkeit von “First Utterance” herausgestellt und den großen Unterschied zwischen eurer Musik und dem betont, was damals Mainstream war. Was denkst du, waren die Hauptelemente, die eure Musik so seltsam und manchmal irritierend für die Zuhörer machten?

Es gab ein klares Moment von manischer Aggression und der Erforschung dunkler, psychotischer Elemente. Das war das genaue Gegenteil des Mainstreams, der sich sehr an “love and peace” orientierte. Keine akustische Band hat solche Kraft und nervöse Dunkelheit erzeugt, weswegen uns so viele Death Metal-Fans mögen. Es muss für ein Publikum, das The Incredible String Band und Donovan unterworfen war, schwierig gewesen sein, mit Comus klarzukommen. Was den Klang anbelangt, so schuldet Comus klassischer Musik mehr als Rock ‘n’ Roll.

Du hast in der Vergangenheit gesagt, dass dir in den 60ern die eher naive “love and peace”-Haltung der Hippies missfiel. Wenn du zurückschaust, denkst du, dass es wichtig war, eine Kontrastfolie zu haben?

Mir missfiel die Schwäche und die kümmerlichen Eigenschaften, die ziemlich brüchig waren, für das, was eine Revolution sein sollte. Wegen der Prinzipienlosigkeit wurde die Hippiebewegung sehr heuchlerisch und widersprüchlich und dekadent. Ich wollte reagieren und die Szene etwas durcheinander bringen.

Heutzutage haben viele Leute eine ambivalente Sicht auf die Hippiekultur. Auf der einen Seite gibt es dieses Stereotyp des unschuldigen guten Typs, den man gerne belächelt. Auf der anderen Seite neigen wir dazu, diese Kultur als Vorkämpfer einer Generation zu betrachten, die zu vielen wichtigen Veränderungen beigetragen hat. Ist deine Einstellung zu der ganzen Hippiesache über die Jahre etwas positiver geworden?

Es gibt immer etwas Positives, aber ich denke, dass es in Timothy Learys berühmter Bemerkung “Turn on, tune in and drop out‘ zusammengefasst ist, die der Weg des Scheitern ist. Es hätte heißen müssen: ”Turn on, tune in and drop IN”. Wenn man die Welt friedlich ändern möchte, kann man das nur von innen heraus tun und es gab einen Mangel an einer klaren Philosophie. Das hieß, dass die Bewegung degenerierte und dazu führte, dass jeder auf sich alleine gestellt war.

In einem Interview mit The Wire sagst du, dass nachdem ihr wieder begonnen hattet, es sich anfangs anfühlte, “wie eine Coverband, die den Kram von anderen lernt”. Wann hat sich das geändert? War es ein allmählicher Prozess oder kam es plötztlich, dass du dachtest: “Das sind unsere Songs.”?

Es war eine bizarre Zeit, sich auf diejenigen einzustellen, die wir 40 Jahre zuvor gewesen sind. Es war eine langsame und allmähliche Assimilation und Identifikation, die begann, je besser wir darin wurden, die Songs zu spielen. Schließlich konnte ich mich mehr mit Comus identifizieren, als ich mit dem Schreiben anfing und “Out of the Coma” entstand.

Im Booklet zu “Out Of The Coma“ reflektierst du über den Schreibprozess und darüber, dass du darüber nachgedacht hast, welche Themen für Comus geeignet wären. Würdest du sagen, dass verglichen mit der Vergangenheit deine Annäherung an Songs und Themen reflektierter ist?

Ja, ich muss sehr viel mehr darüber nachdenken. Es ist objektiver und nicht all meine Songs sind für Comus geeignet. Es gibt eine Menge an Themen für Comus und ich grabe sie nach und nach aus.

War eure Entscheidung, Vergangenheit und Gegenwart auf “Out of the Coma” dadurch zu verknüpfen, dass ihr die einzig noch existierende Aufnahme von “The Malgaard Suite” beigefügt habt (und so die “verlorene” Hälfte eures unveröffentlichten zweiten Albums wieder zum Leben zu erwecken) auch darin begründet, dass ihr eine Art von Kontinuität aufzeigen wolltet?

Ja – und auch um zu zeigen, was auf “First Utterance” gefolgt wäre, wenn “Malgaard” nicht von der Plattenfirma abgelehnt worden wäre: Eine ziemlich andere Richtung als die, die wir dann tatsächlich eingeschlagen haben.

Vor einigen Jahren hast du ein Konzert mit der schwedischen Gruppe Piu, besser bekannt als Lisa o Piu, gemacht, von dem es auch eine Aufnahme gibt. Wie ist diese Zusammenarbeit zustandegekommen und wie schätzt du die Musik dieser noch recht jungen Band ein?

Ich wurde von dem Promoter Stefan Dimle gefragt, ob ich im Melloclub in Schweden spielen wolle und er sagte, er habe eine Backingband für die Auftritte gefunden. Als ich ankam, wurde ich ihnen vorgestellt. Wir hatten eine Probe und der Auftritt verlief gut. Es war erstaunlich und etwas surreal. Ich hörte Comus, aber jedes Mal, wenn ich mich während des Auftritts umdrehte, standen da die falschen Personen!

Bezogen auf Musik, Text und Artwork spielt “Out of the Coma” ganz explizit an “First Utterance” an. Wenn du jetzt im Nachhinein an “To Keep From Crying” denkst, gibt es etwas darauf, das du noch für erinnerungswürdig hältst?

Ja – einer der Songs. Ich würde gerne, wenn möglich, “Down Like a Movie Star” machen.

Die neuen Lieder, insbesondere “Out of the coma“ und “The Sacrifice“, haben unglaublich wilde Momente und eure Musik war und ist oft extrem physisch. Inwiefern ist dieser physische Aspekt im Augenblick wichtig für euch?

Ja – für jemanden der sitzend auftritt, strahle ich viel Energie aus. Ich denke, dass der Zorn und die Energie von Comus so wichtig wie eh und je ist und das ist, was das Publikum reizt.

In einigen der (alten und neuen) Songs, wird eine mystifizierte Natur wird als archaisches Gebiet voller Angst und Gewalt, aber auch voll kraftvoller Vitalität präsentiert. Würdest du sagen, dass es die reale Welt (oder eine “realere” Welt) ist, die sich in Songs wie “Diana” zeigt?

Es handelt sich sicher um einen Teil der Realität. Die meisten Lieder handeln von Sex und Liebe, das ist auch ein Teil der Wirklichkeit. Wenn man sich im Fernsehen die Nachrichten anschaut, habe ich oft den Eindruck, dass Comus einen stärkeren Bezug zu dem hat, was gerade passiert.

Im Gegensatz dazu würden viele Menschen vielleicht natürliche oder mythologische Settings als “außerweltlich” bezeichnen. Eure Songs zeigen allerdings kaum eine eskapistische oder idyllische Seite – etwas, das oft mit Außerweltlichkeit assoziiert wird. Ist euch das wichtig?

Ich denke, dass Fantasy benutzt werden kann, um echte Gefühle zu illustrieren. Außerweltliche Settings werden benutzt, aber die Geschichten beinhalten den gleichen menschlichen Schmerz und Stress. Als Comus anfingen, war ich sehr stark von Der Herr der Ringe beeinflusst.

Ihr habt Musik zu einigen Filmen des kanadischen Regisseurs Lindsay Shonteff beigesteuert. Was kannst du uns über diese Filme und die Rolle eurer Musik darin sagen? Gab es gemeinsame Bezugspunkte, durch die eure Musik besonders zur Atmosphäre zum Film passte?

Wir haben für “Permissive” vorgespielt und Lindsay gefiel unsere Musik, weswegen er uns weiterhin fragte, mehr Filmmusik zu machen. Er dachte einfach, dass wir für die Soundtracks geeignet seien.

Die Erzählweise eurer Songs und das Visuelle eurer Texte kann schon Assoziationen ans Kino wecken. Wart ihr damals zur Zeit des ersten Albums Cineasten und würdest du so weit gehen zu sagen, dass eurer Arbeit und die Einstellung besser zu Filmen als zur Musik dieser Zeit passten?

Wie ich schon gesagt habe, schien der Einfluss von Der Herr der Ringe und europäischen Mythen, John Milton dramatische Bilder zur Verfügung zu stellen. Jetzt, da Der Herr der Ringe verfilmt worden ist, denke ich, dass Peter Jackson einen tollen Job gemacht hat, diese Bilder zum Leben zu erwecken. Ich nehme an, dass das Lesen der Bücher und einiger Science Fiction-Autoren meinen Kopf einfach mit Bildern gefüllt hat. Ich war an der Kunsthochschule und meine eigenen illustrativen Arbeiten, die für die Cover verwendet wurden, haben meinen Kopf mit den in den Worten beschriebenen Visionen gefüllt.

Gibt es Pläne, in der (nahen) Zukunft mehr neues Material aufzunehmen?

Ja. wir haben zwei neue Songs, die darauf warten, geprobt zu werden und zwei weitere sind auf dem Weg dahin. Wir werden bald damit anfangen, “Samurai” und “Slave” zu proben. “Sumarai” handelt vom Verlust einer großen Kriegerkultur und “Slave” handelt vom Handel mit Sexsklaven – ein ziemlich aktuelles Thema. Beide diese Themen werden Comus etwas mehr auf die Höhe der Zeit bringen.

Wann wurde euch erstmals klar, dass es eine Reihe von Künstlern gab, die von “First Utterance” inspiriert waren?

Um 2000 herum setzte sich David Tibet von Current 93 mit mir in Verbindung und sagte mir, dass sie eine Version von “Diana” aufgenommen hätten. Und Mikael Ackerfeldt von Opeth ist ein großer Fan und hauptsächlich dafür verantwortlich, dass Comus sich reformiert haben.

Diese Frage hängt etwas mit der letzten zusammen. Gab es in den Jahrzehnten, in denen ihr alle andere Wege beschritten habt, Genres/Künstler, die ihr besonders ansprechend fandet und von denen ihr den Eindruck hattet, dass sie so (um in paar eher vage Termini zu vewrwenden) vital und abenteuerlustig waren wie Comus?

Vielleicht nicht so abenteuerlustig, aber als Singer/Songwriter habe ich in den 70ern Joni Mitchell bewundert. Es gab andere – ich erinnere mich daran, als ich zum ersten Mal “Mechanik Destructive Commando” von Magma gehört habe und den Eindruck hatte, dass da eine Affinität zu Comus da war – Peter Gabriel, Talking Heads, Miles Davis und viel moderne klassische Musik, wie John Adams, John Tavener, Gorecki und Arvo Part etc.

In den letzten Jahren konnte man eine Reihe (mehr oder weniger Folk bezogene) Künstler bemerken, die um 1970 herum einige singuläre Arbeiten gemacht haben und dann nach Jahrzehnten der Stille oder Unstetigkeit eine zweite Kreativitätsphase hatten. Neben Comus muss ich an Vashti Bunyan oder Simon Finn denken, die alle vor einigen Jahren aus dem musikalsichen “Koma” erwacht sind. Denkst du, dass diese Comebacks zufällige Phänomene sind oder siehst du eine gewisse Verbindung zwischen dem letzten Jahrzehnt und den Jahren damals?

Es gibt allgemein ein massives Comeback von Bands und Künstlern aus den späten 60ern, sowohl in Europa als auch in den Staaten. Jede Woche höre ich von einer anderen Band aus den frühen 70ern, die sich reformiert. Es scheint zu funktionieren und sie erreichen, ebenso wie Comus, offensichtlich eine neue Generation. Bands aus unserer Ära werden ziemlich verehrt. Altersdiskriminierung ist in der Rockmusik vollständig verschwunden – das ist etwas, von dem ich nie gedacht hatte, dass es passieren würde.

Einige eurer Lieder (und, natürlich, euer Bandname) sind von Literatur inspiriert. Ist das noch immer relevant für euch?

Weniger als vorher. Es ist schwierig, neuen Lesestoff zu finden. Film und Ferrnsehen können ein großer Stimulus sein, weil sie zufälliger sind.

(M.G., U.S.)

Fotos: HMV Formum: Zoe Plummer; Band: Hannah Meadows

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