VALÉRIE RENAY: Your Own Shadow

Wenn Valérie Renay auf ihrem ersten Soloalbum über den eigenen Schatten singt, ist damit weniger der Schatten im tiefenpsychologischen Sinne, die verdrängte, bedrohliche Seite der eigenen Person gemeint, sondern die sprichwörtliche Situation, in der jemand nur noch ein Schatten seiner selbst ist – wie ein hohler Körper oder ein Bild, aus dem jede Farbe, jede Kraft herausgesogen wurde. Dass „Your Own Shadow“, das auf die schon vor zwei Jahren erschienenen Singles „I’m Everywhere“ und „Living in Germany“ folgt, jedoch alles andere als ein fades, kraftloses Album geworden ist, hat sicher damit zu tun, dass dieses Gefühl hier als Herausforderung dargestellt wird, als Gefahr, aber auch als Mauer, die im Einsturz begriffen ist.

Die in Berlin lebende Sängerin mit Wurzeln in Frankreich und Martinique ist zugleich Malerin und Performance-Künstlerin und den meisten wohl als weibliche Hälfte des Electro-Duos Noblesse Oblige bekannt, bei dem sie auch einen großen Teil des Songwritings übernimmt. Dass aus ihren neusten Songs ein Soloalbum wurde, war vermutlich früh klar, denn schnell zeichneten sich persönliche Themen ab, die alle im Zeichen eigener, zurückliegender Krisen stehen.

Der Schatten – nirgendwo kommt er deutlicher zum Ausdruck als im Opener „Hollow“. Wie aus der Schattenwelt eines Film Noir schleicht dunkles Dröhnen auf erwartungsvoll stimmenden Takten in den Raum, Spannung entsteht, Unbestimmtes braut sich zusammen. Fast irritiert der smoothe, relaxte Gesang, der zunächst gar nicht zu der dunklen Szenerie passen will, doch wenn Valérie von der inneren Leere singt und von einem Kummer, der jeden Atemzug erstickt, schließt sich der Kreis. Schon hier zeichnet sich ein doppelter Boden ab, der dem ganzen Album, auch dem Sounddesign, sein Gepräge gibt. Vitale, doch auch stets wandlungsfähige Synthies, griffige und sich doch eher tastend vorwärts bewegende Rhythmen schaffen ein Gerüst, das Luftig genug bleibt, um mit unterschiedlichen Ideen und Emotionen gefüllt zu werden.

Diese Ambiguität ist der deutlichste rote Faden des Albums: In „Speed of Blue“, dessen Text von Ian Pickerin (Sneaker Pimps) beigesteuert wurde, schaffen Synthies und mehrschichtiges Taktgeflirre eine Aufbruchseuphorie, die durch wehmütige Glöckchen und ein tiefes Chanson-Alto vom Abheben bewahrt wird. In manchen Stücken geht das leider etwas auf Kosten der Ohrwurmqualität, die man in Erinnerung an vergangene Noblesse Oblige-Alben vielleicht erwartet hätte, doch das ist eine der ganz wenigen Reduktionen auf dem ansonsten üppigen Werk, an die man sich schnell gewöhnt. „Rough and Ready“ und „Kick Again“ wirken noch kraftvoller, wobei die draufgeklebten Detonationen roboterhaft bleiben und die hektischen Takte mit verträumtem Bimmeln und sanften West Coast-Gitarren eine ambivalente Spannung erzeugen. Auf der anderen Seite offenbaren gerade die schwermütigsten Songs immer wieder Einfallstore für beinahe heiteren Wohlklang. Wie ein fernes Echo aus einem alten Morricone-Soundtrack durchdringen die sanften Vocals einen Song wie „Darkest Lake“ und verwandeln das wehmütige Stück nach und nach in ein verträumtes Schlaflied.

Das Ringen um Hoffnung und Dynamik ist gerade aufgrund der ambivalenten Stimmung in jeder Sekunde des Albums spürbar, und auch wenn keine allzu platte Rechnung vorliegt, scheint es mir kein Dokument des Scheiterns zu sein, und letztlich wiegt diese stimmungbezogene Qualität so schwer, dass man Produktion und Sounddesign, bei dem altbekannte Recken wie Boris Wilsdorf, Moses Schneider und Alexander Paulick-Thiel (Kreidler) mit am Gerät standen, fast für selbstverständlich nimmt. Wäre schön, wenn sich irgendwann noch eine Vinyl-Auflage realisieren ließe, bis auf weiteres ist das gute Stück über Bandcamp digital zu erwerben. (U.S.)