Kathleen alias Ka Baird wurde zunächst als eines der Gründungsmitglieder der mittlerweile zum Duo geschrumpften Avantgarde-Folkband Spires That In The Sunset Rise bekannt, bei denen sie sang und neben der Flöte noch eine ganze Reihe weiterer Instrumente spielte. Seit ihrem Umzug von Chicago nach New York und ihrer Entscheidung, primär als Solomusikerin zu arbeiten, lotet sie verschiedene instrumentelle und kompositorische Möglichkeiten aus, so dass ihre nunmehr drei Veröffentlichungen in jeweils ganz unterschiedliche Richtungen gehen: Auf die Piano-Improvisationen auf „See Sun Think Shadow“ folgte zunächst ein opulent instrumentiertes Tribute an John Coltranes „A Love Supreme“, und auch das gerade erschienene neue Werk ist musikalisch wieder anders gelagert, lässt wieder mehr Folkelemente anklingen, vorausgesetzt, man fasst den Begriff sehr weit, denn für Puristen wären die Stücke auf dem vorliegenden Album wohl eher so etwas wie Neue Musik. Leitmotivisch auf einer symbolischen Ebene ist bis heute der fremd klingende Begriff „Sapropelic Pycnic“, der zunächst als Projektname fungierte und nun, auf einem erstmals unter ihrem bürgerlichen Namen veröffentlichten Album, als Titel herhält.
Sapropelic Pycnic ist ein gewagtes Kompositum aus drei altgriechischen Begriffen: „sapros“ für „Verwesung“, „pelos“ für „Schlamm“ und „pyknos“, was so viel wie „dicht“ und „steif“ bedeutet. Das Wortspiel bezieht sich auf die von organischer Materie durchwirkte Schlammschicht, die am Meeresgrund, aber auch am Boden kleinerer Gewässer abgelagert ist. Für Baird, so viel zumindest ist dem Label zu entnehmen, eignet sich der Begriff auch als Metapher für die steife Masse an primordialen Ablagerungen, die die Basis des menschlichen Unbewussten bilden, und aus deren Substrat der nie abgeschlossene Identitätsfindungsprozess immer wieder neu hervorgeht.
Man muss sich von solchen Bildern nicht gleich zu Überinterpretationen verleiten lassen, doch die Struktur der Musik auf „Sapropelik Pycnic“, das sie mit einer kleinen Gruppe an Gastmusikern eingespielt hat, lädt durchaus dazu ein, sie sich als eine mal zähflüssige, mal überraschend bewegliche Masse vorzustellen, aus der immer wieder neue Formen entstehen. In „Migration“, dem eröffnenden Instrumentalstück, geht Bairds Flötenspiel, das auf weite Strecken im Zentrum der Musik stehen wird, derart in der elektronischen Bearbeitung auf, dass sie nur schwer aus dem Amalgam herauszuhören ist, erst später kristallisiert sich ihr Tremolieren deutlicher heraus. Oft bleibt ihr Spiel unbestimmt, lässt in „Tok Tru“ asiatische, orientalische und westliche Traditionen anklingen, doch was zusammen mit der einfachen Handperkussion noch wie ruhiges Abtasten wirkt, entlädt sich bald mittels Stimmeinsatz in heftigen Eruptionen: Seufzer, erschöpftes, fast schmerzhaftes Atmen, bald kraftvoller, derangierter Schamanengesang. Das Geräusch des Atems – ob direkt durch den Mund oder auch durch die Flöte zu Beginn oder am Ende ihres Einsatzes – ist dabei ein immer wiederkehrendes Motiv.
Viele Abschnitte des Albums könnten, auch ohne dabei nur in die Nähe von Songs zu kommen, äußerst schön, auch im klassischen Sinne, geraten – wenn Baird in dem ausladenden „Transmigration“ aus ihrer Stimmarbeit einen lyrischen Sopran heraushören lässt, wenn der raue, elektronischere Sound in „Oneiric“ fast tanzbare Formen annimmt oder die Streicherpassagen von Troy Schaefer (Kinit Her) kurz an melodramatische Filmmusik denken lassen – Baird bringt über den steten Wandel (ein Stück heißt bezeichnenderweise „Metamorphosis“) jedoch immer eine Unruhe ins Bild, die jeder Romantik entgegen wirkt. Überhaupt vermeidet die Musik bei aller Intensität zu starke emotionale Trigger, lässt auch die extremen Abschnitte mit einer gewissen Selbstverständlichkeit vorbeiziehen.
Titel wie „Are you myself?“ und „Ka“ rufen wieder die Frage nach persönlicher Identität in Erinnerung. Im Unterschied zur gängigen Verwendung des heute ohnehin arg strapazierten Begriffs erscheint diese hier nicht fest und griffig, sondern als ein Prozess, der gerade im letztgenannten Stück in seinen heftigen Geburtswehen gezeigt wird. Vordergründig ein leicht derangiertes Stück aus Drums und luftigen Flötenklängen dringen aus den Ritzen schnell andere Klänge an die Oberfläche: hastiges Hecheln, ein schreiendes Baby, undefinierbares Gebrülle, das wie durch ein offenes Fenster zu hören ist. Erst nach und nach übernimmt Bairds Stimme stöhnend und krächzend die Szenerie, bis alles im Malstrom der Mischmaschine verschwindet und nach und nach zur Ruhe kommt.
Was Baird auf „Sapropelic Pycnic“ gelingt, ist eine sehr intensive Musikerfahrung, die sich nur schwer mit herkömmlichen Begriffen beschreiben und noch weniger anhand von Genrebegriffen klassifizieren lässt, und deren subtile Urtümlichkeit auch ohne diverse Hinweise auf einen thematischen Überbau erfahrbar wird. Zu diesem gibt es in Kürze aber dennoch einiges zu erfahren, und zwar in unserem kommenden Interview mit der Künstlerin. (U.S.)
Label: Drag City