HACKEDEPICCIOTTO: Keepsakes

Andenken an eine Freundin oder einen Freund, an Menschen, die man nicht mehr oder zumindest für lange Zeit nicht wiedersehen wird, bestehen oft aus Geschenken oder aus Bildern, manchmal auch aus Dingen, die man gemeinsam geschaffen hat und die deshalb die Spuren einer starken Verbindung in sich tragen. Eine seltenere Form des Andenkens ist ein Werk, dass man selbst schafft und das der Erinnerung an die vermisste Person gewidmet ist. Durch die Intensität und den für jede Freundschaft letztlich individuellen Charakter des Vermissens ist auch in einem solchen Werk viel vom Wesen der Person enthalten und aufgrund des eigenen kreativen Inputs eignet dem Resultat eine besondere Intimität. Um diese Art des Andenkens geht es in dem neuen Album “Keepsakes”, mit dem Alexander Hacke (bekannt von den Einstürzenden Neubauten, Crime and the City Solution und manch anderen) und die interdisziplinäre Künstlerin Danielle de Picchiotto eine berührende Hommage an neun ihrer besten Freunde geschaffen haben.

Die Idee zu “Keepsakes”, das die beiden als Ode an die Freundschaft und als Album der Dankbarkeit bezeichnen, entstand während der Pandemie, als den beiden wie vielen anderen die Bedeutung geliebter Menschen gerade in der Isoliertheit besonders schmerzlich bewusst wurde. So entstand der Plan, jedem dieser besonderen Menschen ein musikalisches Andenken in Form eines Songs zu geben, der im besten Fall sowohl den Charakter der Person als auch Spuren dessen, was man die Essenz der jeweiligen Freundschaft nennen könnte, enthält. Und da es sich bei den namentlich nicht genannten Freunden zum Großteil auch um Musiker handelt, könnte darin sogar etwas vom musikalischen Charakter der Freundin oder das Freundes enthalten sein, wer weiß.

Bei einem derart personenbezogenen Projekt wundert es kaum, dass die einzelnen Stücke zum Teil sehr unterschiedlich ausgefallen sind. Das Album startet mit “Troubadour”, das mit seinem wehmütigen Duettgesang und seinem Walzertakt in primär akustischer Instrumentierung mit Gitarre, Triangel und Salterio so liebevoll wie ein Lullaby und so sehnsuchtsvoll wie ein melancholisches Sea Chanty klingt. In seinem vielleicht zentralen Wort “long ago” scheint sich all die Liebe zu bündeln, die sich oft erst im Schmerz der Abwesenheit offenbart. Eine folkige Klanggestalt ist einer der roten Fäden, die sich durch das Album ziehen, wenngleich dies von Song zu Song unterschiedlich stark gewichtet wird. Das gilt auch für die schnelleren Stücke wie das technoid angehauchte “Aichach”, in dessen anfängliches Saitenknarren sich bald zackige elektronische Rhythmen und später orchestrale Opulenz mischen, doch auch dies scheint wie ein solides Fundament für die wehmütigen Streicher, die ich hier für die Hauptakteure halte. Ebenso dynamisch ist das urbane Szenario von “Anthem”, wenngleich auf verspieltere Art. In dem theatralischen Setting, das zu einem eigenwilliges Musicalstück passen würde, treffen kantige Gitarren auf liebliche Glöckchen und Danielles Spoken Words. Ein lautes Geklapper scheint all dies mit der Zeit mehr und mehr zu verschütten.

Eine weitere Konstante in “Keepsakes” betrifft gerade die immer im Wandel bleibende Vielfalt der Instrumentierung, die sich auch dem opulenten Repertoire an Instrumenten verdankt, die die beiden im Studio des Auditorium Novecento in Neapel vorfanden. Dazu zählt auch eine Celesta aus dem persönlichen Fundus von Ennio Morricone. Das mit einem aufweckenden Paukenschlag beginnende “La Femme Sauvage”, bei dem die beiden in zwei Sprachen mit viel Theatralik ein bewegtes, rauschendes Leben in vielen Metropolen besingen und mit einem Versprechen – “I won’t forget” – krönen, scheint mir auch von dem Entdeckergeist zu zeugen, der die beiden an dem wundersamen Ort befallen haben muss.

Nicht alle der Stücke haben diesen eingängigen Songcharakter, auch wenn “Schwarze Milch” mit seinen Paul Celan-Referenzen durch groovigen Takt und Saxophoneinsatz an Smooth Jazz erinnert. “Mastodon” ist, wenn man so will, eines der experimentellsten Stücke des Albums. Startend mit erwartungsvollen Hochtönern lässt das Stück einen Sound, der an grummelige Vokaldrones erinnert, ins Zentrum und somit einen Sound entstehen, der zu laut und aufwühlend ist, um als Ambient durchzugehen. Über wehmütige Streicher macht sich auch hier das melancholische Thema bemerkbar, aber wie an vielen Stellen des Albums ist es auch in diesem Song kombiniert mit einer drängenden, fast reißerisch anmutenden Dynamik. Ein in ein Vogelkonzert und andere Field Recordings gehülltes Duett der beiden besingt in “Love stuff” eine “Nightingale in clear moonlight”, ein “wild girl in agony”, bei der ich an Ophelia denken musste. Beim somnambul hypnotischen “Song of Gratitude”, dessen spannungsvoll dröhnender Auftakt auch ein Metalstück einleiten könnte, dann aber mit Danielles präraffaellitischem Gesang in eine viel lieblichere Richtung geht, ziehen die beiden noch mal alle Register, bevor mit dem folkigen “The Blackest Crow”, das die Sehnsucht nach dem Mitmensch vielleicht am unmittelbarsten ausdrückt, alles zum feierlichen Abschluss kommt.

Gleichwohl man ein derart persönliches Album vielleichtnur bedingt beurteilen sollte, kann man sagen, dass “Keepsakes” aufgrund seiner musikalichen Tiefe wie durch seine liebevollen Gesten nicht nurüberzeugt, sondern auch ein Modell dafür bietet, was ein musikalisches Andenken sein kann. (A.Kaudaht)

Label: Mute