SUN CITY GIRLS: Eye Mohini (Sun City Girls Singles Volume 3)

Für einige ihrer Song- und Albumtitel hätten die Sun City Girls ein paar kleine Literaturpreise verdient, so z.B. für das schlichte Statement „You’re Never Alone With A Cigarette“ (denn Schnorrer sind sofort zur Stelle), das vor fünf Jahren den Auftakt einer Compilation-Reihe betitelte, in der die Singles der Band dokumentiert werden. Zusammenstellungen von Live-Tracks, Outtakes und besonderen Wegmarken waren bereits während der aktiven Bandkarriere ein wichtiges Standbein des Trios und bildeten seit dem Tod von Drummer Charlie Gocher einen großen Teil des posthumen Nachlebens der Gruppe, die kaum auf ein Genre reduziert werden kann und im Wire bereits als “ethnomusicologist’s worst nightmare” geadelt wurde.

Wer mit der enormen Diskografie des Trios vertraut ist, hat wohl ohnehin nicht geglaubt, dass die Reihe im vorigen Jahr mit „Napoleon & Josephine“ abgeschlossen sei, und in der Tat gaben die Archive Stoff für einen weiteren Teil. „Eye Mohani“ deckt primär den Zeitraum der Jahre um 1990 ab, als die Band bereits über die Anfangsphase hinaus war, der Sound jedoch so rau wie eh und je und vor allem Alan Bishops Reisen im afrikanischen und asiatischen Raum der Musik den Stempel des „Ethnischen“ einbrachten. Was mit einer halbminütigen Jazzcore-Kakophonie beginnt, entpuppt sich ein weiteres Mal als vielfältiges Mosaik an Assoziationen, die einem wie Sand durch die Finger gleiten, sobald man sie festzuhalten und zu definieren versucht: Weird Folk, aber von der Art, die niemals zu einem Pop-Phänomen hätte werden können. Nurse With Wound, doch ohne jeglichen Bezug zur Industrial Culture. Texmex als kleine Referenz an die Heimat der Band in Arizona. Jede Menge Fake-Orientalismus und -Afrikanismus, der weder die Originale zu kopieren, noch der Exotismusfalle durch allzu platte Ironie und allzu bemühte Verfremdung zu entfliehen versucht und dabei überraschend ehrlich wirkt.

Obwohl all dies quer durch die ganze Sammlung versteut ist, offenbaren sich in jedem Song andere Schwerpunkte. Die eigenwillige Country- und Latino-Mixtur gerät in „Smile“, dessen Lyrics anscheinend im Turm zu Babel geschrieben wurden, zu dezentem Rock, verwandeln sich in „Rose Room“ in einen tanzbaren Ragtime. Immer wieder kristallisieren sich tolle Melodien aus den improvisierten Strukturen heraus, beim hispanisch anmutenden Ohrwurm „Borungku si Derita“ ist aus all dem Schöngeistigen doch stets Dada und Surrealismus herauszuhören, andere Stücke wie der Titelsong steigern sich zum Ekstatischen und schlagen die Brücke zu punkigen Traditionals, bei denen der Gitarrist wie ein Maghreb-Hendrix klingt, oder zum atonalen Freejazz-Abgrund von „Abydos“. Tanzbare Nummern fernab weltmusikalischer Klischees bilden das Raga „Lemur’s Urin“ oder „Carousel Tapsel“ mit seinem beschwörenden Flamenco-Rhythmus.

Dass die Bishop-Brüder das Vermächtnis ihrer Band hegen und pflegen ist schon insofern ehrenhaft, da sie sich keineswegs auf alten Meriten ausruhen – Sir Richard betreibt mit Ben Chasny das Duo Rangda, Alan ist mit seiner Kairoer Band The Invisible Hands vielbeschäftigt, auch ist seine Arbeit als Protegee obskurer Geheimtipps nie auf das Niveau einer schalen Routine herabgekommen. Ehrenwert ist die retrospektive Arbeit aber auch deshalb, weil sie kaum redundant ist, auch wenn einige der Songs schon auf früheren (heute vergriffenen) Samplern vertreten waren. (U.S.)

Label: Abduction