An Jess Francos launigen Vampirfilm “Doriana Grey” musste ich beim Cover von Matt Elliotts neuem Album aus einem eher oberflächlichen Grund denken – in beiden Fällen wird die verdrehte Doppelgängerallegorie, die einst einer Idee Oscar Wildes entsprang, von einer Frau verkörpert. Vielleicht ist es aber auch das spanische Flair von “Only Myocardial Infarcation Can Break Your Heart”, das mich auf solche Abwege geführt hat. Ich nehme vorweg, dass das zungenbrecherisch betitelte Werk des Engländers die beste Medizin gegen die diesjährigen Herbstdepressionen ist, aber ich sollte dazu sagen, dass mit Medizin hier keine musikalischen Baldriantropfen gemeint sind, sondern purer Exorzismus.
Laut Label bleibt Elliot dem Gundgefüge seines desperaten Songwritings (das sich wohl nie so sehr verdichtete wie in Titel und Inhalt des letztjährigen „The Broken Man“) weitgehend treu. Doch habe er ebenso etwas wie Hoffnung oder gar leichten Optimismus beimischt, was im Großen und Ganzen stimmt. Die kleine Veränderung ist allerdings enorm wirkungsvoll. Beigaben wie die kindliche Spieluhr und die gepflegte mediterrane Handperkussion in „Reap What You Sow“ hätten früher v.a. als Kontrastmittel für eine tiefschwarze Grundstimmung fungiert. Diesmal jedoch tragen solche Spielereien eher dazu bei, das lyrische Lebensresümee etwas differenzierter zu ziehen und die schwarze Galle nicht mit der Weltformel zu verwechseln. Und doch bleibt ständig der Eindruck bestehen, dass die Gefühlsauslotung in Wort und Ton kompromisslos aufs Ganze geht. Dieses Spannungsgefüge findet sich im beschwingten Latinorhythmus wieder, der die abgeklärten Worte in „Prepare for Disappointment“ aufmischt, auch beim wehmütig aufgepeitschten Sea Shanty „Again“, stilistisch ein Echo seiner früheren „Drinking Songs“, das die Unmöglichkeit eines Zusammenseins weder cool hinnimt, noch lamoryant beklagt. Am reinsten jedoch findet sich dieser ambivalente Zug im märchenhafte Charme von „I Would Have Woken You With That Song“; es ist der Charme verwunschener Gassen und ungenutzter Chancen, die man als genau dieslieb gewonnen hat und – falls es das gibt – illusionslos verklärt. Und weil es so gut gelingt, sind auch filmreife Streicher und brummbäriger Männerkitsch für Momente erlaubt.
Soviel zu den kürzeren Stücken in der zweiten Hälfte des Albums. Das (dem Titel entsprechend gebrochene) Herzstück des Albums bildet der rund siebzehnminütige Opener, ein wahres Songmanifest, gegenüber dem der Rest fast wie ein Appendix wirken muss. „The Right To Cry“ hat einen apokalyptichen Zug: Die Welt fällt, alle Leidenschaft ist – immerhin – befriedigt, zurück bleibt nur die leere Hülle, und das Recht zum Weinen ist lange verspielt. Diese Abgeklärtheit hat etwas Erlösendes für das Subjekt, das in eben dieser Welt „prisoner and guard“ zugleich ist. Nun würde die begleitende Jazzgitarre mit Flamencotouch bei beinahe jedem anderen ebenso banal wirken wie das pastorale Fingerpicking einen Abschnitt später, denn das Schlimme nett zu sagen, ist bekanntlich eine ziemlich abgenudelte Form der Ironie. Mit Ironie hat dies bei Elliott aber weniger zu tun als mit der Fähigkeit, das Leben in all seiner Schönheit und Untröstlichkeit aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen. Und irgendwie nimmt man ihm ab, dass er es genau so meint.
Der „Broken Man“ aus Elliotts vorigem Schaffensabschnitt ist vor allem in einer Hinsicht entzwei gebrochen: Sein Blick und seine Stimme haben sich verdoppelt. Wie beim Modell im Covermotiv findet sich die Essenz des Albums erst im Zusammenspiel des morbiden Doubles mit seinem vitalen und stolz posierenden Pendant. Im Unterschied zu den „Drinking“- und „Howling Songs“ scheint hier auch das Herz intakt. Denn nur ein Infarkt – aber der definitiv – kann es brechen.
Label: Ici d’ailleurs