NIEDOWIERZANIE: Paradies

In dieser Welt ein Album nach dem Paradies zu benennen ist nicht nur ein starkes Stück, sondern geradezu ein Unding – es sei denn, das Album gestaltet sich als aufwühlende Klage, die die ganze Gewaltsamkeit transportiert, die dem Glauben oder auch nur dem Wunsch nach einem paradiesischen Zustand innewohnt und sich sehenden Auges gegen alle Abgeklärtheit sträubt, welche die Wirklichkeitserfahrung naturgemäß mit sich bringt. Léo Maury, besser bekannt unter dem Namen Niedowierzanie (Polnisch für „Misstrauen“ oder auch „Eifersucht“), bezeichnet seinen neuen Longplayer selbst als Lamento, als sehnsuchtsvolle Klage nach einem verlorenen Süden, angestimmt im meist doch kühleren Deutschland. Die fast aggressive Wucht der neuen Stücke könnte einem verborgen bleiben, denn sie liegt hinter einem tagträumerischen Fluss an Klängen versteckt, von dem man sich nur allzu gerne einlullen lässt. Aber man muss dieses Album sowieso laut hören.

Léo stammt aus Südfrankreich und pendelte in den letzten Jahren meist zwischen den Metropolen Madrid und Berlin und ist seit Jahren mit einer Gruppe von Musikern verbandelt, zu der neben Wermut und seinem Landsmann Bex auch „mediterrane“ Projekte wie O Paradis und Mushroom’s Patience zählen. Auch ohne sich in spekulative Biografismen zu verrennen, legt all dies schon nahe, dass „Paradies“ ein sehr persönliches Album ist.

Im Vergleich zu den genannten Bands wirkt Niedowierzanie immer etwas unscheinbarer, introvertierter, was nur zum Teil daher rührt, dass Sprache und Stimme eine vergleichsweise marginale Rolle spielen. Auch haben seine Kompositionen meist einen verträumten Zug, der einen das Musikhören beinahe vergessen lässt. Auch „Paradies“ lässt zu Beginn noch einen solchen Eindruck entstehen, denn „Neige Noire“ eröffnet die Platte mit dezentem Akkordeondröhnen, das nur zaghaft von blecherner Perkussion akzentuiert wird. Die Mandoline erklingt, und auch ohne Wellenrauschen und Mövenkitsch fühlt man sich in ein sonniges Fischeridyll versetzt, in dem alle Vitalität der Benn’schen südlichen Sphäre waltet. Doch schon bald machen sich kleine Dissonanzen bemerkbar, zittrige Atonalitäten, kleine aufblitzende Detonationen und allzu hastig abgebrochene Wege – eine versteckte Unruhe durchbricht mehr und mehr die Harmonie.

Die ganze Wucht der Musik offenbart sich dann in „Credere“, dem vielleicht drängendsten Stück in Niedowierzanies bisheriger Diskographie. Schon das undefinierbare Knarrren und die nervösen Cellofiguren verdeutlichen, dass sich etwas Dramatisches zusammenbraut, und wenn das leitmotivische Klappern und Rasseln hier noch eine Spur aggressiver einsetzt, ist aus dem unruhigen Schwelen längst ein Lauffeuer geworden – gäbe es ein heutiges Pendant zu Maya Deren, so wäre dies die ideale Musik für ihre Filme. Wie um die Intensität noch zu steigern, stimmen herzzerreißende Mandolinenklänge mit ein und treten mit rauen Noise-Elementen in einen Dialog, wie man ihn bei Niedowierzanie bisher nicht kannte.

Der Eindruck eines verzweifelten Ringens durchzieht weite Teile des Albums, wobei nur das baskisch betitelte „Irrintzi“ eine ähnliche Dramatik aufweist. Seine leicht atonale Mixtur aus richtungslos klimpernden Saiten, einem düsteren Streicherteppich und diversem Klappern und Rumpeln kippt nach einigen Wendungen in einen Klangstrudel, der jede Hoffnung auf Struktur verblassen lässt. Das Dröhnen in „Vous Voulez ma Peu“ („Ihr wollt meine Haut“) wirkt so schwebend wie eine Levitation, bis das allgegenwärtige Rasseln in puren Lärm übergeht. Auch wenn die beiden restlichen Stücke mit Glöckchen und Regenprasseln friedvoller daherkommen, mag man diesem Frieden nicht so wirklich trauen – Niedowiezanie eben. Ob das an den seltsamen Tierstimmen und dem kaum verständlichen deutschen Sample liegt, oder doch an der Nachwirkung der vorausgegangenen Stücke, ist schwer zu sagen.

In der Dramatik seiner Kompositionen ist Niedowierzanie etwas gelungen, woran viele Beschwörungen des Verlorenen scheitern, denn in „Paradies“ kommen Verklärung, Schmerz und Fatalismus zusammen. Das auf diese Art evozierte Idyll ist ein zerrissenes, das gerade deshalb seine Kostbarkeit bewahrt. Das Album wurde von Demian (O Paradis) gemastert und erschien vor Kurzem in 300er Auflage. Wer sich sputet, könnte vielleicht noch ein Exemplar mit der Bonus-CD „Strade Senza Fine “ ergattern. (U.S.)

Label: Zoharum