LINGUA IGNOTA / THE RITA: Commissioned

Eine Split-Veröffentlichung mit zwei Bands kann sich aus den verschiedensten Gründen anbieten, stilistische Ähnlichkeiten und die Erwartung, damit ein ähnliches Publikum anzusprechen, sind nur zwei davon. Lingua Ignota, das über zahlreiche Genregrenzen hinweggehende Projekt der Sängerin Kristin Hayter und der unter dem Namen The Rita firmierende Harsh und Sleaze Noise-Veteran Sam McKinlay und seine Mitstreiter sind musikalisch zumindest auf den ersten Blick so unterschiedlich, dass man im Vergleich die 2009 erschienene gemeinsame LP von Zola Jesus und Burial Hex als geradezu homogen betrachten könnte.

Auf der ersten Seite präsentiert Lingua Ignota mit “The Girls From The Streets” und “Jolene” zwei der Coverversionen, die Hayter 2018 ursprünglich für ein eigenständiges Album eingespielt hatte. “The Girls From The Streets” ist eine schleppende und mehrfach gebrochene Interpretation eines leider etwas unterrepräsentierten Scott Walker-Klassikers von 1968, der auf herrlich ambivalente Art ein berauschendes Nightlife-Szenario entwirft, in welchem immer wieder Signale von Ausbeutung, Verdinglichung und Auswüchsen eines “toxischen” Geschlechterverhältnisses durchscheinen, die dem lyrischen ich, wie es scheint, kaum auffallen. Durch den melancholische Gesang und gelegentliche durchscheinende aggressive Momente, die einem Swans-Song mit Jarboe zur Ehre gereicht hätten, lässt Lingua Ignota die abgründigen Aspekte des Songs, freilich zu Ungunsten der subtilen Ambiguität, deutlicher hervortreten, die minimalen, spannungsgeladenen Tonfolgen auf dem Klavier und ihr Touch von lyrischem Sopran unterfüttern all dies. Hier scheinen die Mädchen von der Straße selbst die Perspektive des lebenshungrigen Aufreißers zu übernehmen und seine Worte selbst in originalgetreuer Wiedergabe dunkel einzufärben.

Das exaltierter vorgetragene und etwas weniger schleppende “Jolene” funktioniert nach einem ähnlichen Muster, wobei Dolly Partons Country-Klassiker seinerzeit weniger auf Ambiguität als auf ungebrochenen Selbstausdruck setzte. Vielleicht war das im Popkontext selten unkaschierte Verpacken von Ohnmachts-, Unterlegenheits- und Abhängigkeitsgefühlen in einen Song einer der Gründe, warum er einer der meistgecoverten Songs des 20. Jahrhunderts wurde. Hayter zieht das Stück weit über die Grenze der Verzweiflung und gibt ihm eine fast wahnhafte Schmerzlichkeit.

Monoton und schleppend sind auch die beiden The Rita-Tracks “Black Eye Makeup Headband” und “Red Makeup Circles On The Cheeks”, eine weitere Gemeinsamkeit mit Lingua Ignota, so man eine solche denn unbedingt finden muss, besteht darin, dass auch die Musik der Kanadier Rückgriffe auf Älteres beinhaltet – zum einen, weil ein verzerrter, rauschender, knarzender und immer mal wieder im Fluss stockender Harsh Noise wie der hier präsentierte ohnehin kaum wie individueller Selbstausdruck anmutet, sondern wie das Channeln von etwas, das in versteckten Ecken unserer akustichen Deponien aufs Anzapfen wartet. Zum einen aber auch, weil auf der holprigen Wegstrecke Spuren einer nur diffus wahrnehmbaren Geigenspur durchschimmern, die an eine Komposition von Igor Stravinsky angelehnt ist. Absolut in your face, und alle weiteren Verquastheiten dazu wären eine Beleidigung für die Musik.

Wenn Lingua Ignota, deren letzter Longplayer “All Bitches Die” schon viel Lob bekam, mit der Zeit an Bekanntheit gewinnt, werden einige vielleicht The Rita als Kuriosität abtun, doch eine solche Split ist ohnehin für die wenigen anderen gedacht, und mit der Zeit wird die Veröffentlichung ein weiterer Beleg dafür sein, dass Trennungen zwischen Musik und Non-Musik, schön und hässlich und allen möglichen und unmöglichen Genres nur dann gelten, wenn man sich selbst zu ihrer Gültigkeit entscheidet. (U.S.)

Label: Total Black