SHARRON KRAUS: Joy’s Reflection is Sorrow

Unter den Folksängerinnen der letzten Jahrzehnte gilt Sharron Kraus immer als die Spröde, deren Songs – v.a. wegen ihres ungeglätteten Gesangs – kaum zum Studentenfolk des letzten Jahrzehnts passten und auch denjenigen nicht wirklich entgegen kommen, die es bieder und altbacken mögen. Ihr neuster Longplayer ist gewiss nicht deshalb geworden, was er ist, weil sie ein für allemal beweisen wollte, dass sie auch ein veritables Popalbum auf die Beine bringen kann, und ein solches wäre “Joy’s Reflection is Sorrow” auch nur bei relativer Betrachtung – letztlich ist das Album aber hinsichtlich der Produktion, der Eingängigkeit und der Instrumentierung so “radiotauglich” ausgefallen, dass es mit etwas Glück ihr bislang meistbeachtetes Werk werden könnte. Aber die charmante Zugänglichkeit ist nicht das Einzige, was es an der Musik hervorzuheben gibt.

In ihren frühen Aufnahmen machte die Britin Kraus keinen Hehl daraus, dass sie neben den Traditionen ihrer Heimat auch von der Musik der anderen Seite des Atlantiks wie Apallachian Folk geprägt wurde, spielte neben der Gitarre öfters Banjo und kollaborierte mit amerikanischen Musikern wie Meg Baird oder Greg Weeks. Im Vergleich zu jüngeren Soloarbeiten tritt dies wieder deutlicher in den Fokus, mit dezenten Orgeln, E-Bass und einer allgegenwärtigen Slideguitar sorgt ihre sechsköpfige Begleitband für einen Americana-Sound, der bei Songs wie “Figs and Flowers” so weit ins Rock’n'Roll- und Roadmovie-Terrain geht, dass es angesichts des Artworks fast Wunder nimmt.

Lässt die subtil verfremdete Stimme und ein hypnotischer Takt diesem Stück noch eine leicht unkonventionelle Note, so folgen mit “The Man Who Says Goodbye” und dem melancholische Titelstück zwei Songs, denen man guten Gewissens Popappeal attestieren kann (oder angesichts der elektronischen Downtempobeats bei erstgenanntem vielleicht sogar muss). Kitsch? Durchaus nicht, wenngleich es immer wieder Kritiker gab, die nur den Fehler sehen wollen, sobald Folkmusik schön und schwärmerisch gerät, aber das muss nicht Sharron Kraus’ Problem sein. Letztlich ist es aber vor allem die der Instrumentierung und Produktion geschuldete Üppigkeit, die das Album von früheren Aufnahmen der auch sonst selten wirklich experimentellen Musikerin unterscheidet, in geringerem Maß vielleicht noch der Stimmeinsatz, der diesmal mehr denn je auf Harmonie getrimmt ist. Innerhalb dieses Rahmens finden sich jedoch etliche kleine Brüche, die die Musik interessanter machen: leichtes Feedbackdröhnen bei “My Danger”, dessen Takt darüber hinaus nur scheinbar zu Melodie und Harmonie passen will, etwas unterschwellig Desolates im leicht soundscapigen “Sorrow’s Arrow”, leichte Unsicherheiten im Tempo bei “Death and I”, das dem Album einen vielleicht morbiden, aber doch versönlichen Ausklang bereitet.

Kraus selbst bezeichnet das Werk als fröhlicher und lebensbejahender als viele ihrer früheren Aufnahmen, und in den Texten stellt sie der Dunkelheit, in die man durch persönlichen Verlust, aber auch durch die großen Ereignisse in der Welt gestoßen wird, den Fokus auf Freude am Bestehenden und Möglichen entgegen. Die daraus zwangsläufig resultierende Ausgewogenheit, bei der weder Licht noch Schatten verleugnet werden, ist sicher ein wesentlicher Energiebrunnen, von dem die Musik auf “Joy’s Reflection is Sorrow” zehrt. Irgendwelche “Quo Vadis”-Fragen erscheinen da sekundär. (U.S.)

Label: Sunstone Records / Nightshade Records