MIKE COOPER: Tropical Gothic

Der in Italien lebende Gitarrist und Klangkünstler Mike Cooper ist einer der originellsten Exotisten der letzten Jahrzehnte, denn er versteht es, die Motive, die im Kontext westlicher Populärkultur – in sleazigen Musik- und Filmgenres, im Tikki- und Kannibalenkult – exotische Projektionen markieren, zu abstrahieren und auf ihre wesentlichen Elemente zurückzuführen. Meist resultiert das in kaum songorientierten, “experimentellen” Soundscapes, doch die stecken meist derart voll mit Kolorit, dass man sich um den Unterhaltungswert keine Sorgen machen muss.

Für manche klingt das wie die Quadratur des Kreises, und auch der Titel seines neuen Wurfs, “Tropical Gothic”, klingt zunächst paradox, vorausgesetzt man nimmt das Wort Gothic allzu genau und hat wenig Wissen über Zombiemythen und Voodoo, über die (ethnologisch natürlich fragwürdigen) Kannibalenfilme der 70er oder, um das Ganze ins eher Subtropische auszuweiten, beeindruckende Einstellungen wie die sturmumtoßten Inseln in John Hustons Film Noir “Key Largo” von 1948 oder die Marschlandschaften in Kaneto Shindos “Onibaba” von 1964, auf den Cooper im vorliegenden Album mehrfach verweist.

Auch “Tropical Gothic” enthält zahlreiche Motive, die man aus Genrefilmen kennt oder die zumindest stark daran erinnern. Das können hörspielartige Sequenzen aus subtilen Spannungsmachern sein wie das hintergründige Knistern und Blubbern, das in “Shindo’s Blues” zusammen mit ein paar Tieren der Nacht die Erwartung auf ein aus nächtlichen Sümpfen kriechendes Monster weckt (welches allerdings in keinem von Shindos Filmen vorkommt), und das sich in “By the River” zu grobkörnigen, von leichtem Bimmeln durchsetzte Dronewellen formiert und dabei ähnliche Assoziationen weckt. Das können aber auch Tonfolgen auf der Surfgitarre (“A Mask of Flesh”), auf einem asiatischen Saiteninstrument (“Samurai”) oder auf hölzern klingenden Handtrommeln (“La’ap Blues”) sein, die sich mit dem subtilen Geräuschen verbinden und einem wie ein Deja-vu aus unzähligen dunklen Räuberpistolen vorkommen.

Während das “Onibaba” genannte Stück ein Höhepunkt dieser subtilen Spannung darstellt, stechen einige Stücke komplett heraus. Das mit fast achzehn Minuten einzig lange (Doppel-)Stück “Legong/Gods of Bali” wirkt wie ein Album im Kleinen und ist bei oberflächlicher Wahrnehmung ein fast meditatives Ambientstück mit Gongs, Glöckchen und Handdrums, bei genauerem Hinhören entfalten sich aber viele fast noisige Subtexte, die eine interessante Spannung einbringen. Während “Running Naked”, dessen Retrosynthiespur fast Pop ist, eine kurze paradiesische Fatamorgana am Horizont entstehen lässt, ist der Opener “The Pit” ein dreckiges Stück Disharmonie aus WahWahs und derangierten Rhythmen.

Nun ist ‘Gothic” auch immer ein Verdrängtes, das sich auf lichtscheuen Umwegen Gehör verschafft, und gerade in diesem Sinne setzt Cooper selbst das Album in den Liner-notes in einen postkolonialen Kontext: “Tropical Gothic includes, but is by no means limited to, a reflection on a region where European colonial powers fought intensively against indigenous populations and against each other for control of land and resources.” Letztlich streckt das Album seine Arme in ganz unterschiedliche Ecken der Musik- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts aus und und transportiert so eine Fülle, die man beim ersten unbedarften Hören vielleicht nicht einmal ahnt.

Label: Discrepant