LAWRENCE ENGLISH: Cruel Optimism

Es mag etwas einseitig sein, den doch recht allgemeinen Begriff des Optimismus einzig auf die Optimierungsideologie zu münzen, die v.a. seit den 90ern den Subjektpraktiken der westlichen Gesellschaften ihren Stempel aufgedrückt hat. Mit ihrem Essayband “Cruel Optimism” hat die amerikanische Autorin Lauren Berlant jedenfalls einige Gedanken angestoßen zu den zwiespältigen Phantomjagden, die in unserer Gesellschaft unter Werten wie Leistung und Wellness vonstatten gehen. Ein Schlüsselwort ist dabei der eher im spirituellen Kontext gebräuchliche Begriff der Anhaftung, der eine starke Abhängigkeit von Dingen, Personen, Ideen und Zielen bezeichnet.

Lawrence English hat das Buch bereits vor einem halben Jahrzehnt gelesen. hauptsächlich wegen Berlants Ausführungen zum Trauma als Blockade wie auch Motor menschlichen strebens, doch es waren die ereignisse der jüngsten Vergangenheit – die Flüchtlingskrise, die auch in seiner australichen Heimat ihre Auswirkungen hatte, die Drohnenkriege des Westens, die Notwendigkeit einer Black Lives Matter-Bewegung, die jüngsten Veränderungen in Großbritannien und den USA – die English dazu bewegten, ein ganzes Album dem Buch zu widmen und nach ihm zu benennen. So wie er in Berlants Schriften einen Teil der Essenz seiner eigenen gedanken fand, sollte das Werk ein bisschen wie eine Summa seiner zurückliegenden Kreativität enthalten – mit anderen Worten war klar, dass es ein besonderes und besonders persönliches Album werden sollte, und gerade deshalb hat er eine ganze Reihe an Kollegen (Thor Harris, Mats Gustafsson, Mary Rapp und Norman Westberg, um nur die Bekanntesten zu nennen) aufgesucht oder ins eigene Studio geladen und auf Dialog gesetzt.

Wenn ein rein musikalisches Werk nun derart stark vone iner nichtmusikalischen Quelle inspiriert ist, ist der Bezug freilich nur schwer zu bewerten. Man mag den einfluss eindringlicher Gedanken zwar in der musikalischen Intensität spüren (oder zu spüren glauben), letztlich aber liegt in solchen Fällen immer zweierlei vor: Zum einen ein autonomes Werk, das auch ohne die Referenz funktionieren kann und sollte, das zum anderen aber auch ein Hinweis auf die zugrundeliegende Quelle, ein Dokument der Dankbarkeit und nicht zuletzt auch ein neuer, quasi interpretatorischer Kontext für diese Quelle sein kann.

In all diesen Funktionen ist “Cruel Optimism” ein ungewöhnlich intensives Album geworden: Infernalisch oft in seinem hallenden Rauschen und vibrierenden Dröhnen, oft laut, dynamisch und prasselnd wie in “Hard Rain”, doch nicht zuletzt auch wegen der melancholie, die alle Stücke durchwirkt, niemals prahlerisch, sondern auf eine Art genügsam, die das Erhabene, auch die erhabene Ernsthaftigkeit echter, pathosfreier Schwermut zu würdigen weiß. Doch es hat auch eine besinnliche Seite, die in “Requiem for a Reaper” und “The Quietest Shore” ganz nah an Stille heranreicht. In letzterem winden sich abstrahierten Kirchenglocken aus dem ruhigen Szenario, und man denkt schnell an das Foto des ertrunkenen Alam Kurdi, das English im Begleittext erwähnt. Dann wieder scheint die Musik in ihrer kernigen Materialität auf sich selbst zu verweisen, wie in “Object of Projection”, bei dem gesampletes Metallrasseln auf Xenakis-Art durch den Klangraum gezogen wird. Unerbittlich schrecken “Hammering a Screw” und “Exquisit Human Microcosm” auf, die ein heroisches Pathos anklingen lassen, eines jedoch, das aus der Niedergeschlagenheit herausbricht, diese mit der Wucht eines expressionistischen Schreis in die Welt schleudert und gleichsam durchbricht.

Was am Ende fehlt, ist ein erneuertes, von Labsal geprägtes Tableau. Genau dies würde der Kritik am obsessiven Machbarkeitsglauben auch zuwiderlaufen. Dass “Cruel Optimism” allem zum Trotz dennoch kein schwarzmalerisches Werk geworden ist, ist eine seiner starken Seiten. (U.S.)

Label: Room40