REINIER VAN HOUDT: Paths of the Errant Gaze

Reinier van Houdt war schon lange in der Neuen Musik und im Improvbereich aktiv, bevor er im Zuge von „I am the Last of the Field that Fell“ als Pianist bei Current 93 einstieg, was hier und da dazu führte, dass er immer seltener als Experimentalmusiker wahrgenommen wurde. Auf „Paths of the Errant Gaze“, das vor einigen Wochen bei Hollow Ground erschien, setzt er aber ein deutliches Zeichen in diese Richtung, denn der Mix aus unterschwelligen Klavierspuren und wandlungsvoller, durch allerlei Effekte verfremdeter Elektronik ist so schwindelerregend wie das Coverartwork und entsprechend eindringlich.

„Paths of the Errant Gaze“ steht laut Eigenangabe ganz im Zeichen der Frage, wie sehr unsere tägliche Wahrnehmung immer auch ein kreativer Akt ist. „Perception is a vice that constantly hallucinates realities“, konstatiert van Houdt, denn beim Wahrnehmen gibt allein schon die Fantasie ihren Anteil bei. Für den Künstler ist das mehr als nur eine Parallele, sondern eine Entsprechung zum Aufzeichnen sinnlicher Phänomene, in seinem Fall Alltagsgeräusche, die er wohl permanent aufzeichnet, und in die immer auch Ungeplantes Einzug hält. Wahrnehmung ist ein beinahe schlafwandlerischer Akt des Getriebenseins, ein Errant Gaze.

Entsprechend reich an unerhörten Begebenheiten ist sein Umherirren auf diesem Pfad durch den nur sparsam ausgeleuchteten Irrgarten der sinnlichen Welt. Das aggressive Geflüster, das sich in „Atopic Radio“ irgendwann als absurdes Aufsagen deutscher Zahlen entpuppt und gegen Rauchen und Brodeln standhält, stimmt ganz gut darauf ein, dass dieser Irrgarten auch seine angsteinflößenden Seiten hat. Dunkel, dicht und verrauscht geht es hier ohnehin auf vielen Wegstrecken zu, dezent dosierte Tonfolgen auf dem Flügel dringen dort nur ab und zu etwas deutlicher durch, langsam vorantastend und trügerisch einlullend in „The Fabric of Loss“, tief und feierlich als Begleitung des vokalen Lamento in „Gaussian Veils“, fast heimlich am tiefsten Grund der heftigen Noisenummer „Transfinite Spectre“.

Das intensivste Stück und für mich der Höhepunkt des Albums ist „Orphic Asylum“, das man sich fast zwangsläufig als einen Ort wie Bedlam vorstellen muss: Eindringlich wirre Celloparts flankieren wildes Affengelächter, das die stoffeligen Takte fast aufgeräumt erscheinen lässt. Doch begleitet von Detonationen ändern auch die ihre Richtung immer wieder, und bei all dem überhört man fast die geheimnisvoll-schöne Melodie, die sich quietschend aus irgendeiner mysteriösen Klangquelle herauswindet. Im kurzen finalen „Vapours“ verschwindet all dieses Material fast ein bisschen plötzlich wie sanfter, sich im Sonnenlicht auflösender Nebel – auf eine gewisse Weise erscheint dies wie der angemessenste Schluss eines derart ereignissreichen und zugleich schwer greifbaren Albums. (U.S.)

Label: Hallow Ground