STARCLUSTER AND MARC ALMOND: Silver City Ride

Unberechenbar ist er, dieser Mann, der in den Hochzeiten des New Wave die Popmusik um eine frische, romantische Note bereicherte, der mit seiner damaligen Band einen Song coverte, der daraufhin so berühmt wurde, dass er unzählige weitere Versionen nach sich zog – Marc Almond, einziger Popstar des England’s Hidden Reverse, der über die Jahre vom glamourösen Coverstar zum schwermütigen Torch Singer mutierte und seinen Mojo Avard vielleicht auch ein bisschen für seine Unverwüstlichkeit bekam – damit ist nicht nur gemeint, dass er seine Karriere so manchen Widrigkeiten zum Trotz nie aufgegeben hat, sondern auch seinen wichtigsten Themen treu geblieben ist: dem Abseitigen “from the catwalk to the sidewalk”, dem Narzißmus, der tragischen, fast mystisch erfahrenen Liebe.

Doch genug der Lorbeeren, denn das beinahe heimlich veröffentlichte „Silver City Ride“ ist nicht einmal ein genuines Almond-Album, sondern eine Kollaboration mit dem deutschen Electronica-Projekt Starcluster, hinter dem sich die Musiker Roland Faber und Kai Lüdeling (ex-The Rorschach Garden) verstecken, die bereits als Remixer am “The Dancing Marquis”-Album mitwirkten. Schon das Covermotiv aus der Werkstatt von Emil Schult, der bei Kraftwerk (nicht nur) für einige der klassischen Covermotive zuständig war, lässt erahnen, dass hier Akkordeon, Piano und Streicher zuhause bleiben und auch Neil X sich und seiner Gitarre eine Auszeit gönnt, stattdessen erlebt man eine Zeitreise in ein futuristisches, heute nostalgisch wirkendes Romantik-Szenario, das in den frühen und mittleren Achzigern die Herzen aller modisch gestylten Melancholiker hätte höher schlagen lassen.

„Silver City Ride“ beginnt mit dem gleichnamigen Song, einem Ohrwurm, der sämtliche Eighties-Klischees, die man liebt, erfüllt: elegante, elektronische Takte im Uptempo, gut dosierte Handclaps und melodramatische Synthies bei jedem Refrain – vor allem aber das, was Almond am besten kann: schmachtvolle und zugleich euphorische Verse über den Rausch des Verliebtseins. Mit exaltiert in die Luft gereckten Armen wie ein Teenager sieht man ihn am Horizont verschwinden – „like stars into the night, free and you with me in a silver city ride“. Bei „Pixilated“ hätte man damals wahrscheinlich als erstes an Kraftwerk gedacht, doch Gesang und Text sind Almond in Bestform. Wenn sich das lyrische Ich als Phantom, als (computerentworfene?) Illusion präsentiert und beteuert „I was never really here“, beschleicht einem das Gefühl, der unwirkliche, ungreifbare Geliebte aus Songs wie „Scar“ käme hier selbst zu Wort. In vielen Songs geht es, ganz den Themen der Achziger entsprechend, um simulierte Identitäten, so z.B. in „Avatar“, einem perfekten Torch Song nach New Romantic-Art, in dem wieder der verzweifelt Begehrende spricht, und schon klingen all die Songs nach, die Almond diesem archetypischen Avatar widmete: „Scar“, „Bedroom Shrine“, „The Heel“ oder das von Jacques Brel gecoverte „Litany for a Return“.

Zu jedem der vielen Songs könnte man viel sagen, ich will nur meine persönlichen Highlights kurz ansprechen. Da wäre das verruchte „To Have and to Have not“, bei dem man das Folkige, Chansonhafte zu hören meint, das im Laufe seiner Karriere eine so große Rolle spielen sollte, doch vielleicht trägt jeder Almond-Song ja ein bisschen sein ganzes Werk in sich. Starcluster jedenfalls haben ein gutes Händchen für Almonds typische Stimmungen, denn ihre Musik bildet dazu keineswegs nur eine nette, aber austauschbare Kulisse. Ebenfalls hervorzuheben „Always with you“ mit seinem fast vergessenen Plastiksound. Die weiblichen Synthiechöre aus der Retorte sind fast ein bisschen viel, aber hier passt es. Dann als einziges Cover der Valerie Dore-Hit „Get Closer“ sowie „Smoke and Mirrors“, die musikalisch derart nach Fancy klingen, dass man – im Unterschied zu klassischen Soft Cell- und Almond-Stücken – Discofox tanzen könnte, doch der Gesang veredelt auch dies.

Ich kann „Silver City Ride“ nur im Kontext von Marc Almonds zurückliegenden Aufnahmen beurteilen, da mir Starcluster bisher nur wenig sagten – diejenigen Fans, die sehr an den eher akustischen Songalben der letzten Jahre und einer musikalischen Gewandung von Leuten wie Neil X, Martin Watkins und Michael Cashmore hängen, werden diese Platte vielleicht etwas sehr „retro“ finden, doch genau das soll sie vermutlich auch sein. Es mag nicht die naheliegendste Asoziations ein, aber auf gewisse Weise hat „Silver City Ride“ auch etwas von einem Eingeständis, und zwar insofern, dass Marc Almond sich nie zuvor so sehr zum elektronischen Pop der Jahre um 1980 bekannt hat. Damals, in den ersten Tagen von Soft Cell, war sein Gesang und sein ganzes Auftreten immer schon eine deutliche Spur souliger, chansonhafter, kabarettartiger als der Standard der Jugendkultur, zu der er selbstverständlich gehörte, was sich dann schon kurz später, beginnend mit den Mambas, immer deutlicher abzeichnen sollte. Zwar gab es immer, wie beim leider etwas untergegangenen Soft Cell-Comeback „Cruelty Without Beauty“ 2002 Rückbesinnungen auf diesen Teil seiner Wurzeln, doch dieses Album ist der bisslang konsequenteste Schritt in diese Richtung – mit anderen Worten: Almond war nie so Eighties wie hier, und das ist ausnahmsweise gar nicht spöttisch gemeint. (U.S.)

Label: Closing The Circle / Private Records