Ich habe schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass es kaum möglich ist, über Coilveröffentlichungen der letzten Jahre zu schreiben, ohne die Fragwürdigkeit und/oder die Legitimität der meisten Tonträger anzusprechen, die nach Peter Christophersons Tod erschienen sind. Ein Beispiel ist die Veröffentlichung des “Backwards”-Albums, bei dem Cold Spring und Danny Hyde den Eindruck vermittelten, der einzige Grund, warum das Album nicht von Coil veröffentlicht worden sei, seien rechtliche Auseinandersetzungen mit den „grey men“ der Industrie gewesen seien und nicht etwa, dass das Album für Balance und Christopherson (u.a. auch) zu konventionell geraten war: „Rough mixes from that time have been floating around the Net for years but were pretty rubbish, and neither Geff or I wanted to release them or could see how to make them work“, bemerkte Sleazy vor einigen Jahren in einem Interview.
Jetzt wird das unter dem Projektnamen Time Machines veröffentlichte Album unter Mitwirkung Drew McDowalls bei Dais Records neu herausgebracht. McDowall, der in den letzten Jahren eine Reihe hervorragender Alben veröffentlicht hat, spielte Ende der 90er eine nicht unbedeutende Rolle bei der Genese von Time Machines und war als Coilmitglied bei einer Reihe wichtiger Veröffentlichungen der Spätphase der Band beteiligt. Die Pläne für ein sehr umfangreiches weiteres Time Machines-Projekt wurden (wie so oft bei Coil) leider nicht vollendet und Peter Christopersons postum veröffentlichtes Album “Time Machines II” ist musikalisch doch etwas anders ausgerichtet.
Die Zeit, in der Time Machines entstand, war eine Phase des Experimentierens, in der Coil sich neu (er)finden mussten. Das ging von der „recycled music“ des „Hardcore ambient’“–Projekts ELpH über Black Light District bis zu Time Machines – einer von Coil selbst als „extremely minimal” bezeichneten Veröffentlichung mit vier langen Drones, deren Titel Namen von allerlei Halluzinogenen tragen, von denen selbst die für ihren „responsible abuse of pleasure“ berüchtigten Coil nicht alle selbst ausprobiert hatten. Das Artwork verweist auf John Dee, dessen Scrying mirror und Monade das Album zieren. Time Machines war der Versuch Musik zu erzeugen, die analog zu ritueller Musik „temporal slips“ ermöglichen soll(te). “Musick cures you of time”, hieß es dann auch auf einer von der Band verkauften Uhr sowie einem T-Shirt. Das mag man vielleicht mit einer gewissen Monotonie assoziieren -das Motto des Albums ist dann auch „persistence is all“ -, aber die vier zwischen zehn und 26 Minuten langen Tracks sind von einer beeindruckenden Konsistenz und Melodik und subtile und minimale (Ver-)Änderungen geben den Stücken eine ziemliche Dynamik: Etwas dunkler bei “2,5-Dimethoxy-4-Ethyl-Amphetamine: (DOET/Hecate)”, etwas flirrender bei “5-Methoxy-N,N-Dimethyl: (5-MeO-DMT)”. Es mag eine abgegriffene Metaphorik sein, aber man wird zum Teil an das An- und Abschwellen des Ozeans erinnert und muss fast unweigerlich an die Projektionen denken, die Coil für „Are You Shivering“ einsetzten.
Natürlich kann es dem Album bzw. dem Hörenden (ob mit oder ohne Intoxikation durch DOET, Psylocybin, Harmin oder 5-MeO-DMT) nicht gelingen, das „Echo einer Axt in einem Wald“ (P. Larkin) (vulgo: Zeit) auf- oder gar anzuhalten, aber man kann seine Zeit sicher schlechter verbringen und wer weiß: Vielleicht passiert dann doch das eine oder andere: “artifacts generated by your listening environment are an integral part of the experience”, wird der Hörer im Innern des Albums schließlich informiert. (MG)
Label: Dais Records