LITTLE ANNIE – Interview

Bei manchen Künstlern fällt eine adäquate Einleitung aufgrund der schieren Quantität ihres Outputs oder aber der  Anzahl der Jahre, die sie tätig sind, schwer. Bei anderen ist es die Qualität – nicht notwendigerweise beschränkt auf Qualität im Sinne von gut oder schlecht, sondern verstanden als Variation im Schaffen(sprozess). Bei Little Annie, auch als Annie Anxiety bekannt, treffen beide Faktoren aufeinander. Nachdem sie in New York mit der Punkband Annie and the Asexuals um 1980 (ein aufgenommener Track erschien Jahre später auf einer auf Nigel Ayers’ Label Sterile erschienenen Compilation zur Unterstützung des Streiks der britischen Minearbeiter) kurzzeitig aktiv war, ging sie nach London und nahm mit Penny Rimbaud von Crass ihre erste 7’ „Barbed Wire Halo“ auf, deren zwei Tracks sich aber schon jedweden Kategorisierungsversuchen widersetzten. Ihr erstes Soloalbum „Soul Possession“ erschein 1984 dann aber auf Adrian Sherwoods Label On U-Sound und war ebenso wie das 1992 ebenfalls dort veröffentlichte „Short and Sweet“ stark vom Dub geprägt. Zwischendurch arbeitete sie auf Current 93s Debüt „Nature Unveiled“ mit, nahm mit Nurse With Wound auf, war auf dem dritten Coil-Album „Love’s Secret Domain“ zu hören, veröffentlichte ein Album auf One Little Indian und nahm 2003 eine CD mit Khan als Little Annie & the Legally Jammin’ auf. Auf Durtro Jnana kam das zusammen mit Antony und Joe Budenholzer aufgenommene Album „Songs From the Coal Mine Canary“ heraus, das einen neuen Schaffensabschnitt einzuläuten schien:  Hier schien die Musik noch besser zu ihrer verrauchten und sinnlichen Stimme zu passen: Eine Femme Fatale (durchaus manchmal an Lydia Lunch erinnernd) trug Torch Songs vor, man fühlte sich in von Tabakrauch geschwängerte (Jazz-)Bars versetzt, in denen Whiskyflaschen halbvoll die Tische bevölkerten. Mit dem Pianisten Paul Wallfisch spielte sie kurz darauf das ebenfalls auf Durto Jnana erschienene Album „When Good Things Happen to Bad Pianos“ mit Coversongs ein und wer Little Annie schon einmal live erlebt hat, weiß, was sie aus Tina Turners „Private Dancer“ alles machen kann. Auf ihrer zweiten Zusammenarbeit mit Paul Wallfisch namens „Genderful“ (siehe auch die Rezension) wurden dann wieder Eigenkompositionen vorgetragen.

Gerade ist dein Album “Genderful” erschienen, das wir sehr mögen. Was kannst du uns über den Entstehungsprozess und die Hintergründe sagen?

Diese Songs und ihre Texte sind der Soundtrack zu meinen Gedanken und Erfahrungen der letzten Jahre, so mussten sie nur bis zu einem Punkt bearbeitet und in Form gebracht werden, wo es musikalisch Sinn ergab. Ich mailte sie dann Paul, mit dem mich, wie ich immer wieder feststelle, eine bemerkenswerte Telepathie verbindet, denn er kommt mit Musik und mit Arrangements, die sehr natürlich sind und nahezu perfekt passen. Dann treffen wir uns und verbessern das ganze, und wenn es passt, was glücklicherweise der Fall war, dann spielen wir die Songs, um zu sehen, was noch dazu passt: Streicher, Bläser etc. Paul und ich arbeiten schnell, wenn es um das Komponieren geht. Wieder entwickeln wir einen gemeinsamen Geist, wenn wir zusammen spielen. Gerade dieses Mal war die kreative Arbeit eine wahre Freude, und ich bin sehr glücklich mit dem Ergebnis.

Du kooperierst nun seit einigen Jahren mit Paul Wallfisch, der vor allem von seiner Band BOTANICA her bekannt ist. Wie habt ihr euch kennen gelernt, und was denkst du, warum eure Zusammenarbeit so gut harmoniert?

Ich traf Paul, als er mit CONGO NORVELL spielte, das ist die Band von meinem guten Freund Kid Congo Powers zusammen mit Sally Norvell. Seine Art zu spielen klang ziemlich genau wie das, was ich in meinem Kopf hörte. Zehn Minuten, und ich wusste, ich muss mit ihm arbeiten. Ich hatte buchstäblich Gott nach einem passenden Komponisten und Musiker gefragt, und er sandte mir Paul.

Im Laufe deiner Karriere hast du sehr unterschiedliche Alben aufgenommen und mit Musikern mit sehr unterschiedlichen Hintergründne zusammengearbeitet. Ich habe den Eindruck, dass deine drei letzten Alben – wenngleich es Unterschiede gibt (das letzte war eine Sammlung von Coversongs, „Songs From The Coalmine Canary“ wurde mit Antony und Joe Budenholzer aufgenommen) -  ein eher zusammenhängendes Ganzes bilden. Würdest du sagen, dass du deinen endgültigen Stil gefunden hast?

Ich bin mit Kollaborateuren gesegnet, die mir das Gerüst geben, auf dem ich die Bandbreite meines Stils erweitern kann. Was die Technik angeht, hoffe ich, dass ich mich immer verbessern und selbst weiter herausfordern werde. In jedem Fall haben mich Ereignisse meines Lebens an Orte gebracht, die mich in meine Stimme hinein wachsen ließen. Zum Beispiel nahm ich Charles Aznavours „Heir Encore“ in den 80ern auf. Wenn ich es heute erneut aufnehme, bemerke ich erst, wie ich heute qualifizierter bin über Reue zu singen als vor zwanzig Jahren. Reife gibt dir nicht nur das Können, sondern auch die Erfahrung. Du bekommst außerdem das Selbstvertrauen zu wissen, was du willst, weshalb dann auch alles besser zusammenhängt.

Gibt es so etwas wie einen roten Faden, der all die unterschiedlichen Stile von ANNIE & THE ASEXUALS bis heute durchdringt?

Nur in dem Sinne, dass das immer ich war, und ehrlich gegenüber dem, was ich in der Zeit war! Ich war so jung, als ich anfing. Ich lernte dazu, als ich weiter ging, insofern gibt es vielleicht einen roten Faden. Ich hab keinen besonderen Sinn für Genres, deshalb bin ich musikalisch auch an allen Ecken und Enden unterwegs gewesen, oder zumindest ist es das, was alle von mir sagen. Aber ich habe eine gewisse kultivierte und urbane Sensibilität, und das ist das Verbindende in allem was ich mache.

Es gibt einige Lyrics auf deinem neuen Album, in denen du anscheinend mit der Rolle der Femme Fatale spielst (Du singst “don’t hate us ‘cause we’re stunning” in “Cutesy Bootsies” und in “Zen Zexy Zage” heißt es “with Mr Mesmer’s gaze I mesmerize”).  Wieviel davon ist eine Rolle oder eine angenommene Persona, und wieviel davon ist echt?

In der ersten Zeile, die ihr aus „Bootsy“ zitiert, schlüpfe ich in die Rolle der neuen „New Yorkers“, die die New Yorker Straßenkultur, wie ich sie kannte, verflacht haben wie eine Dampfwalze. Und bei „Zexy Zen“ sind einige Verse ganz klar ich, andere sind Spaß. Aber es ist alles real oder zumindest baut es auf der Wirklichkeit auf, die ich wahrnehme. Aber ich bin immer involviert. Ich muss einen Bezug zu den Lyriks aufbauen können, auch wenn es sich um ein Cover handelt.

Die Frage bezieht sich etwas auf die vorherigen: Was führte zu dem Albumtitel „Genderful”? Auf „Billy Martin Requiem” singst du „they don’t make ‘em like Billy anymore”. Wie stehst du zum Unterschied zwischen Sex und Gender?

Die Zeile, die du zitierst, fasst meine ganze Vorstellung von Gender zusammen (obwohl es in dem Song nicht wirklich um Gender geht, sondern mehr um Veränderung und Verlust). Zuerst singe ich über Billy Martin, der Manager des Baseball-Teams der New York Yankees war, ein hart lebender, hart trinkender, heißblütiger Charakter, und beim zweiten Teil singe ich über Sylvester, ein freudvoller überlebensgroßer Schwuler, der seine fantastischen Hymnen mit einer großartigen Stimme sang, und der ebenfalls ein „richtiger Mann“ war, in anderen Worten ein mutiger Individualist, der aus dem Rahmen fiel. Auch eine Frau kann ein richtiger Mann sein. Ein „Mensch“, welches hier in New York ein Yiddisches Wort ist, für das es vielleicht keine Übersetzung gibt. Die Heilige Theresa von Avilla, eine Heilige und Dichterin, sagt, dass sie maskulin in ihrem Glauben ist. Für mich ist Gender das, was du in der Welt nach eigener Entscheidung präsentieren willst. Wenn sich mir gegenüber jemand glaubhaft als Frau präsentiert, dann ist sie das für mich. Was zählen da gewisse Körperteile gegenüber dem, was du in dir fühlst. Ich bin nicht sicher, ob ich jetzt eine Frage beantwortet habe. In anderen Worten, wir sind alle von einem Schlag. Wie New York eben für gewöhnlich ist.

Du hast früher viel im Theater- und Performancebereich gemacht. Würdest du sagen, dass deine Musik ebenfalls eine starke theatralische Qualität besitzt?  Amanda Palmer von THE DRESDEN DOLLS sprach kürzlich von einem Revival theaterinspirierter Musiker mit einem gewissen „Vintage“-Cabaret-Aspekt und nannte in dem Zusammenhang auch Antony. Kannst du mit einer solchen Beschreibung etwas anfangen – vorausgesetzt, dass man sie nicht zu eng fasst?

Mein Gesang kam früher, so war er es, der mein Schauspielern, meine Bewegungen und meinen Rhythmus beeinflusste. Wenn ich schauspielerisch agiere, bin ich jemand anderes, wenn ich singe, bin ich absolut ich selbst, vielleicht sogar mehr, als außerhalb einer Bühne. Ich fühle mich so zufrieden auf der Bühne, dass es manchmal hart für mich ist, wieder runter zu müssen. Sicher bin ich beeinflusst von dem, was Vintage Cabaret genannt werden kann, wenn man damit die Tradition von Weill & Brecht meint in dem Sinne, dass sie den Zustand der Welt mit einem stilisierten und ironischen Kommentar versehen haben. Sie waren sozusagen die Reporter ihrer Zeit. Das gleiche hat Otto Dix mit Farbe gemacht.  Aber dann bin ich auch ebenso stark beeinflusst von Soul, Gospel, Rap, Oper. Von der Art, wie jemand einen halben Häuserblock von mir entfernt die Straße runter geht. Von meinen Träumen in der letzten Nacht, den Nachrichten, der Krümmung einer Schulter usw. Ich bin von allem beeinflusst. Profund und profan und alles dazwischen. Ich würde zustimmen, dass eine gewisse Empfänglichkeit für das Kabarettistische in der letzten Zeit zu beobachten ist, oder vielleicht war es auch schon immer da und wurde bloß verdrängt. Ich denke, dass die Dinge mittlerweile offener sind als noch vor einiger Zeit, und so dringt unterschiedlicheres Zeug an die Öffentlichkeit.

Wenn man „The God Song” hört und sich einige deiner Gemälde ansieht, hat man den Eindruck, dass Spiritualität sehr wichtig für dich ist. Welche Rolle spielt Religion in deinem Leben und deinem Alltag?

Gott ist das A und O in meinem Leben, auch wenn ich das oft vergesse und mich im Netz der von Menschen gemachten Ärgernisse verfange. Aber ich komme immer wieder zurück, denn es ist das einzig Konstante im Leben. ABER: Religion und Gott ist nicht das Selbe. Es gibt in jeder Religion Dinge, die ich mag und die ich nicht mag. So ist es selbstverständlich wichtig für mich. Letztlich entscheidet das natürlich jeder für sich. Paul ist Atheist und ebenso glücklich. Je mehr du über Gott sprichst, desto weiter entfernst du dich von ihm. Für mich funktioniert es und manchmal ist es das Einzige, das funktioniert.

Da wir ja in erster Linie ein Musikmagazin sind, könntest du unseren Lesern etwas zu deinen visuellen Arbeiten sagen – was inspiriert dich, in welchen Bereichen arbeitest du, und gibt es aktuelle Arbeiten? Würdest du sagen, dass das Erzählerische deine Malerei mit deiner Musik verbindet?

Lieber Himmel. Ich bin Autodidaktin und behaupte nicht einmal, klug zu sein. Ich weiß nur, was ich will und was sich richtig anfühlt. Ich begann zu malen, als ein Major Label mich auf Eis legte, und das Nichtstun mich verrückt machte. Kishi Yamamoto gab mir die ersten Farben und ein Exmann hatte eine Menge unbenutze Kunstbestände herrumfliegen und so begann ich einfach zu malen, aber erst 1998 nahm es nennenswerte Formen an. Ich malte zehn bis zwanzig Stunden am Tag und hielt diesen Stundenplan bei, bis ich wieder exzessiv mit dem Touren begann. Ich probiere nach wie vor die unterschiedlichsten Dinge aus, um zu sehen, was funktioniert. Mein Haupteinfluss sind Formen. Deshalb male ich gerne Gebäude und Felsformationen. Und dann sind da meine Heiligen, sie kommen einfach zu mir. Ich beginne einfach zu malen, ohne etwas Bestimmtes im Hinterkopf. Ich habe das Glück, überhaupt keine Ausbildung zu haben, so weiß ich es nicht einmal, wenn ich die Regeln breche. Ich nutze jedes Medium außer Öl. Ich arbeite an einer neuen Serie, aber die ist noch in der Anfangsphase. Für jedes Bild, das ich zeige, gibt es zehn, die niemand zu sehen bekommt und so Gott will, haben 11 mir etwas zu sagen! Ich komme gerade aus dem Südwesten zurück und bin geradezu besessen von massiven Felsformationen. Wie große Gebäude machen sie mich ehrfürchtig.

Auf deiner Myspace-Seite kann man auch Gemälde deiner Mutter sehen, Janet Bandes. Was kannst du uns zu ihr und zu ihrer Kunst sagen?

Meine Mutter und ihre Arbeiten sind fantastisch. Sie hat den besten Sinn für Farbe und Form, der mir je begegnet ist. Die Sachen auf meiner Seite sind Pastellzeichnungen, mit denen sie vor fünf Jahren zu arbeiten begann. Sie ist Mitte 80 und arbeitete bis vor ein paar Jahren in Öl. Schöne, kraftvolle Arbeiten. Sie war ihrer Zeit voraus, und als Frau und erst recht als Frau aus der Arbeiterklasse bekam sie nicht die Beachtung, die sie verdient hatte. Ich hoffe, dass sich die Dinge in der Welt etwas geöffnet haben.

Einige Kritiker haben bereits religiöse Tableaus und dystopische Stadtlandschaften als zwei Hauptmotive deiner Gemälde bezeichnet, manchmal wird beides auch mehr oder weniger stark kombiniert. Würdest du sagen, dass eine starke Sinnlichkeit und eine Liebe zum Leben, auch in seiner tragischen Natur, ein immer präsenter Aspekt ist?

Absolut!

Deine Bilderreihe „God and Science” bezieht sich unter anderem auch auf die New Yorker Anschläge von 2001. Beschäftigst du dich immer noch mit dieser Zeit, und inwiefern haben die schrecklichen Ereignisse dein Leben in New York verändert?

Ich sehe immer noch einige der „Bubble Girls“ (wir wurden so genannt, weil wir uns in diesem großen, weißen, blasenförmigen Zelt um Proviant für die Leute kümmerten), außerdem Kumpels, die ich vor 9/11 kannte, die in Bereichen arbeiteten, wo man eine Uniform trägt, d.h. Feuerwehrmänner, Polizisten, Notfallhelfer. Ich treffe auch schon mal zufällig Leute, die ich damals kennen gelernt habe. Es ist wie eine Familie, man sieht sich nicht die ganze Zeit, aber du bist miteinander verbunden. Wegen der Art unserer gemeinsamen Erfahrung und den tausenden zusammen verbrachten Stunden wird jeder von uns immer Teil des Lebens der anderen sein. In einem breiteren Zusammenhang als New Yorker ist es nichts, woran wir die ganze Zeit denken, aber mich schaudert es immer wieder, wenn ein Flugzeug zu tief fliegt, oder wenn die Feuerwehrwagen vorbeirauschen. Man betet dann so viel stärker, dass deine Lieben in Sicherheit sind. Manchmal wird es dich unvermittelt treffen, wenn dir jemand begegnet, der aussieht wie eines unter den dreitausend Gesichtern der Vermissten, das dir vertraut ist, weil du es auf einem Poster oder einem Handzettel gesehen hast, den dir die Eltern eines vermissten Kindes gegeben haben, oder Frauen, die ihren Mann verloren haben, Schwestern und Brüder etc. Dann denke ich Monate lang nicht daran, bis du einen Anruf bekommst, dass jemand. der dabei war, nun Krebs hat oder gestorben ist, und die ganze Erinnerung kommt zurück. Wie bei AIDS, Katrina, Haiti, Tsunami ect. Ich denke nicht, dass wir je in der Lage sein werden den Schaden zu ermessen, den unsere Psyche genommen hat.  Du kannst zwei Wolkenkratzer zusammenkrachen sehen, ohne dich auf einer tieferen Ebene zu verändern. Ich habe mich nicht so verändert, man kann nicht immer in einem Zustand der Angst leben, aber ich bin definitiv wachsamer.

Zurück zu „Genderful”: In „Tomorrow will be” zitierst du einige Zeilen aus Emma Lazarus’ Gedicht „The New Colossus”. Welche Funktion haben die Zeilen in deinem Song? Würdest du sagen, diese Zeilen sind immer noch (oder gerade) wichtig für die USA heute?

Ich benutzte diese Worte um den Song einzuleiten, weil sie von der Bedeutung und vom Rhythmus her passten. Sie sollten wichtig sein! Dieses Land war als ein sicherer Hafen gedacht, aber wir alle wissen, dass Ideal und Wirklichkeit sich nicht immer entsprechen. Präsident Obama im Amt zu haben gibt mir etwas mehr Hoffnung für unser Land, als es noch vor ein paar Jahren der Fall war.

Deine Texte (vor allem auf den neueren Alben) sind voller Anspielungen auf Musik und andere kulturelle Ereignisse der Vergangenheit, oft kommt es mir wie eine dankbare Hommage vor. War das so gedacht?

Jeder steht auf den Schultern derer, die vorher da waren. Ich wollte eine Lanze brechen für all die wunderbaren Talente, die mein Leben bereichert haben.

Euer „Bad Pianos”-Album war vielleicht die deutlichste Form der Hommage. Wie kam es zu der Auswahl der Songs?

Das Kriterium war, dass wir einen Bezug zum Inhalt hatten, und das Gefühl, etwas von uns selbst in die Songs einbringen zu können.

In der Vergangenheit hast du mit einer ganzen Reihe an Künstlern gearbeitet, die eher als „experimentell“, „avantgardistisch“ oder „subkulturell“ gelten (beispielsweise CRASS oder COIL). Siehst du dich selbst dennoch eher in einer populärkulturellen Tradition?

Ich glaube, ich habe nie aufgehört, darüber nachzudenken. So verrückt es klingen mag, ich wollte meine Sachen immer so zugänglich wie möglich halten, weil ich dabei war, etwas zu schaffen und deswegen gab es nichts Beschränktes. Ich höre mir heute meine frühen Sachen an, und bemerke, wie weit weg das Zeug eigentlich von populärer Kultur war. Ich halte nichts von so einem Kram wie „ist mir egal, ob irgendwer das hört, ich spiele für mich“. Wenn das so wäre, dann würden wir dieses Interview nicht machen, weil ich allein im Wald zu mir selbst singen würde! Ich musste das Wort „Avant-Garde“ nachschlagen, als ich es zum ersten Mal hörte, es ist lustig, sich daran zu erinnern. Ich verließ die Schule mit vierzehn und kannte die Avant-Garde nicht, als sie auf mich zukam und mich biss! Ich fuhr wirklich in der U-Bahn mit einer großen silberfarbenen Afroperücke und einer Federboa, die mir eine Freundin hinterlassen hatte, eine Arbeiterin, die ermordet wurde. Ich hatte keinen Job und keine Pläne, aber ich wurde mit Füßen zum Wandern geboren, die mich in ein paar interessante Situationen gebracht hatten. Und in einige gefährliche und schlechte. Gott beschützt die Narren und Sänger.

Im Zusammenhang mit dem oben angesprochenen kulturellen Erbe interessiert mich “Freddy and Me”. In dem Song zählst du anfangs all die vielen Sinngebungsangebote der gegenwärtigen westlichen Kultur auf, die in ihrer Vielfalt und Gleichzeitigkeit arbiträr wirken. Denkst du, dass es auch ein Fluch unserer Zeit sein kann, ein derart umfangreiches geistiges Erbe hinter sich her zu ziehen? Wünschst du dir manchmal, es wäre einfacher zu entscheiden, woran man glauben, und womit man sich identifizieren kann?

Es ist der Mangel an Zeit in Kombination mit einer Überflutung an Informationen. Wir haben keine vierzig Tage frei, um in die Wüste zu gehen und einen Sinn für die anscheinend willkürliche Natur unseres Lebens zu finden. So endet es dann darin, dass wir Antworten auf die Fragen der conditio humana in kleinen Häppchen suchen. So ist es in gewisser Weise auch ein Fluch, aber die Kehrseite ist, dass wir eine Lebenserwartung von mehr als bloß dreißig Jahren haben. Ich denke nicht, dass das Erbe der eigentliche Fluch ist, sondern dass uns nur die Art verrückt macht, wie wir damit versorgt werden. Es gibt nur einen beunruhigenden Mangel an Zeit.

Denkst du, dass spielerische Ambivalenz die beste Haltung ist, um heute die Balance zwischen einem Gefühl von Zugehörigkeit und dem einer eigenen Identität zu wahren?

Hmmmmm. Ich weiß nicht, ob es so sehr Ambivalenz als vielmehr ein Sinn für Humor ist. Wir können unsere Identität behalten und dabei dennoch offen bleiben. Ich kann aus dem Haus gehen und davon genervt sein, was sich wie eine Invasion narzisstischer und auf sich selbst bezogener Idioten anfühlt oder ich kann daran denken, dass es in einem Monat eine komplett neue Palette von Sachen, die nerven, geben wird!

Auf deinem neuen Album gibt es eine Reihe heiterer Songs. Auf der anderen Seite jedoch ist  „Because You’re Gone Song” ein berührendes Lied über den Verlust. Betrachtest du Glück und Traurigkeit als zwei Seiten einer Medaille?

Unglücklicherweise erlaubst du dir die Erfahrung des Verlustes in dem Moment, in dem du dir zu lieben erlaubst. Sogar in meinem Glauben an den Himmel fühlt es sich manchmal an, als ob der Kummer mich bei lebendigem Leibe verschlingt. Dann möchte ich mich einschließen und keinem nah sein, weil die Idee, jemanden zu verlieren, unerträglich ist. Aber dann fällt dir ein, was du alles missen würdest, wenn du die betreffende Person überhaupt nicht kennen würdest, und dass das noch unerträglicher wäre. Aber ich glaube ehrlich, dass unser Schöpfer will, dass wir froh sind. Um also deine Frage zu beantworten: Nein, ich denke, dass beide Teil unserer Erfahrung sind, aber nicht Teil der gleichen.

Du hast New York einmal deine „Muse” genannt. Wer war deine Muse in den Jahren, als du in England gelebt hast?

Adrenalin. Lernen, lernen, lernen. England war meine Erziehung. Endlose Tage in Studios sitzen, lesen, mich selbst erziehen.

Was ist für dich das Spezielle an New York, und bist du in die zeitgenössische Gegenkultur involviert?

Die Geschichte, die Attitüde, der Humor, die Formen und Schatten. Was die lokale Gegenkultur angeht, da gibt es keine. Auch wenn es längst nicht mehr das NYC ist, das ich kannte und liebte, ist es immer noch vielgestaltig genug, dass es dort nicht „die eine“ Kultur gibt, gegen die man rebellieren müsste.

Du bist schon mir vielen bekannten Musikern aufgetreten, eine davon ist Baby Dee. In einem Interview sagte sie, dass ihr beide eine Zusammenarbeit plant, ein gemeinsames Album. Was kannst du uns darüber sagen?

Ich bin gespannt. Dee und ich versuchen seit zwölf Jahren zusammen etwas auf die Beine zu stellen. Ich kann nicht sagen, was es genau werden wird, da wir gerade erst anfangen neues Zeug zu komponieren, aber es fühlt sich extrem richtig an. Welch ein Segen! Sie ist unschätzbar talentiert und eine teure Freundin. Ein echter Segen.

(M.G. & U.S.)

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