PETER CHRISTOPHERSON: Time Machines II

Auch wenn es profan sein mag, aber vor der Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Werk ein paar Worte über die Art und Weise, wie mit dem Nachlass von Coil umgegangen wird: Dass man sich (noch immer) nicht auf einen Modus zur Wiederveröffentlichung der regulären Alben hat einigen können, ist mehr als bedauerlich und nutzt letztlich auch nur einer Partei: nämlich den Bootleggern. Wer in den letzten Monaten Plattenläden in London durchstöberte (oder aber schlicht das Internet bemühte), der fand eine Reihe sich den Nimbus des Offiziellen gebenden Veröffentlichungen. Dies verdeutlicht, dass ein Bedarf nach der Verfügbarkeit des Materials abseits von wav-files, Mp3s etc. besteht. Dass unter dem Namen „Recoiled“ in allerlei Formaten nur bedingt essentielle Remixe von NIN-Stücken auf den Markt geworfen wurden, ist ebenfalls nur bedingt erfreulich, aber immerhin war Danny Hyde so ehrlich zu sagen, dass er das Geld einfach gebraucht habe.

„Time Machines 2“ wird auf einem eigens dafür hergestellten USB-Stick angeboten. Sleazy hat zwar in den vergangenen Jahren in Interviews öfter von einem anderen Datenträgerformat als der CD gesprochen, dabei ging es aber darum, das umfangreiche Gesamtwerk Coils auf einen Träger zu bannen; ob es unbedingt notwendig gewesen wäre, die etwa 80 Minuten Musik von „Time Machines 2“ auf einem limitierten und (natürlich) nicht gerade billigen USB-Stick zu veröffentlichen, ist eine andere Frage. Die Begründung, dadurch könnten andere Frequenzen als auf CD wiedergegeben werden, kann man schwerlich nachprüfen. Aber natürlich, wenn man dieses schön designte Artefakt sein eigen nennen darf, fällt es schon leicht, all diese Bedenken beiseite zu schieben. Dass aber wie üblich die logische Konsequenz aus der Limitierung ist, dass der Tonträger schon jetzt nicht mehr verfügbar ist bzw. auf discogs für horrende Summen angeboten wird, ist einfach nur ärgerlich, denn diese Musik sollte von mehr als nur 777 Personen gehört werden.

Das erste Time Machines-Album erschien Ende der 90er, also zu einer Zeit, als Coil mit verschiedensten Projekt(nam)en experimentierten: Von Black Light District, ELpH, The Eskaton und eben Time Machines wurde Material veröffentlicht, andere durch den Äther geisternde Namen wie Trial by Music, Wormsine, Lifestyle, 2012 oder Drum Machines brachten es nie zu Aufnahmen. Die nach vier psychotropen Substanzen benannten Drones des Time Machines-Albums, von denen selbst die für ihren „[ir?]responsible abuse of pleasure“ berüchtigten Coil nicht alle ausprobiert hatten, sollten unter dem Motto „Persistence is all“ wie Zeitmaschinen funktionieren (später hieß es dann auf einem T-Shirt und einer Uhr: „Musick cures you of time“). Das damalige Coil Mitglied Drew McDowall veröffentlichte jüngst mit seinem Projekt Compound Eye ein großartiges Album, das musikalisch daran zumindest teilweise anknüpfte. Coils geplantes 5-CD Set von Time Machines  ging wie so vieles nicht über das Planungsstadium hinaus. An „Time Machines II“ arbeitete Sleazy vor seinem Tod und bastelte eigens dafür seltsame Klangerzeuger, die sich vielleicht gar nicht so schlecht als Steampunkaccesoires machen würden.

Waren Sleazys nach dem Ende von Coil begonnenen Projekte Threshold HouseBoys Choir und Soisong insgesamt wesentlich optimistischer, vielleicht sogar „happy“ -der düsterste Track Sleazys aus den letzten Jahren war sein Solobeitrag für Throbbing Gristles „The Endless Knot“, das mehr als doppeldeutig betitelte „After the Fall“ – , ist „Time Machines II“ hingegen ein irritierenderes Werk, das sich vom Vorgänger (zumindest partiell) unterscheidet. „1“ besteht aus verhallenden kristallinen Klängen, die eher in einer Eiskathedrale aufgenommen worden zu sein scheinen und nicht etwa in der Hitze von Sleazys Wahlheimat Thailand. „2“ klingt dagegen wesentlich hektischer, da(s) sind Töne, die sich fast überschlagen, während es im Hintergrund dröhnt: Hier wird die Zeit nicht ent-, sondern beschleunigt. „3“erinnert vielleicht am ehesten an das Vorgängeralbum: dunkle, pulsierende Drones, leicht unruhig, die einen für zehn Minuten von der Tyrannei der Zeit befreien (sollen). „4“ lässt entfernt an das zweite Stück denken: So in etwa hätte ein nicht funktionierender Rechner in einem Science Fiction-Film aus den 50ern klingen können. Kollaps der Technik. „5“ ist ein rhythmisch düsterer Track, der fast tanzbar zu nennen ist, nach einigen Minuten lichtet sich die Stimmung und es setzt eine Melodie ein, die vielleicht entfernt an das Land denken lässt, in dem diese Aufnahmen entstanden sind. „6“ enthält Rhythmus, Pochen, dann ambiente Finsternis. „7“ schließlich ist ein sich langsam entwickelndes dröhnendes Monster.

Die Homogenität des Vorgängeralbums besitzt diese Veröffentlichung also nicht, aber auch dieses Album könnte den Hinweis enthalten: “Artifacts generated by your listening environment are an intrinsic part of the experience.” Oder man denkt an Sleazys 2010 geäußerten Satz: “The last few years have seen me becoming more interested in changing state (legally obviously) not as a route to intoxication, leading to loss of Awareness of the Present Moment, but as a way of opening doors to new visions, capabilities and knowledge.”

(M.G.)

Label: Threshold House