GRAILS: Chalice Hymnal

Kann man hier schon von einem Comeback reden? Ganz früh in diesem Jahrzehnt machten Grails als Grails zuletzt von sich reden, nach ihrem von Fans und Journaille gefeierten „Deep Politics“ richteten sie ihren kreativen Fokus aber zunächst auf andere Bandprojekte wie Om, Watter, das fast poppige Songwriter-Projekt Holy Sons und den seltsamen, aber reizvollen Hybriden Lilacs & Champagne. Es scheint, als haben all diese Exkurse Alex Hall, Emil Amos und Zak Riles gut getan, denn „Chalice Hymnal“ klingt um einiges frischer und unverbrauchter als das letzte Opus, auf das sie hier ganz demonstrativ mit dem Songtitel „Deeper Politics“ referieren.

Experimentierfreudig waren die Portlander seit eh und je, und in vieler Hinsicht sind sie sich auch nach einer Pause von über sechs Jahren treu geblieben. Unabhängig von der Länge sind die ausschließlich instrumental gehaltenen Tracks episch, entfalten stets in sich abgeschlossene, umfangreiche Erzählstränge, die hier und da durchaus komplex ausfallen können, auch wenn man das aufgrund der harmonisierenden Stimmigkeit nicht immer sofort bemerkt. Auch dem Stimmungsgemisch von Verspieltheit bis mystischer Ergriffenheit, von gelegentlich doomiger Schwere bis hin zu erdiger Americana und nerdigen Trashfilm-Anleihen bleiben sie treu. Doch es kam etwas Unberechenbareres hinein in das hier und da von Jazz und Funk aufgelockerte Psych Rock-Gerüst, so als ob die gerade von ihren Exkursen heimgekehrten Musiker das Abschweifen und Zusammenführen nun auch auf der Binnenebene zu einer Tugend gemacht hätten.

Viele der Stücke starten von einem recht entspannten Ausgangspunkt und setzen zunächst auf wenige, aber effektvolle Details – traurig tremolierende Klangteppiche aus miteinander verschwimmenden Gitarren und Synthies, einfache, unprätentiöse Takte aus dem Fundus Emil Amos’, der, wie er gerade auch bei OM beweist, den entgrenzten Freakout ebenso wie den vitalen Kraftakt beherrscht, aber auch in der Kunst der Zurücknahme bewandert ist. Solche Zutaten prägen oft das Ausgangssetting, das wunderbar in einen verregneten Nachmittag in jeder Jahreszeit passt. Ein zufriedener Fatalismus prägt den Longplayer über viele Strecken und lässt die Hörer wie auf sanften Wellen dahintreiben, und je nach dem, wie gut man sich in dem Setting eingerichtet hat, registriert man vielleicht erst mit der Zeit, wie massiv die unterschiedlichsten neuen Komponenten aus allen Richtungen dazu kommen, die Rhythmen aufgewühlter und auch mal deftiger werden, und sich immer markantere Melodien (wenn man es nicht besser wüsste, würde man das eine oder andere Gitarrensolo für ein Temorsaxophon halten) in den Vordergrund spielen. Irgendwann wird unmissverständlich klar, dass „Chalice Hymnal“ auch durch Opulenz heraussticht.

Was ich „zufriedenen Fatalismus“ genannt habe, entpuppt sich als ein meditativer Zug, der viele divergierende, unterschwellig hektische Details, die v.a. Amos gekonnt von der Hand gehen, zusammenhält. In „Pelham“, einem der stärksten Songs, werden diese vom Gitarren- und Elektronik-Sound wie von einer Welle aus Dunkelheit verschluckt und bis zur Verschmelzung versöhnt – was bleibt, ist eine sanft melancholische Westcoast-Stimmung, die den Song wie ein dezentes Progstück enden lässt. Bei all dem ist in jedem Stück und in jeder der wechselhaften Stimmungslagen die Energie zu spüren, mit denen das Trio zu Werke gegangen ist – es bleibt zu hoffen, dass diese Vitalität nicht vollends aufgebraucht wurde, und das nächste Kapitel Grails nun weniger lange auf sich warten lässt. (A. Kaudaht)

Label: Temporary Residence