LEVEN SIGNS: Hemp Is Here

In einer weniger von erratischen Zufällen und Wendungen geprägten Welt wären die Engländer Leven Sings vielleicht eine der wichtigsten Bands des späten 20. Jahrhunderts geworden. Doch Pete Karkut und Maggie Turner waren ebenso getriebene wie umtriebige Geister, und so wehte der Wind der Zeit die beiden ebenso schnell wieder in unterschiedliche Richtungen, wie er sie zufällig Anfang der 80er in London zusammenbrachte. In den wenigen gemeinsamen Jahren entstand eine Musik, die auf originellste Art Post Punk, schrullige Exotica, Neue Musik, und seltsame Dub-Sounds unter einen Hut brachte, und der Vollständigkeit halber muss man noch Gamelan und folkig angehauchte Kinderlieder erwähnen. Die einzige Tonkonserve war der 1985 erschienene Longplayer “Hemp is Here”.

“Hemp is Here” war ein Album, dem viele vermutlich erst einmal den Stempel “eigenwillig” aufdrücken würden, und ein gewisses Faible für zweckentfremdete Blechdosen, Kartons und andere Gegenstände der häuslichen Rumpelkammer ist definitiv von Vorteil, wenn man die Musik völlig unverhofft goutieren will. Überall rappeln und rasseln irgendwelche Kisten in launigen Rhythmen, die an Dada und an außerirdische Folkloreformen erinnern, mal übernimmt etwas, das wie eine Schreibmaschine klingt, den Takt. Mit dem Tempo wird ebenso Schabernak getrieben wie mit rückwärts eingespielten Passagen, eine Trillerpfeife hebt die Stimmung wie bei einer Cherleader-Parade, und ehe man sich versieht, ist man dem Slapstick der Musik erlegen.

Spätestens dann müsste jedem auffallen, dass sich hinter der Komik ein großes musikalisches Können verbirgt, und eine der großen Stärken von Leven Signs scheint das Erschaffen von ungewöhnlichen Stimmungsbildern durch Kontraste zu sein. In “Iraj 11″ erzeugt das Zusammenspiel von naivem Geklimper mit merkwürdig orientalisierenden Orgelparts und wehmütigen Violinen ein ganz eigenes, schwer zu beschreibendes Kolorit, das einem auf der zweiten Seite im groovigen “Rumi” wiederbegegnen wird. In “La Luna” gibt mehrstimmiger Sopran- und Bariton-Gesang den schrillen, quakenden Hintergrundsounds eine Ernsthaftigkeit, die das wavige Saitengewummer allein nie zustandegebracht hätte. Fast nie machen es einem die Songs leicht, immer bleibt die Balance zwischen aufgeweckter Heiterkeit und etwas Sperrigem gewahrt, so in dem fast mystisch rituellen “Carry the Torch”, bei dem betörende Flöten und dumpfes Gekloppe nicht verbergen, dass das eigentliche Zentrum des Stücks im ganz nach hinten gemischten Gesang zu finden ist.

Dann gibt es aber auch vereinzelt Momente, in denen aus all diesen Zutaten echte Ohrwürmer entstehen, die an Schmissigkeit keine Wünsche offen lassen. “This Inner Space” entwickelt sich mit Bläsern, Blechgetrommel und heiserem Gesang zu einem tribalen Post Punk-Song a la Hunting Lodge. Der größte Gassenhauer allerdings ist “Sedes Sapientiae”, wo melodramatische Orgeln und hölzerne Handdrums den Hintergrund bilden für Maggie Turners spröden Gesang, der hier eine mittelalterlich anmutende Melodie anstimmt. Vergleiche mit Nico sind nachvollziehbar, mich erinnert gerade dieses Stück aber frappierend an das in der gleichen Ära entstandene und ebenfalls kürzlich wiederveröffentlichte Debütalbum der österreichischen Astaron, und als dann noch die wie Fanfaren klingenden Synthies hinzukamen, hatte ich fast ein Deja-vu.

Nach einer CD-Reissue vor ein paar Jahren wurde “Hemp is Here” soeben auf LP neu aufgelegt, und jeder, der illustre Vertreter wie die Residents oder Renaldo & The Loaf – respektive Nurse With Wound, Sun City Girls, Focus Group, Toys are Noise, Shock Headed Peters, Denis Frajerman, you name it -  nicht nur liebt, sondern auch einen geheimen roten Faden zwischen diesen erkennt, der sollte sich nicht um Leven Signs bringen lassen! (U.S.)

Label: Futura Resistenza