Der Besuch eines Orchesterkonzertes ist im Schnitt eine eher frontale Angelegenheit und findet im Sitzen statt. Auf der einen Seite die konzentriert arbeitenden Musiker, auf der anderen die Zuhörer im Modus passiver Kontemplation. Rutger Zuydervelt, der normalerweise in der Elektroakustik zuhause ist und bei seinen Solokonzerten unter dem Namen Machinefabriek recht flexibel mit seinen Settings umgehen kann, verwirklichte im letzten Jahr die schon länger entwickelte Idee eines begehbaren Orchesters. Was er unter dem Namen „Stay Tuned“ in Kanada un den Niederlanden aufführte, gehört allerdings eher in die Bereiche Installation und Environment als in den der Livemusik: Insgesamt 153 Intrumentalisten und Sänger intonieren mit ihrem jeweiligen Medium den Ton „a“, woraufhin Zuydervelt eine bestimmte Zahl an Beiträgen einer Gruppe zuordnete, die über jeweis einen Lautsprecher in einem Raum oder einem Abschnitt eines Geländes zu hören war.
In jeder der Gruppen waren diverse Saiten-, Tasten- und Blasinstrumente sowie Stimmen vereint, die als Endlosloop zu einer Einheit verschmolzen sind, dabei aber jedesmal ein eigenes charakteristisches Gepräge aufwiesen. Die Besucher konnten sich nun relativ frei an den Aufführungsorten bewegen, beliebig von Lautsprecher zu Lautsprecher weiterziehen und beliebig lange bei bestimmten Klängen verweilen. Das Fehlen von Melodie und der starke Fokus auf Klangfarben sowie die gleichzeitige Unabhängigkeit von vorgegebenen musikalischen Abläufen bewirkte für das Publikum v.a. eines – ein völlig anderes Zeiterleben als bei Orchestermusik üblich.
Die jüngst erschienene CD dazu bietet ein 50minütiges Dronestück, das vielschichtig und bei aller Monotonie auch wandlungsfähig ist. Als enormen Panoramaschwenk durch die bunte Welt des Kammertones „a“ lässt die Aufnahme die sublime Erfarhrung vor Ort an einigen Stellen deutlich erahnen. Natürlich könnte man monieren, dass die Hörer dabei wieder in die gewohnt passive Rezeptionsrolle zurückgeworfen werden, doch als Dokument erfüllt die vorgegebene Folge unterschiedlicher instrumenteller Einfärbungen ihren Zweck, wobei die Übergänge teilweise zu kunstvoll gestaltet sind, dass einem unweigerlich das geschliffene Sounddesign von Machinefabriek in den Sinn kommt. Angefangen mit einem sinuswellenartigen Pfeifen bewegt sich das Klangkontinuum immer mehr in die dunkel dröhnenden Bereiche tiefer Saiten, später dominieren helle Bläser oder sanftes Klingeln das Bild, um von grummeligem Stimmengemurmel abgelöst zu werden u.s.w.
Die Übergänge verlaufen niemals abrupt, doch gibt es zwischendrin immer wieder kleine Brüche, die das passive Gemüt irritieren und aus der Lathargie zu reißen verstehen. Überhaupt empfielt sich aufmerksames Zuhören, denn sonst könnte einem manches entgehen, was sich so an kleinen Ungereimtheiten unter der Oberfläche abspielt.
Unter den Beitragenden finden sich einige internationale Größen experimenteller Musik und avantgardistischer Popgenres. Oren Ambarchi zupft einen Ton auf der Gitarre, Aidan Baker tut es ihm gleich, Julia Kent streicht über ihre Cellosaiten, Nils Frahm und Magda Mayas lassen die entsprechende Klaviertaste ertönen, Richard Youngs seine Stimme, Nate Wooley steuert den gesampleten Klang einer Trompete bei – um nur einige Namen zu nennen, die bereits auf diesen Saiten gefallen sind. Statt werbewirksames namedropping – was es freilich auch ist – sollte man in der Auswahl primär ein Anknüpfen an die unterschiedlichsten Formen bekannter origineller Musik verstehen, denn weit davon entfernt ein abgehobenes Konzept für Spezialisten zu sein legt „Stay Tuned“ wichtigeTeile deren basaler Grundstruktur blos. (U.S.)
Label: Baskaru