Italien hat derzeit eine der produktivsten und vitalsten Musikszenen. Unabhängig von Genres, aber auch ohne zwangsläufig das “Ganz Neue” erfinden zu müssen, sind in den letzten Jahren Bands, Labels und kleine Netzwerke entstanden, deren roter Faden ein Interesse am Ungwöhnlichen und Unvorhersehbaren ist. Eines der zur Zeit rührigsten Labels ist Boring Machines aus Treviso nördlich von Venedig, dem die Welt bereits Platten von Father Murphy, Heroin In Tahiti und dem Wave-Veteran Simon Balestrazzi verdankt. Doomiger Surfrock und spacige Drones findet man dort ebenso wie orientalisch anmutenden Psychrock und aller Songstrukturen entkleidete Akustiksounds. Onga, der das Label betreibt, liebt musikalische Hybride und hat in den letzten Jahren eine respektable Bandbreite an origineller Musik herausgebracht, deren Gemeinsamkeit auch darin besteht, dass herkömmliche Genrebestimmungen wie selbstverständlich umschifft werden. Boring Machines ist vor allem Ausruck einer persönlichen Leidenschaft für die Musik. Deshalb wirkt das Gesamtkonzept auch selbst wie ein eigenes kleines Kunstwerk, das eigene Ideen umsetzt, statt bloß die kreativen Erzeugnisse anderer zu vermitteln. Das folgende Interview gibt einen Überblick über den Werdegang des Labels und ist fast so etwas wie eine kleine Einführung in ein Kapitel alternativer Musikgeschichte Italiens.
Wann bist du auf die Idee gekommen, ein Label zu gründen, und wie hat alles begonnen?
Ich hatte beim Madcap Collective-Label mitgearbeitet, als sie 2004 gerade dabei waren, Franklin Delanos erstes Album herauszubrigen. Bei der Gelegenheit traf ich in Chicago auf Bruce Adams, der zuvor bei Kranky beschäftigt war. Kranky und Constellation empfand ich immer als außerordentlich inspirierend, und mein Plan war, Franklin Delano über das Artwork eine ebenso starke Identität zu geben, wie es bei den Künstlern dieser Labels der Fall war. Noch im selben Jahr traf ich My Dear Killer bei einem von mir organisierten Konzert, und ich fand, dass irgendwer seine Musik herausbringen sollte, die bisher nur auf einigen selbst gebrannten CDRs zirkulierte. Ich hab dann ein paar andere Labels, unter anderem eben Madcap, zusammengetrommelt, und zusammen haben wir dann sein Album „Clinical Shyness“, die erste Veröffentlichung auf Boring Machines, herausgebracht. Das war 2006.
2007 traf ich dann eher zufällig Marco alias Be Invisible Now! über einen gemeinsamen Freund. Wir sprachen eine Menge über Krautrock und Kosmische Muzik und er gab mir eine CD mit ein paar Aufnahmen. In seine Musik verliebte ich mich buchstäblich auf der Stelle, und so entschied ich mich, dass Boring Machines fortan ernsthaft Platten veröffentlichen sollte, und dass diese Musik ziemlich dem Sound nahekam, den ich für mein Label im Kopf hatte. Marco ist außerdem auch ein großartiger Graphikdesigner, und er kümmert sich bis heute um fast alle Layouts unserer Platten.
Bist du ebenfalls Musiker? Wie war dein Bezug zur Musik, bevor du als Verleger aktiv wurdest?
Ich bin kein Musiker, ich kann keinerlei Instrument spielen, abgesehen von ein bisschen Gitarre, aber nur ein paar alberne Akkorde aus bekannten Melodien. Deshalb hatte ich auch aufgehört, ich war nicht so an der Technik interessiert und hatte keine persönliche Idee, weshalb ich dann einfach zu spielen aufhörte. Ehrlich gesagt hätten viele andere Leute das auch so machen sollen.
Ich war schon Musikliebhaber, als ich noch sehr jung war, ich hatte Songs aus dem Radio aufgenommen mit meinem kleinen Tapegerät, das nicht einmal ein Radio hatte, deshalb borgte ich mir das meiner Mutter und nutzte ihres für den Empfang und meines für die Aufnahme. Als Jugendlicher ließ ich mir die Vinylsachen von älteren Nachbarn auf Tape überspielen, meist Hard Rock oder Heavy Metal-Kram, aber eines Tages machte mich einer von ihnen mit den Tapes von DJ Baldelli von Cosmic bekannt und mit Bands wie Tangerine Dream, Popol Vuh etc., und das war dann meine erste wirkliche musikalische Revolution. Ich war dann in der frühen Techno/House-Szene der späten 80er und frühen 90er unterwegs, in die Clubs bin ich dann auch vor allem zum Musikhören gegangen, am Tanzen hatte ich nie Spaß. Bei einem Schüleraustausch lernte ich dann ein paar Rockfans kennen (ich hab mir zwischen 1989 und 1993 keine einzige Gitarre angehört!!), die von Nick Cave etc. erzählten, mir kamen diese ganzen Namen bekannt vor, wir freundeten uns an, und so hatte ich wieder angefangen Rock zu hören, hauptsächlich Shoegazer und psychedelischen Kram, aber auch ein paar dieser Indie-Bands, die in den 90ern jeder mochte.
Nach der Schule, als ich dann Geld in der Tasche hatte, nahm die Zahl der Platten, die ich pro Woche kaufte, enorm zu, und auch heute noch kaufe ich Platten, jedes Format, um Musik hören zu können, wo immer ich will. Ich höre zuhause Vinylplatten, CDs im Auto, auch manchmal Kassetten. Ich bin ein Fetischist, und ich höre nicht gerne MP3s am PC. Manchmal mache ich das während der Arbeit, aber nichts ist so gut, wie eine ordentliche Platte zu hören. Ich begann 2001 zusammen mit einem Freund aufzulegen unter dem Namen Martini Bros DJ-Set (nein, nicht diese Fake-Techno-Produzenten). Wir hatten eine Art Radioshow gemacht, aber in Clubs. Wir kauften die neuesten Aufnahmen, obskure Tracks und Promos aus aller Welt und brachten das Zeug in unsere Lieblingsläden. Und dann schau dir das DJing im Mme Claude an. Es klingt wirklich schon romantisch, dass sich nun, nur zehn Jahre später, jeder der iTunes abspielen kann, DJ nennt. Wir mussten unser Equipment, die PA und unsere ganzen Platten dafür mitbringen.
2003 hatte ich außerdem noch Basemental ins Leben gerufen, ein Liveprojekt, dass Treviso (wo ich lebe) mit Mailand und Pavia verbunden hatte und ausgehend von einem ähnlichen Geschmack Gigs organisierte. Ich hatte das Projekt bis 2007 betrieben, als die Räumlichkeiten geschlossen und durch Wohnungen ersetzt worden sind. Kommt euch das in Berlin bekannt vor? Über Basemental hatte ich die Gelegenheit, eine Menge Musiker, Labelmanager und Journalisten zu treffen, die meine Ideen, wie ich das Label führen wollte, mitformten.
Hättest du dich damals als typischen Techno Kid bezeichnet? Wie hat sich dein Geschmack seitdem verändert oder erweitert, und was sind heute deine Lieblingsmusiker außerhalb von Boring Machines?
Ich muss betonen, dass ich kein „Techno Kid“ war, ich liebte bloß Techno und hörte eine Menge Zeug, UR, R&S/Apollo, Basic Channel und das ganze Zeug, aber ich war nie wirklich mit der Szene verschmolzen. Szenegänger (oder Hipster, nenne es wie du willst) gab es damals auch, aber ich war dort wegen der Musik.
Mein Musikgeschmack hat sich seitdem gar nicht so sehr verändert, ich mag immer noch guten alten EBM, ein bisschen handwerklich guten Techno, aber was mich am meisten interessiert, sind die Hybriden. Meine größten musikalischen Leidenschaften sind Kosmische Muzik, Techno, aber auch amerikanischen Country (oh! Diese lässigen Slide Guitars!) und Blues. Sollte ich jemals eine Band finden, die all das miteinander vermischt, dann biete ich einen Vertrag über fünf Platten!
Mein Lieblingszeug zum Hören… hmm, schwierige Frage.. Ich sollte ein paar große Namen nennen, um ein Gebiet mit ähnlichem Zeug abzustecken. Ich würde sagen, meine favorisierten Bands/Platten wären Labradford, Jessica Bailiff, The For Carnation, Low, aber ebenso Spacemen3 und die ganze Psychedelic Szene davor und danach. Dann würde ich sagen Autechre und frühe Aphex Twin und natürlich alles gespielt, beeinflusst oder gestohlen von Can/Neu!/Harmonia et al. Aber generell viel zu viel, um es alles aufzuzählen.
Die Musik auf deinem Label deckt ein ziemliches großes Spektrum ab, dennoch wirkt die Bandbreite nie beliebig. Wo siehst du so etwas wie einen roten Faden bei deiner Auswahl?
Es gibt so etwas wie einen roten Faden bei mir im Kopf, der die Auswahl trifft unter den Dingen, die ich einfach „nur mag“. Ich denke, es hat oft etwas mit einem Gefühl von Unbehagen und Wut zu tun (My Dear Killer, Father Murphy, Fuzz Orchestra, Rella the Woodcutter) und dem Wunsch, der Wirklichkeit zu entkommen. Im Weltraum sein (Be Maledetto Now!, Marutti/Balbo) oder in anderen, exotischen Ländern (Mamuthones, Heroin in Tahiti, La Piramide di Sangue). Ich bin ebenfalls fasziniert von seltsamer Architektur, die ich bei einigen elektro-akustischen Aufnahmen heraushöre, die bei mir erschienen sind (Luminance Ratio, FaravelliRatti).
Ich bin sicher, es gibt für dich auch eine Reihe an „No goes“. Welche Eigenschaften müsste eine Band haben, um niemals auf Boring Machines zu veröffentlichen?
Bis jetzt hatte ich immer das Privileg, Musik von Künstlern veröffentlichen zu können, die ich als Menschen sehr respektieren, was wirklich gut ist. Ich habe mir nie Gedanken gemacht, wer da nicht passen könnte, es gibt so viele Künstler, die ich gerne noch einschließen würde, dass ich an nichts anderes denken kann. Ich mag Gewöhnlichkeit nicht, man muss nichts neues erfinden, ok, aber man sollte zumindest eine künstlerische Persönlichkeit haben. Woran ich kein Interesse haben, sind ausrangierte Sachen von bekannten Musikern, ich bevorzuge da das beste von den weniger bekannten.
Betreibst du das Label allein, und wie sieht dein Alltag aus?
Ja, Boring Machines bin ich und ich bin Boring Machines. Das Label ist eine vollkommene Erweiterung meiner Persönlichkeit und meiner Ideen. Der Tag beginnt damit, dass ich um 6:30 Uhr aufstehe und zu einem dieser Arbeitsplätze gehen, wie ihn viele haben, um 6:30 abends bin ich wieder zuhause und die restliche Zeit ist Boring Machines gewidmet, Promotion machen, die ferigen Releases zusammenbasteln (ja, die sind alle liebevoll mit der Hand gefertigt) oder meilenweit herumfahren, um Bands, die ich mag, spielen zu sehen.
Es gibt wahrscheinlich nicht viele Unternehmen, die das Wort „boring“ in ihrem Namen tragen. Auf welche Maschinen ist das gemünzt, und was ist so langweilig an ihnen?
Der Name des Labels ist eine beabsichtigte Fehlübersetzung eines italienischen Konzeptes. Es müsste eher “Boredom Machines” heißen, denn die Idee hinter dem Label hat mit Langeweile zu tun. Ich war schon immer genervt und bin es nach wie vor von all diesen Leuten/Bands/Clubs, denen es nur darum geht, Spaß zu haben, bei denen Spaß aber sowieso nur auf die immer gleichen dummen und albernen Dinge hinausläuft, die jeder kennt. Ich würde es mögen, wenn Leute, die einem eigenen musikalischen Weg folgen, die gleichen Chancen hätten wie diejenigen, die den immer gleichen beschissenen Indie Rock spielen, aber ich denke, dafür ist es zu spät. Der Prozess ist nicht umkehrbar. So hab ich dann meine eigene kleine Welt geschaffen, wo ich Aufnahmen herausbringe und Shows organisiere, um die sich zu der Zeit in der Gegend niemand gekümmert hat.
Boring Machines sind eigentlich diese gigantischen Bagger, mit denen man Tunnel im Straßenbau gräbt, und ich mag sie sehr, weil sie so groß sind. Wenn du bei Google “boring machines” eingibst, ist meine Seite eine der ersten, die angezeigt wird. Witzig war, als mir ein paar saudische Ingenieure schrieben und ein nach einem Angebot für diese Geräte fragten. Ich antwortete ihnen mit einem Link zu meinem Shop…
Ich bin erstmals durch das Berliner Magazin „Occulto“ mit deinen Acts in Berührung gekommen, du hattest ja für die letzte Ausgabe eine CD-Beilage zusammengestellt. Wie kam euer Kontakt zustande und wie beurteilst du deren Anliegen, die Lücke zwischen Wissenschaft und Kunst zu füllen?
Ich traf Alice von „Occulto“ vor Jahren auf einer Party/Ausstellung in Trento, wir sollten beide auflegen, und es stellten sich schnell einige Gemeinsamkeiten heraus: Bier, Zigaretten und die Musik, die wir mochten. Um die gleiche Zeit lernte ich in Mailand Lumpa kennen, die andere Frau, die „Occulto“ zusammen mit Alice ins Leben gerufen hatte, und wieder mochten wir die gleiche Musik und die gleichen Zigaretten. Zigaretten sind immer sehr wichtig, verpisst euch doch, ihr Gesundheitsfanatiker!
Ich sah das erste Occulto-Heft und mochte sofort den Hochglanzlook und die verrückten Inhalte. Es war ein verdammt originelles Ding, deshalb nahm ich einige Hefte in meinen Vertrieb auf, und Alice wiederum half mir Shows für Be Invisible Now! in Berlin zu organisieren. Es war 2010, als ich dann auch Laura kennen lernte, die als Mitherausgeberin mit Alice zusammenarbeitet. Als ich 2011 in der Berliner AC Galerie (Occulto-Hauptquartier) war, nach einer langen nächtlichen Zigaretten-Session mit Alice, hatte ich die Idee, eine Compilation für die neue Ausgabe zu machen. Ich glaube, das ist der beste Ort, um einige meiner Künstler zu präsentieren. Ich weiß, dass es gewürdigt wird und es ist eben nicht bloß eine Geschäftsbeziehung.
Meine Meinung zu Occulto? Es ist mutig, es ist neu und es verbindet die vitale Leidenschaft eines Fanzines mit dem chicen Äußeren eines Magazins. Ich halte es für etwas besonderes weil es wirklich versucht, die Argumentationen aus den Artikeln zu popularisieren, im Unterschied zu den „Ich weiß was, was du nicht weißt“-Kunstmagazinen, die man bei Motto findet. Es hat die Funktion, Ideen zu verbreiten, aber immer ohne sich dabei selbst zu ernst zu nehmen. Es schlägt die Brücke zu anderen Künsten, zum Occulto-Festival oder zu parallelen Publikationen wie “Sie Leben”. Und was am wichtigsten ist, es ist genau so gemacht wie meine Releases: mit Blut und Schweiß.
Lass uns ein bisschen über einzelne Künstler und Platten deines Labels sprechen. Gibt es jemanden auf Boring Machines, dem du persönlich sehr nahestehst?
Ich kenne fast jeden auf dem Label persönlich, einige seit vielen Jahren, einige auch erst seit kurzem. Aus rein logistischen Gründen sehe ich die Leute, die 2-300 km von hier weg wohnen eher als Leute, die noch weiter entfernt wohnen. Mit wem ich öfter eine gute Zeit verbringe, das sind die Jungs von Father Murphy, Marcella/BeMyDelay und Stephano/My Dear Killer. Ich kenne sie seit fast zehn Jahren und wir hatten Gelegenheit, uns über viele unserer gemeinsamen Themen zu unterhalten, musikalische ebenso wie nichtmusikalische. Marco/Be Invisible Now! ist ein Saufkumpan, wir treffen uns fast wöchentlich und ziehen über Sachen her, wie es die Altvorderen eben so tun. Fabio Orsi lebt in Berlin und ich sehe ihn nicht sehr oft, aber wenn, dann ist es immer sehr gehaltvoll.
Erst vor ein paar Wochen hast du ein Album von La Piramide Di Sangue in Kooperation mit Sound of Cobra herausgebracht. Mir gefällt es richtig gut, wie sind die Reaktionen bislang?
La Piramide di Sangue läuft wirklich gut. Ricky (von Sound of Cobra, Anm. d. Red.) und ich waren uns sicher, was die Qualität der Band angeht, und wir wollten der Platte eine gute Aufmachung verpassen. Es erscheint in rotem Vinyl mit einer roten, dreieckigen Beilage. Es ist eine dieser Platten, für die Sammler garantiert irgendwann horrende Summen auf Discogs zahlen werden, also besser sichert ihr euch eure Kopien jetzt!
Einer der renommiertesten BM-Acts ist Father Murphy, die einen sehr eigenen Stil haben und mit verschiedenen internationalen Musikern auf Tour waren. Was denkst du ist das besondere an ihnen?
Wie du schon sagtest haben sie einen sehr eigenen Stil. Und sie haben sich dem, was sie machen, total verschrieben, ich denke, dass die Leute ihre Ernsthaftigkeit spüren können. Sie haben schon Jobs an den Nagel gehängt, um ohne Unterbrechung auf Tour gehen zu können, was bei italienischen Bands nicht oft vorkommt, und sie demonstrieren weiterhin, wie ernst sie es meinen mit dem, was sie tun. Sie sind außerdem super nette Personen, und deshalb respektiert man sie auch überall, für ihre Musik und für ihre Art.
Freddie sagte mir einmal, dass beste beim Touren in den USA sei das Gefühl gewesen, als Arbeiter respektiert zu werden. Es geht nicht darum, „ein Künstler“ zu sein, wenn du deinen Job bestens machst, wirst du für das was du tust respektiert, und wirst als professionell behandelt, auf die Popularität der Band kommt es dabei gar nicht so an. Ich vermute es ist einer der Gründe, warum sie gut ankommen bei großen ernsthaften Musikern wie Carla Bozulich oder Xiu Xiu, denn die hatten bereits Gelegenheit herauszufinden, das Father Murphy eine Band ist, die es ernst meint.
Du hattest mir ja erzählt, dass du Freddie ziemlich gut kennst, ich fand ihn als Performer sehr ausdrucksstark und exzentrisch…
Ich kann dir sagen, dass Freddie ein großartiger Freund ist, wir wohnen relativ in der Nähe und haben schon viel zusammen unternommen, bevor ich damit anfing, Father Murphy-Platten zu veröffentlichen. Was du auf der Bühne siehst, diesen expressiven und exzentrischen Performer, ist die künstlerische Persona von Freddie. Er ist wirklich intensiv, und wenn er schreit, dann schreit er so laut er kann, und sein Gesicht verändert und verzerrt sich beim Singen. Auf der Bühne jagt er mir manchmal Angst ein, und das obwohl ich die Band schon hunderte male gesehen habe. Außerhalb der Bühne ist er der netteste Typ überhaupt und einer, der vielen anderen Künstlern mit ihren Touren und Kontakten geholfen hat. Ein Abend unterwegs mit Freddie und ein paar Drinks macht immer großen Spaß.
Heroin in Tahiti ist ebenfalls eine ziemlich einzigartige Band, und ich mag es, wie sie Surf Rock und ähnliches mit einem doomigen Touch wiederbeleben. Wie populär sind sie in Rom?
Ich kann nicht einschätzen, wie populär sie in ihrer Stadt sind, aber Francesco und Valerio haben in den letzten Jahren sicher einiges auf die Beine gestellt in dieser Szene im Osten Roms, einer Gegend, die neuerdings “Borgata Boredom” genannt wird. Die Platte bekam natürlich sehr gutes Feedback und die erste Auflage war in vier Monaten ausverkauft. Gerade habe ich eine neue limitierte Pressung von 200 Stück in weißem/marmoriertem Vinyl herausgebracht, die gut weggehen.
Als ich sie erstmals zusammen mit Stellar Om Source at Codalunga spielen sah, war ich schockiert von ihrem Sound. An der Oberfläche ist es so verrauscht und unbestimmbar, und es hat diese twangigen Gitarren, und ich dachte, ich habe mich gerade in einem Western B-Movie verloren. Ich liebte sie sofort und wenig später entschlossen wir uns, die platte rauszubringen. Sie sind gerade in Turin beim No Fest! aufgetreten und haben all ihre neuen Tracks vorgestellt, die mal wieder nichts weniger als großartig sind.
Simon Ballestrazzi, in den 90ern bekannt mit seinem Projekt T.A.C., hat ebenfalls ein neues Zuhause auf BM gefunden. Gibt es Pläne für diverse Wiederveröffentlichungen?
Als mir Simon Balestrazzi zum ersten mal geschrieben hatte, dachte ich zuerst nicht, dass es DER Simon Balestrazzi sein könnte. Ich hätte niemals gedacht, dass ein derart erfahrener Musiker wie er mein kleines Label kennen könnte. Als er mir Aufnahmen schickte, war ich etwas verlegen, weil ich nicht wusste, was er nun für Erwartungen hat. Boring Machines sind ganz gut im Netz vertreten, aber es ist immer noch ein Einmann-Label, das in der Freizeit betrieben wird und mit einem lächerlichen Budget auskommen muss. Simon ist aber super nett, ich hatte noch nicht die Gelegenheit, ihn persönlich zu treffen, aber ich kann es kaum erwarten. Sein Soloalbum war ja neu, ich bin ohnehin nicht so sehr für Wiederveröffentlichungen (ich sollte ein Sublabel mit dem Namen Rusted Machines eröffnen…), aber er hat bislang unveröffentlichte Musik von T.A.C., die ich mir anhören soll, und ich fühle mich geehrt und bin sehr gespannt.
Ein Großteil der BM-Acts kommen aus Italien.. Hat sich das einfach so ergeben aufgrund von Freundschaften und Bekanntschaften, oder würdest du sagen, dass es auch etwas spezifisch Italienisches bei deinem Label gibt?
Als ich mit dem Label anfing, hatte ich dazu keinen genauen Plan im Kopf, so ging ich eher nach Verbindungen und Geschmack, weshalb ich zunächst Aufnahmen amerikanischer (Expo’70, Whispers for Wolves) und europäischer Künstler (Philippe Petit, Chapter24) herausbrachte. Als es weiter ging, wurde mir bewusst, was ich eigentlich wollte, nämlich gute italienische Musik promoten, in Italien und außerhalb. Italiener kucken immer nach Sachen von anderswo und brauchen eine gewisse Erziehung, um all die guten Dinge zu entdecken, die wir in unserem Land produzieren. Oft werden italienische Künstler im Ausland als „exotisch“ wahrgenommen. Was ich zeigen will ist, dass wir solide Musiker haben, die ihr eigenes Ding machen und nicht bloß einen Haufen Hipster, die andere internationale Bands imitieren.
Wie denkst du generell über Italiens derzeitige „Underground“ Szene?
Ich habe Kontakt zu Leuten aus allen möglichen Ecken, ich verreise oft und geh auf Konzerte und Festivals in ganz Italien und freue mich, wenn ich dort Freunde und neue Leute treffe. Deswegen machen wir das eigentlich, es ist sicher nicht wegen des Geldes.
Ich weiß nicht, ob da wirklich eine Szene in Italien ist, es gibt große Gruppierungen von Musikern, die ihre Erfahrungen unter einander teilen, und wahrscheinlich sind sie fragmentiert in unterschiedlichste Stilrichtungen. Ich persönlich geh gerne über diese Unterschiede hinaus – das Hybride, du erinnerst dich? Deshalb habe ich Freunde in der Hardcore-Szene, der Elektro-, der Noise- oder der Folk-Szene. Italien ist im Künstlerischen wirklich fruchtbar, meistens bleiben die Projekte aber unterschätzt wegen eines gewissen Mangels an Hingabe. Da fallen einem dann die mit der wirklichen Hingabe ins Auge, ich denke an Bands wie die Movie Star Junkies, Father Murphy (mal wieder!), Fabio Orsi und andere.
Der musikalische Underground hat eine Menge zu sagen, und es gibt Leute, die ihre Musik exportieren konnten und Kontakte zu Gleichgesinnten weltweit knüpfen konnten. Ich denke an Labels wie Hundebiss in Mailand, der auch eine Location für Underground-Gigs betreibt, Matteo von Second Sleep in Vittorio Veneto, der Codalunga zusammen mit Nico Vascellari von Von leitet. Rom hat eine großartige Szene im Pigneto-Viertel, zwei Konzert-Locations (Dal Verme und Forte Fanfulla) und eine Menge guter Bands. Diesen Typen sind die vielen guten ausländischen Gigs in Rom zu verdanken. Und die Liste könnte weiter gehen…
Neben einer Menge an Acts aus aller Herren Länder gibt es auch eine respektable italienische Community in Berlin. Was denkst du spricht dafür oder dagegen für eine junge Band, hier hin zu ziehen?
Dafür spricht, dass Berlin eine große Metropole ist, es ist immer noch alles recht erschwinglich, da zu wohnen, und es gibt gute Verbindungen zu allen möglichen Ländern. Wenn du nicht gerade in Mailand lebst, das mit seinen zwei Flughäfen auch immer noch gut vernetzt ist, bist du hier ziemlich gearscht, wenn du irgendwohin in Europa reisen willst. Es gibt bei euch eine Menge Künstler, und es ist leicht, Kontakt zu knüpfen. Als potenzieller Konsument der Kunstszene kannst du jeden Abend ausgehen und dir was ansehen, was hier nicht passiert, wenn du nicht gerne viel mit dem Auto herumfährst. Was dagegen spricht, hat mit denselben Sachen zu tun, es ist alles sehr erschwinglich und du bist gut vernetzt und somit nicht so wählerisch wie andere europäische Städte, so geht eben alles sehr einfach, jeder ist ein Künstler und das ist ok. Das resultiert manchmal in einer gewissen Mittelmäßigkeit, bei der es oft schwer zu unterscheiden ist, was gut ist und was nicht, denn du kommst dort schon sehr leicht durch.
Hast du so etwas wie ein ideal, dich nicht selbst zu wiederholen, um Boring Machines frisch und innovativ zu halten?
Ich hab keine Pläne oder Manifeste, ich folge lediglich meinen Ohren, und wenn ich etwas höre, das ich mag, dann versuche ich, Verbindung aufzunehmen. Wenn nicht, würde ich nichts tun, das ich nicht wirklich mag, nur um etwas herauszubringen. Ich hatte das Glück, eine Menge großartiger Künstler über die Jahre zu finden.
Viele deiner Acts präsentieren ihre Alben auch auf Bandcamp. Hast du eine positive Meinung zu solchen Plattformen, wo man oft ganze Alben umsonst hören kann, oder siehst du das eher als eine Art Kompromiss nach dem Ende der „guten alten“ CD?
Ich benutze Bandcamp ebenfalls, es hilft ein bisschen beim Verkauf und es ist beliebt. Ich benutze auch Soundcloud und manchmal stelle ich eine Hörprobe eines Albums bei Soulseek rein, um zu sehen, wie viele Leute daran interessiert sind. Leute, die keine Platten kaufen, würden es ohnehin nicht kaufen, wenn ich weiß, dass du dir meine Künstler auf Bandcamp anhörst und nicht irgendwelche Scheißmusik, dann ist das cool genug. Ich würde mich freuen, wenn mehr Leute die Bands live anschauen würden, nachdem sie sie im Internet gehört haben. Wenn du erst mal da bist, kannst du nach einer guten Show immer noch die Platten beim Merchandise kaufen.
Ok, ein paar letzte Worte… Gibt es Pläne, die schon spruchreif sind?
Ich habe einige Sachen, die schon zur Veröffentlichung geplant sind, und vieles mehr in Arbeit. Im Oktober wird das Debütalbum von How Much Wood Would a Woodchuck Chuck if a Woddchuck Could Chuck Wood? In Koproduktion mit meinem Freund Andrea von Avant! Records erscheinen (sie spielten im Mai beim Occulto Fest in Berlin). Dann kommt im Dezember das erste Soloalbum von DuChamp, aber bis dahin kann noch eine weitere Überraschung auf der Bildfläche erscheinen. Ein neues My Dear Killer-Album ist in Arbeit, ebenso was neues von BeMyDelay. Dann hab ich noch drei oder vier andere Sachen im Hinterkopf, es wird ein dichter Winter werden!
(Fotos: Tanya Mar & Fabio Orsi)