ALLYSEN CALLERY: The Song the Songbird Sings

Es gibt seid jeher ein Vorurteil gegenüber sanfter, filigraner Folkmusik, das v.a. von denen gepflegt wird, die solche Musik nie hören – nämlich dass eine solche Musik ein weltabgewandtes, an den Gegebenheiten seiner Zeit uninteressiertes Idyll kultiviert. Freilich eignet sich der dunkle, fragile Sound, von dem hier die Rede ist, nur schwer für Protestsongs, und ja, in seiner rein akustischen Ausprägung weckt er fast immer auch Assoziationen zu den Heterotopien jenseits der alltäglichen Erfahrung, zu Szenarien aus Natur und Vergangenheit.

Und doch eignet auch dem sanftesten Folk oft eine ganz eigene Abgründigkeit. Es gibt ihn in der Singer Songwriter-Variante als Ausdruck individuell betrachteten Leids, oft aber auch in einer düsteren Verschrobenheit, die die Welt aus einer ins Gespenstische entrückten Perspektive betrachtet und akzentuiert. Die Amerikanerin Allysen Callery ist schon insofern ein interessanter Fall, dass sie ihr musikalisches Feld ziemlich genau im Grenzbereich dieser beiden Ausprägungen beackert, ihr unaufdringlicher “Ghost Folk” mit dem leicht spröden Gesang und dem verträumt tänzelnden Fingerspiel auf der Gitarre ist zudem ausnehmend schön.

Ihr aktuelles Album “The Song the Songbird Sings”, das vor kurzem auf Vinyl neu herauskam, kommt auf sehr leisen Sohlen daher, und der Opener “It’s not the Ocean” hat mit fließendem Saitenspiel, entspannten Twangs und der leisen Melancholie des Gesangs etwas von einem Schlaflied. Doch nicht nur die Verse über das Ertrinken, auch eine leichte Brüchigkeit in der vielleicht etwas zu trostreichen Stimmung liefern einen kurzen Blick ins Bodenlose mit. Ohne zu stark vergleichen zu wollen, vermute ich, dass Hörer, die Ähnliches bei Marissa Nadler oder in etwas subtilerer Form bei Josephine Foster schätzen, auch an Callerys Songs Gefallen finden werden.

Oft ist es gerade das Zaghafte, Verhuschte, das nur leicht aufflackernde Andeuten einer leidenschaftlichen Liebe in “Bluest Bird”, das ein Gefühl von Unbehagen aufkommen lässt, wie man es aus Gedichten Emily Dickinsons oder aus Erzählungen Nathaniel Hawthornes kennt – sicher ein Zufall, dass die Musikerin, deren Songs so sehr nach der englischen Folkmusik der 60er und 70er klingen, ebenfalls aus dem Nordosten der USA stammt. Interessant ist, dass sich immer dann, wenn die Songs etwas deutlicher verwegen oder sarkastisch ausfallen, die Stimmung aufhellt – beim augenzwinkernden “Crapapple”, das ein paar Mutmachparolen für Selbstironiker enthält, oder dem bluesigen Americana-Song “Shoot me”, in dessen staubtrockener Kulisse sich auch Fee Reega wohlfühlen würde.

Nach solch kleinen Lichtungen jedoch ziehen einen die tiefmelancholischen Verse von “Sundown” (im Original von Gordon Lightfoot) oder der schaurige Balladengesang von “Snowfox” wieder ins vertraute nächtliche Terrain zurück, wo man stets erwartet, einen Schatz zu finden.

Label: Cosirecords