GERMAN ARMY: Pyura Chilensis

Wer German Army mal ein Jahr lang nicht verfolgt hat, merkt schnell, wie viel man in so kurzer Zeit verpassen kann. Seit dem bisher einzigen Vinyl-Album „Kalash Tirich Mir “ und der Split mit Novy Svet, die beide Ende 2015 erschienen sind, sind von der mysteriösen Formation aus dem kalifornischen San Bernardino wieder eine Reihe an Tapes heraus gekommen, und wenn die online hörbaren Aufnahmen repräsentativ sind, dann hat sich an der grundsätzlichen Ausrichtung im Grenzbereich von Rhythm Noise, Minimalismus und ritueller Exotik erst einmal nichts geändert. Das ist auch nicht nötig, bedenkt man, wie viel man in diesem Rahmen unterbringen kann.

Ein Markenzeichen der Band sind obskure, anspielungsreiche Titel, die eine gewisse inhaltliche Richtung vorgeben und zugleich auf absurde falsche Fährten locken, die German Army einen von großen Fragezeichen markierten Dada-Touch verleihen. Eines ihrer neueren Tapes nennt sich „Pyura Chilensis“ – der Titel bezeichnet ein den Manteltieren verwandtes Lebewesen, das auf deutsch Chilenische Aszide genannt wird.

Ich weiß nicht, ob die Tatsache, dass das wie ein Stein aussehende Tier immer männlich zur Welt kommt, irgendwann sein Hirn verdaut und daraufhin zu einem Hermaphroditen wird, in irgendeinem Bezug zum Konzept des Tapes steht, interessant ist das alles gewiss. Das gilt aber auch für den restlichen Inhalt des Releases: Eine heruntergepitchte Stimme schwebt über monotonen Tribal Beats, mysteriöses Klingeln ertönt im Hintergrund, mit der Zeit verdichtet sich die beklemmende Stimmung immer mehr – keine guten Omen für einen Song namens „Believe System“ – alles wirkt desolat, auch die hineinmontierten kitschigen Computersounds. Manche der meist eher kompakten Tracks haben Interludiumscharakter, sind mitreißend in ihrer flächigen Ausrichtung, andere leben von vertrauten German Army-Motiven: Latent aggressive Ethnobeats, teils mit Breakbeat-Einschlag, ein niemals geerdeter Untergrund, verstörender Sprechgesang, dessen Inhalt so hermetisch ist wie die Songs mit Titeln wie „Castle Hill Enclosed“, „Great Plain Szeged“, „Kaieteur Mist“ oder „Populist Theory“. Politische, „interkulturelle“ Themen klingen an, ein nerdiger Exotismus ohne viel Kitsch, vielleicht eine angedeutete westliche Wahrnehmung der Welt.

Zwischen den vielen Soundideen, zwischen Dub-Momenten, gebrochenem Noise und blubbernden Rhythmen finden sich vereinzelte Momente von etwas Monumentalem, das für einige Minuten die ironisch wirkende Ausrichtung der Musik vergessen macht. Am ehesten vielleicht in „Festival of Future“, wo mit wabernden und flickernden Komponenten immer größere Kreisbewegungen vollzogen werden, ein immer größerer Gegenzoom, der in einem weiträumigen Panoramaschwenk gipfelt, bei dem man die ganze Zukunft überschaut. Auf den Boden des hier und jetzt holt uns spätestens „Populist Theory“ zurück, ein kaum zu verstehender (und damit den Titel irgendwie schon kommentierender) Vortrag zu einem Feuerwerk an martialischen Drums, die jede Industriehalle zum Kochen bringen würde. (U.S.)

Label: Luce Sia