GNAWED: Pestilence Beholden

Im weiten Feld der Geräuschmusik gibt es verschiedene Möglichkeiten ein Werk zu auratisieren, so kann z.B. manchmal ein Hinweis auf das verwendete Klangmaterial dazu beitragen. In seinem Text „Der Böttger-Effekt“ hat sich Asmus Tietchens dazu wenig begeistert geäußert: „Worüber werden wir aufgeklärt, wenn wir abstraktes Schnarren wahrnehmen, das laut credits aus dem Soundscape eines nordafrikanischen Marktes abgeleitet ist? Gut, wir lernen, dass so etwas technisch möglich ist. Und weiter? Vielleicht noch, dass wir uns auch mal an solchen Übungen versuchen könnten. Immerhin.“ Eine weitere Möglichkeit ist es, nicht auf das Material an sich, sondern auf den Ort der Aufnahmen zu verweisen, man denke etwa an die Linernotes auf Lustmords „Paradise Disowned“: „Recording locations winter 1983–1984: the crypt of Chartres cathedral; the cave at Craig Y Ddinas; the deep shelter in Crewe; Dunster abattoir, Bangor and the original site of Beldam.“ Gnawed, das seit einigen Jahren aktive Projekt von Grant Richradson, kombiniert beides, denn der Hörer wird darauf hingewiesen: „All scrap metal, performed percussion, and natural sounds were recorded within sewers, and rotting abandoned industrial complexes in Minneapolis“. Ein Bild auf Gnaweds Facebookseite verdeutlicht, wie weit zu gehen man bereit ist, um den richtigen Klang einzufangen.

Natürlich hat die USA in den letzten Jahrzehnten einen rasanten Abstieg bei der Industrieproduktion erlebt, sind Städte wie Detroit Symbole eines beschleunigten Verfalls geworden. Verglichen damit geht es Minneapolis noch recht gut, wobei die Musik auf „Pestilence Beholden“ nicht notwendigerweise darauf schließen lässt: „A Bitter Harvest“ ist ein zurückhaltend beginnender Opener: Da bekommt man wirklich sofort den Eindruck, als sei das Stück in einer alten Maschinenhalle entstanden. Das kurze „Serpent in the River of the Arms of God“ knüpft an diese Form eines industriellen Ambients an. “The Hand that Feeds“ beginnt ähnlich, doch dann bricht nach einigen Minute eine ultraverzerrte Stimme ein, die eher an Power Electronics denken lässt. Auch das Titelstück arbeitet mit Stimme, die hier verlangsamt wird, bevor verzerrtes Brüllen einsetzt. „The River Runs Dry“ wird von mäandernden, metallisch klingenden Drones dominiert. “Nil but Rot (Negation is Purity)” wird von schleppender Metalperkussion durchzogen. Der Abschlusstrack “Perdition (Death’s Disaese)” klingt mit seinen in der Ferne rezitierenden Stimmen fast wie eine industriellere Version der frühen Ain Soph.

In letzter Zeit hat man vermehrt den Eindruck, dass gerade Amerikaner sich an PE-/Death Industrial-Hybriden versuchen, bei denen sich rabiate und ruhige Momente abwechseln. Auch Gnawed setzen auf dem dritten Album auf punktuelle und gezielte Eruption(en). Auf Albumlänge funktioniert das erstaunlich gut, was sicher daran liegt, dass “Pestilence Beholden” erstaunlich variantenreich ist. (MG)

Label: Malignant