Als der heuten in Griechenland lebende Alan Trench noch zusammen mit zwei Kollegen den bekannten World Serpent-Vertrieb leitete, bekamen viele erst nach und nach mit, dass er auch Musiker war. Um seine Folkband Orchis, von der 1994 der erste Longplayer herauskam, machte er wenig Wind, und so avancierte das geheimnisvolle Trio zu einem Geheimtipp, der halbherzigen Musikkonsumenten meist entging. Als diese Ära um die Jahrtausendwende zuende ging, hätten wahrscheinlich wenige damit gerechnet, dass der Musiker, der eine Vielzahl von Saiteninstrumenten und einiges mehr beherrscht, ein paar Jahre später so etwas wie einen zweiten Frühling mit einem enormen Output erleben wird. Mit den Black Lesbian Fishermen, die er mit befreundeten Musikern in seiner Wahlheimat gründete, spielt er eine betörende rituelle Psychedelik, deren genreübergreifende Kompositionen von großem musikalischen Feinsinn zeugen, wogegen Temple Music für eine rauere, spontane, oft in Spacerock-Gefilde ausschlagende Musik steht. Mit seiner Frau Rebecca Loftiss alias The Grey Field Recordings, die ebenfalls an den Fishermen beteiligt ist, betreibt er das wechselhafte, bisweilen hörspielhafte Duo Howling Larsens. Und dann wäre da noch Twelve Thousand Days, das Folk-Duo mit Martyn Bates, das noch in seine englische Zeit zurückreicht und nach wie vor besteht. Man darf durchaus über Trench reden, ohne in Namedropping zu verfallen, aber zum Glück muss man das nicht, denn das vielschichtige Mosaik seiner Musik kann durchaus ein paar Wegweiser gebrauchen. Im folgenden Interview, in dem wir über all dies sprechen, wird v.a. deutlich, wie sehr sich der Kosmos der Undergroundmusik seit den frühen 90ern verändert hat.
Seit unserem letzten Interview hast du Musik mit einer ganze Reihe an Bands und Projekten herausgebracht, zuletzt mit den Black Lesbian Fishermen. Was war die Idee hinter diesem Album über die Metaphysik des Natrons? Hat dieses Salz eine symbolische Verbindung zur Musik??
Natron ist der hermetische Begriff für Salz, aber im metaphysischen Sinn (d.h. als erstes Prinzip) verwendet, stellt es den physischen Körper dar, der nach der Verbrennung bleibt… hermetisch ausgedrückt bezieht sich dies auf die physischen Überreste, die nach dem Tod überleben, um neues Leben zu beginnen… in dem Sinne, in dem wir es verwenden, sind mit der Verbrennung die Ideen, die Kreativität, das Schreiben gemeint. Was zurückbleibt, ist das fertige Werk. Rebecca hatte die PGM, die altgriechischen Magischen Papyri (PGM I & II sind übrigens in einem Berliner Museum) studiert und war davon stark inspiriert worden; Nikos Fokas ist sehr tief in verschiedene Aspekte des Okkulten in Athen involviert, und dann träumte ich auf einmal, dass dies der Titel des neuen Albums war – es wirkte schicksalhaft, vor allem, als wir die erste Sequenz des ungeborenen Albums durchspielten. Es war genau richtig.
Alle Mitglieder der Fishermen spielen in anderen Gruppen, einige schon seit geraumer Zeit. Wie funktioniert das Songwriting und das Aufnehmen in dieser Band? Gibt es eine Hauptantriebskraft oder waltet bei euch mehr eine Art kreatives Chaos?
Ich denke, dass alle unsere persönlichen Projekte an erster Stelle stehen, aber es ist nicht so, dass wir Platz in unseren Stundenplänenn für die BLF-Aufnahmen schaffen müssten. Rebecca und ich wohnen ca. 2 Stunden von Athen entfernt, und wir haben ein Kind von 5 Jahren; die anderen Fishermen arbeiten in Athen, haben Kinder, und von außen sieht zeitlich gesehen es unmöglich aus. Aber wir (das heist Rebecca & ich) haben uns ein etwas griechischeres Verhalten dazu angewöhnt… Wenn also jemand von uns eine Idee hat, ergreifen wir die Gelegenheit und beginnen sofort mit dem Aufnehmen. Man muss im modernen Griechenland spontan sein, eine Planung kann nicht stattfinden. Dann schicken wir es an die anderen, die entweder Teile hinzufügen oder Teile schreiben, die aufgenommen werden, wenn wir zusammen sind, und auf diese Weise sammeln wir mit ziemlich viel neues Material an. Wenn wir uns alle zum Proben treffen, werden wir das fragmentarische Zeug ausprobieren, das sich meistens noch mal komplett ändert, auch fällt uns dann i.d.R. mindestens noch ein weiteres Stück ein. Das Problem bei der griechischen Experimentalszene ist, dass es kaum Möglichkeiten zu spielen, aufzunehmen, aufzutreten gibt – es sei denn in sehr kurzlebiger Form: Ein Projekt kommt zusammen, macht fabelhafte Sachen, dann zerstreuen sich alle, und das war’s. Bei den BLF sind wir beiden Nicht-Griechen so etwas wie die treibende Kraft, die Ordnung in das kreative Chaos bringt, Rebecca und ich wählen Material aus, arbeiten daran und bringen den Rest des Aufnahmeprozesses in Gang. Bei “Metaphysics” muss ich sagen, dass das Album hauptsächlich von Rebecca geprägt wurde… sobald wir uns über die Richtung einig waren, prügelte sie uns voran, bis die endgültigen Versionen fertig waren. So war es zum Beispiel mit “Third Rubric”, das ursprünglich etwa 30 Minuten lang war… Die ‘Surf’-Sektion war etwa doppelt so lang wie jetzt und war rein instrumental – persönlich mochte ich den langen dröhnenden ersten Teil, der einige große verrückte Bassspuren & Keyboards hatte – aber Nikos ließ mich schneiden und schneiden, bis es eher ein Intro zum Hauptsong war, bei dem Rebecca singen sollte… was sie tat, aber auch sie wollte das Stück kürzen. Und beide hatten Recht. Als ich also den Track für fertig hielt, konnte sie ihn mastern, und es klang großartig. “Pigs Before Strawberries” war zunächst etwa 40 Minuten lang und durchlief den gleichen Prozess; dagegen ist “You Find The Noise” ziemlich genau so, wie wir es beim ersten Versuch aufgenommen haben.
Seht ihr euch dann eher als eine Art Supergroup, oder doch als etwas festeres?
Wir sind alle wirklich gute Freunde, und ich denke, das kommt an erster Stelle. Es gibt definitiv so etwas wie einen Black Lesbian-Vibe, wenn wir alle spielen – ich meine, es gibt einen bestimmten Sound, also hat die BLF eine eigenständige Existenz – und auch einen ziemlich respektablen Katalog von Songs, also denke ich, dass wir es alle als eine Entität für sich betrachten, obwohl wir andere Projekte haben, an denen wir beteiligt sind. Irgendwann stehen diese an erster Stelle; manchmal tun sie es nicht, je nachdem, was wir gerade tun, was mir ziemlich gesund erscheint – also denke ich, dass es die BLF noch eine Weile geben wird!
Von all deinen Projekten scheint Temple Music das offenste hinsichtlich der stilistischen Herangehensweise zu sein. Wenn man sich durch die verschiedenen Alben hört, findet man Musik von Space Rock über introvertierte ambiente Soundscapes bis hin zu rituellen Stücken. Was ist deiner Ansicht nach der Rahmen, der die unterschiedlichen Elemente zusammenhält?
Bevor ich mich mit Steve zusammengetan hatte, war TM mein Soloproject, und der Ausgangspunkt für die meisten Stücke damals war etwas, das immer noch eine wichtige Rolle in meinen Forschungen und Obsessionen spielt. Steve ist sehr mit seinem Old Tme/Bluegrass-Projekt beschäftigt – die spielen gerade eine Menge Konzerte und er kümmert sich um das ganze Material und die Arrangements; Dan betrebt sein neues Duty-Projekt und macht viele Remixarbeiten, weshalb die ersten Schritte bei fast allen TM-Aufnahmen von mir abhängen. Manchmal machen die Tracks schon von Anfang an einen vollständigen Eindruck, weswegen es dann mit nur minimaler oder auch gar keiner Unterstützung anderer weitergeht; manchmal steht aber auch nur das Skelett und ich hab keine Ahnung, wo das Fleisch herkommen soll. Diese Stücke gehen dann zu Steve. Ideal ist, wenn er mit mir im Studio ist, aber die Entfernung ist ein wesentlicher Faktor! Steve hat schon immer einen gewissen Pop-Twist in all seine Arbeiten gebracht, und wenn er nicht mit dabei ist, fehlt das. So bin ich letztlich derjenige, der alles zusammenfügt, im guten wie im schlechten. Ich mag eine Menge unterschiedlicher Musik und habe vielfältige Interessen. Manchmal entsteht ein Song wie von selbst, doch wenn ich spiele, entwickelt erstilistisch erst seinen Charakter. Die längeren, introspektiveren Stücke basieren oft auf Ideen, ich schreibe die Musik auf, bevor ich sie spiele. Und da ich keine klassische Ausbildung habe, geht es oft auf etwas zurück , von dem ich nicht einmal weiß , wie man es umsetzt und es trotzdem einfach mache. Grundsätzlich mache ich einfach Musik, die ich gerne höre.
Ist “Io”, der Track auf der letzten Dark Ambient Compilation, ein singuläres Stück, oder gehört es in einen größeren Rahmen? Der mythologische Inhalt impliziert zumindest einen breiteren Kontext..
Nun, als es aufgenommen wurde… oder eher bevor es soweit war, stand es ganz für sich als ein Stück für die “Dark Ambient”-Compilation. Ich fragte den Dichter Giorgos Kariotis, mit dem ich schon mal gearbeitet hatte, nach der lokalen Version des Io-Mythos auf Euböa, und ob er ein kurzes Stück darüber verfassen könnte, und zu meiner Überraschung kannte er die Version gar nicht. Auch ich fand keinen Beleg dafür und fragte mich, wo ich eigentlich davon gehört hatte, und ich denke fast, dass er mir nicht glaubte. Er kam aber mit anderen Aspekten des Stoffes zu mir, die ich wiederum nicht kannte, und schieb dieses Stück – ein lyrisches Gedicht – auf der Bootsfahrt nach Euböa und nahm die Rezitation auf. Erst vor zwei Wochen kam das gedicht in seiner vierten Gedichtsammlung heraus und wir werden es demnächst auf der Buchpräsentation spielen; wir werden es wohl live spielen, wobei das etwas problematisch ist, weil da viele Instrumentalmotive vorkommen… man könnte es mit dem Laptop spielen, aber mit einem Ensembe wäre es wesentlich besser, nur ist wenig Zeit dafür da. Sicher wird es einige Bearbeitungen von Giorgos’ neuen Arbeiten geben – Temple Music haben das schon die letzten beiden mal gemacht – aber erst weiter hinten in diesem Jahr. Alles in allem sehe ich keinen Grund, warum es nicht eine Art “mythologische Sammlung” in der Zukunft geben sollte, bei der wir verschiedene Titel zusammenstellen und noch ein paar neue aufnehmen, aber das wird nicht so bald sein!
Die beiden Stücke der letzten “Split Frequencies”-Veröffentlichung scheinen stark aufeinander bezogen zu sein. Gab es ein gemeinsames Konzept zwischen dir und Akoustik Timbre Frekuency?
Es gab keine Zusammenarbeit als solche – ich hatte mein Stück fertig, bevor P23 etwas davon hörte, aber er arbeitete dann an seinem Stück mit meinem im Hinterkopf.
An einigen der jüngeren Temple Music-Veröffentlichungen hat Stephen Robinson nicht mitgewirkt. Ist er grundsätzlich immer noch ein Teil der Band?
Steve ist immer präsent! Manchmal nur im Geiste, aber er ist immer ein Teil von TM!
Das jüngste Temple Music-Album “The Unquiet Mind”, das du solo aufgenommen hattest, scheint ein sehr persönliches Werk zu sein und es wirkt auch in jeder Hinsicht sehr spontan. Was kannst du uns über seine Entstehung erzählen?
Es ist beides… das ganze Ding wurde geschrieben, aufgenommen, abgemischt und gemastert in weniger als einer Woche –ein Track pro Tag, und es ist ein Album, über das ich wirklich glücklich bin – und eins, das wohl einen Nerv getroffen hat und an verschiedenen Orten im radio gespielt wurde. Ich hatte einen ganze Sack voller Ideen, mit denen ich seit einer Weile herumgespielt hatte, es war noch nichts feststehendes, aber ich hatte den Titel – ich wusste seit einiger Zeit, dass das Album so heißen würde. Ich hatte einige Bücher über Psychologie gelesen – allerdings nicht Kay Redfield Jamison, die, wie ich später erfuhr, ein Buch mit dem selben Titel verfasst hatte – und ich wusste, dass der “Sound” sehr innerlich klingen sollte… Ich meine eine thematische Reise, aber alles, was das Album enthalten sollte, war schon in meinem Kopf verknüpft. Es ist die Geschichte eines Opfers, eine Reise ohne bestimmtes Ziel… wenn ich es jetzt beschreibe, ist es sehr schwer in Worte zu fasse, aber ich wusste ebenso sehr, was es war. “Jungle In The Night With Tigers” ist der Track, der das Album ausgelöst hatte… meine junge Tochter hatte in ihrer Schule eine Aufführung, über die wir nicht viel wussten, aber ihr Teil beinhaltete den Massensuizid der Soulioten-Frauen unter Ali Pasha. Das steht im Zusammenhang mit dem gliechischen Unabhängigkeitskrieg, und das von einer Gruppe Fünfjähriger als Tanz aufgeführt zu sehen – das ist hier akzeptiert, als Tatsache und Teil der Kultur – war ziemlich berührend. Ich fragte sie später, worum es bei all dem ging, und sie antwortete “Jungle in the night with tigers”… nun, sie war 5, und wer weiß, auf welche Frage sie geantwortet hat, aber das war nur der Anfang… die Vorstellung, dass du in der Dunkelheit bist, du siehst nichts, bist von Hindernissen umgeben, und überall lauern Gefahren. Mit all dem im Hinterkopf nahm ich mir vor, einen Song pro Tag für 5 konstruktive Tage aufzunehmen, zu mixen und zu mastern, und zu schauen, was dabei herauskommt. Die Tracks auf dem Album folgen der Reihenfolge ihrer Aufnahme, so hoffe und glaube ich, dass die Reise von Nicht-Sein (im Sinne des nur lebendigseins, ohne wirkliche Bewusstheit) zu einer Art inneren Frieden zu erkennen ist. Stylistisch gint es da einen Sinn für Einheit, aber s ist recht weit entfernt von dem, was Sombre Soliks normalerweise herausbringen, weswegen ich mich sehr gefreut hatte, dass sie es so mochten und veröffentlicht hatten. Sie haben usn immer sehr unterstützt.
Alle Tracks auf dem Album scheinen sich deiner neuen Heimat in Griechenland zu widmen, wo du nun schon seit einigen Jahren lebst. Wie kam es dazu?
Das tun sie definitiv. Bevor ich hierherzog, fiel es mir sehr leicht, Songs zu schreiben, die vom antiken Griechenland inspiriert waren. Als ihc hierher zog, lief das mit den Melodien und der Musik sehr gut, aber mit den Texten war es anders. Als ich Songs für das neue Twelve Thousand Days-Album schrieb, war es sehr schwer, irgendwas auf die Beine zu bringen, das mit mir resonnierte. Klar war ich in Griechenland, aber ich bin kein Grieche, und ich musste mich mental wieder mit der englischen Tradition oder meiner englischen Tradition verbinden, und so schrieb ich “Maid on the Moor”, eines der besten Dinge, die ich jemals geschrieben habe. Es passte überhaupt nicht zu TTD, aber es fügte sich perfekt in “Further, Faster, Closer, Slower”, an dem ich zu der Zeit auch gerade arbeitete. Jedenfalls wurde mir klar, dass meine Inspiration von innen und nicht von außen kam. Für “The Unquiet Mind” konnte ich mich aber auf den Ort woe wir leben und wie Art wie wir leben beziehen und all das mit dem inneren Prozess in Einklang bringen. Ich denke, dass ich jetzt ganz angekommen bin. Nicht, dass Lyrics auf dem Album wären, aber das war, weil sie nicht norwendig waren!
Du hattest erähnt, dass sich “Jungle in the Night with Tigers” auf ein historisches Ereignis bezieht. Was ist der genaue Hintergrund?
Das spezifische Ereignis ist heute als ‘The Dance Of The Souliote Women’ oder ‘The Dance Of Zalongo’ bekannt. Ich wusste nichts über Ali Pascha, außer dem Namen, bis vor ein paar Jahren, als wir nach Ioannina im Norden Griechenlands fuhren, und dann rüber nach Gyrokaster in Albanien, und es war fast so, als ob wir auf den Spuren von Ali Pascha unterwegs wären. Er war ein besonders brutaler osmanischer Herrscher war – am Ende trieb er es zu weit und wurde auf Befehl des Sultans ermordet. Die Sulioten hatten fast uneinnehmbare Bergverteidigungen und kämpften viele Jahre gegen Ali, bis sie sich schließlich ergeben mussten; die Bedingungen ihrer Kapitulation wurden nicht eingehalten, und sie wurden abgeschlachtet. Die spezifische Geschichte des Tanzes, den die Kinder aufführten, ist, dass die ausgelieferten Männer unter der Bedingung eines Waffenstillstandes in ein Gefangenenlager eskortiert wurden; einmal drinnen, wurden die Türen geschlossen, und die Männer des Pascha eröffneten das Feuer. Die Frauen der Ermordeten sollen dies aus sicherer Entfernung auf einem Felsen beobachtet haben; Als sie es sahen, begannen sie den Tanz, und nacheinander warfen sie sich über den Rand, einige hielten sogar ihre Kinder im Arm. Als dieses Ereignis bekannt wurde, war es der Katalysator für die europäische Unterstützung des griechischen Unabhängigkeitskrieges, so die Geschichte.
‘Farewell poor world; farewell sweet life
And you, my wretched country, farewell forever
Farewell springs, valleys, mountains and hills
Farewell springs and you, women of Souli
The fish cannot live on the land, nor the flower in the sand
And the women of Souli cannot live without freedom’
So heißt es in dem Song.
Du bist wie es scheint sehr involviert in die Musikszene im Raum Athen, auch über die Black Lesbian Fishermen hinaus. Was kannst du uns über die Szene um Underflow Records erzählen?
Das ist alles der Verdienst von Vassilios Filippakopoulos, dem Underflow gehört. Eine Sache, die ich immer bedauerlich fand, ist dass es in Athen sehr viele wirklich talentierte Menschen gibt, die experimentelle Musik machen; sie kommen zusammen, um zu proben oder Shows zu machen, aber es gibt kaum wirklich konkrete Ergebnisse – oder zumindest nicht viele; es gibt zum Beispiel MMD und die großartigen Leute, die daran beteiligt sind. Die Griechen lebt und atmet Musik – sie ist wirklich überall, und während das meiste moderne Popzeug genauso klingt wie überall sonst, gibt es wirklich eine riesige Menge an Nicht-Mainstream. So etwas wie die Villagers Of Ionnina City ist hier unglaublich beliebt, und ich denke, dass sie in diesem Jahr international durchstarten werden – das neue Album wird, obwohl es auf Griechisch ist, überall hineinpassen. Es gibt auch ein Verständnis für das Spektrum der Musik; Menschen aus dem klassischen Bereich spielen auch in experimentellen Ensembles, und das Publikum ist sehr offen dafür. Es ist großartig. Aber, wie gesagt, frustrierend, weil das alles undokumentiert bleibt. Vassili ist ein DJ und großer Musik-Fan – er kennt seine Sachen wirklich, und er liebt Vinyl… und er hat einen Performance-Raum unter dem Underflow Shop… es war also ein kleiner Schritt, um Musik zu veröffentlichen. Jeder machte ohnehin Shows mit ihm, und er holt seit jeher großartige Künstler aus der ganzen Welt hierher. Er ist also keineswegs nur der richtige Typ am richtigen Ort zur richtigen Zeit, sondern anscheinend der einzige, der all das als Chance sah. Einige großartige Platten sind bereits aus Underflow herausgekommen, und es ist eine ganze Menge geplant – und die griechische Musikpresse nimmt es sehr ernst.
Ich denke oft, dass griechische Underground- oder experimentelle Musik international viel bekannter sein könnte. Denkst du, dass grischische Musik irgendwann die verdiente Aufmerksamkeit bekommen wird? Immerhin passiert ja bei euch sehr viel…
Hmm, schwierig. Ich würde es gerne hoffen, aber ich vermute, dass das allgemeine Verständnis von Griechenland gegen sie wirkt. Obwohl Xenakis, Jani Christou, Theodorakis – und sogar Vangelis – in ihren Bereichen herausragend und bekannt sind, kennt die breite Öffentlichkeit nur Leute wie Nana Mouskouri & Demis Roussos. Nicht, dass ich etwas gegen sie hätte, aber die Vorstellung von ihnen außerhalb Griechenlands hat sehr zu einem verzerrten Bild beigetragen. Ich vermute, dass es an der beträchtlichen Sprachbarriere liegt. Hoffentlich sind die Leute im experimentellen Underground weniger vorurteilsbehaftet, aber ich denke, es ist auch da ein Problem. Aber wie dem sei, hoffen wir das beste!
Als du damals nach Griechenland gezogen bist, wie sehr hatten sich deine Erwartungen an das Land erfüllt? Was war die größte Überraschung für dich?
Überraschenderweise übertrifft es tatsächlich meine Erwartungen. Obwohl ich nie Griechisch sein werde, gibt es eine unglaublich viel in der griechischen Mentalität, das ich mag, aber als Engländer kann da ich nicht vollständig mirmachen … vor allem gibt es hier so eine “Fickt euch, in meinem Land bin ich der Prinz”-Haltung gegenüber jeder Autorität, und da dies die Haltung eines unterdrückten Volkes gegenüber der Autorität ist – und es gibt nur wenige Völker, die mehr unterdrückt wurden als die Griechen – finde ich das ziemlich ansprechend; obwohl es auch irritieren kann. Jede Irritation wird jedoch von “kefi” (κέφι) übertroffen, was nicht leicht übersetzt werden kann. Die Griechen als Volk sind von Natur aus zynisch und etwas fatalistisch und sich der lächerlichen juristischen Hürden, die sie für sich selbst errichtet haben, und der Verrenkungen, die sie durchmachen müssen, um sie zu vermeiden, sehr bewusst. “Kefi” ähnelt dem “Verrückten” unter den Iren, was wahrscheinlich nicht als Erklärung hilft, aber es ist so etwas wie das Gefühl der Freude am “nur Sein” trotz endloser Trübsal. Es kann vom Kaffeetrinken im Kafeneio oder von einem Treffen mit Freunden in einer Fischtaverne oder dem Besitz einer perfekten Orange oder dem Blau des Himmels und des Blaus des Meeres kommen. Also, ich denke, meine größte Überraschung ist kefi zu erleben, obwohl ich ein ξένος (Ausländer, nicht griechisch) bin.
In welcher Hinsicht hat dein Leben dort deine Beziehung zu Großbritannien und zur “Englishness” generell verändert oder beeinflusst?
Es ist seltsam… Ich bin Engländer und werde es immer sein; die Geschichte Englands, die Landschaft, die Mythologie – all das ist tief in meiner Psyche verwurzelt, aber ich bin fertig mit dem Ort als solchen. Ich ging vor ein paar Jahren kurz für den Abschluss meiner ältesten Tochter zurück, und wenngleich es toll war, alte Freunde wiederzusehen, und obwohl die verlorenen und verborgenen Teile Lincolnshires so wunderbar wie eh und je waren, muss ich echt nicht wieder zurückkehren. Die Menschen im Allgemeinen – und ich hatte noch nie viel Geduld mit ihnen – haben mich einfach deprimiert. Da ich ja bereits eine Weile außerhalb Englands gelebt habe, ist mir die engstirnige, kleine Engländer-Haltung schon immer ziemlich auf die Nerven gegangen; aber heute sieht man überall komplette Idioten, die Anerkennung für große Dinge der Vergangenheit beanspruchen. Alle großartigen Errungenschaften von Menschen, die die englische Kultur geprägt haben, werden jetzt von Leuten als die ihren beansprucht, die nie etwas damit am Hut hatten und es auch nie haben werden. Im Großen und Ganzen ist das moderne Leben in jedem Land ein Ärgernis, voll heimtückischer und bedeutungsloser Ablenkungen… aber weil ich nie ein griechischer Muttersprachler sein werde, kann ich das hier gründlich ignorieren. Meine persönliche Englishness ist also in Stein gemeißelt, aber das “echte” Land – das hat sich im Unterschied zu mir weiterentwickelt; und ich hab nicht vor, das mitzumachen. Vielleicht ist es nur eine Alterssache, die in meinem Fall durch das Leben hier verschärft wird, weil die meisten Leute, die ich kenne, mehr oder weniger das Gleiche denken.
Ohne zu tief in die Politik einzusteigen – denkst du, dass sich die jüngeren Entwicklungen in Großbritannien negativ auf dein Leben und deine Arbeit aufwirken könnten?
Bringt ihr ausgerechnet den B****t auf den Tisch!? Was, um es kurz zu machen, das Dummste ist, das ein einzelnes Land seit ich denken kann, gemacht hat. Ich glaube nicht, dass es für mich persönlich einen großen Unterschied machen wird… Ich bin offiziell griechischer Staatsbürger, Rebecca ebenso, und wir haben ein Kind, das hier und im griechischen System geboren wurde. Aber man weiß nie, was um die Ecke stattfindet… der griechische Staat will uns hier (gut, er will unser Geld) und hat seine Position vor etwa zwei Jahren deutlich gemacht. Das Vereinigte Königreich scheint es darauf anzulegen, in einen Ozean aus flammender Scheiße zu tauchen, aber natürlich hoffe ich, dass es sich irgendwann zum Guten wendet – ich habe ja immer noch Familie und Freunde dort. Ich wage die Vermutung, dass das Vereinigte Königreich irgendwann wieder der EU beitreten wird, aber nicht innerhalb des nächsten Jahrzehnts. In der Zwischenzeit werde ich einfach mit meinem eigenen Leben weitermachen!
Als Howling Larsens haben du und Rebecca zusammen mit dem griechischen Forscher Nikolaos Lymperopoulous ein Album aufgenommen, das auf dem “Proem” aus Parmenides’ Text Über die Natur basiert. Ist die Vertonung der anderen beiden Teile des Textes immer noch geplant?
Das liegt an Nik, ernsthaft… er will, aber er will auch eine Menge anderer Sachen tun, und jedes dieser Dinge braucht eine ziemlich große Menge an Vorbereitung auf seinerseits. Da er byzantinischen Gesang praktiziert, ist jeder Ton musikalisches etwas Absolutes, und jede Silbe ist ein Ton. Sobald er sich also auf einen Text festgelegt hat, geben uns die ersten Töne den musikalischen Umriss… dann planen wir, wohin es nach strenger Musiktheorie gehen wird, und entwerfen es dann entsprechend, wie sich der Text ändert. Das ist erst einmal ziemlich einfach. Dann können wir dazu übergehen, das eigentliche Stück einzuspielen, denn Nik hält nicht viel davon, es ‘kalt’ im Studio aufzunehmen; so können wir, mit falschen Anfängen etc., etwa 2 Stunden damit zubringen, um die Bässe zu bearbeiten, so dass das Stück richtig klingt… dann erst beginnt die eigentliche Arbeit. Das aktuelle Projekt ist also “Poimandres” aus dem Corpus Hermeticum, das mit ‘Geist’ oder vielleicht ‘universalen Geist’ übersetzt werden kann … das hat bisher rund 8 Monate gedauert… wenn er also zum Parmenides zurückkehren will, werden wir es tun! Wir tun auch gerade etwas aus dem griechischen Magischen Papyrus mit ihm, woraus ein zukünftiges BLF-Stück entstehen wird.
Sind Twelve Thousand Days oder auch Orchis, die ja beide vor einigen Jahren ein Album aufgenommen hatten, immer noch aktiv?
Orchis haben alles erreicht, was sie vor hatten; es sollte vier “richtige” Alben geben, eines für jede Jahreszeit, und das letzte war wirklich schwer zu machen, da jeder mit anderen Dingen beschäftigt war. Wir haben ein paar Live-Shows gespielt, und das gab uns den Anstoß, wenigstens die Aufnahmen für “A Dream” zu beenden, aber es dauerte immer noch endlos lang… wir hatten so viele Gerätewechsel während der Aufnahme, dass wir bei jeder Session fast immer bei Null anfangen mussten, aber wir haben es letztlich hinbekommen, und ich bin wirklich zufrieden damit. Es gab auch technische Probleme beim letzten TTD-Album “Insect Silence”, aus den gleichen Gründen sogar, aber zumindest wurden alle Teile aufgenommen, wenn auch über einen Zeitraum von fast zehn Jahren. Ich produzierte weitere Alben für Martyn, so hatten wir die Möglichkeit, das TTD-Material in Augenschein zu nehmen, alle Overdubs zu machen, und es feritgzubekommen. Dann lag es erst mal in der Schublade; das Label, das es veröffentlichen wollte, ging pleite… Final Muzik hörten es und liebte es, und so kam es heraus und wurde unglaublich gut aufgenommen. Martyn und ich hatten bereits damit begonnen, Songs für das nächste Album “Field’s End” zu schreiben, und Final Muzik hat sich schon bereiterklärt, es zu veröffentlichen – es wird 2020 erscheinen. Alle Songs sind fertig – es waren ein paar intensive, wirklich produktive Sessions in unseren Bridge House-Studios hier in Euböa, wirklich viel Spaß; es floss einfach. Es ist fast alles gemischt und abgeschlossen… Ich muss ein paar Overdubs machen, aber Martyn hat bereits mit dem Sequenzing begonnen – wir haben vielleicht doppelt so viel Material, wie wir gebraucht hätten, und es ist alles wirklich gut – also ja, TTD sind sehr aktiv!
In den frühen 90ern, bevor Orchis “The Dancing Sun” herausbrachten, kannte man dich v.a. als einer der Betreiber des World Serpent-Vertriebs. Hast du immer noch einen starken Bezug zu dieser Zeit?
Oh ja. Das war eine großartige Zeit. Es ist eine Zeit, die vorbei ist und mit der ich fertig ist, aber ich bin unglaublich stolz auf das, was wir über einen Zeitraum von ungefähr sieben Jahren erreicht haben. Wir haben viele wirklich großartige, sehr einflussreiche Alben veröffentlicht, die eine ganze Subkultur definiert und dauerhafte Karrieren für alle Beteiligten möglich gemacht haben – nicht, dass die meisten Leute nicht schon vorher Dinge gemacht hätten, natürlich hatten sie das, aber WSD hat alle auf eine andere Ebene gebracht – sowohl was die Anerkennung betrifft als auch finanziell. Und was auch immer jetzt irgendjemand sagen mag, alle waren damals sehr zugänglich, sehr kooperativ. Es hat auch viel Spaß gemacht. Ich denke immer noch, dass WSD es nicht wirklich die verdiente Anerkennung bekommt; aber klar, das ich das sage!
Für viele war WSD weit mehr als nur ein Unternehmen und stand fast schon für so etwas wie eine eigene Subkultur. Auf der anderen Seite wurde der Name im Buch England’s Hidden Reverse oder auch im Zusammenhang mit Antony and the Johnsons, die ja auch ihre ersten Sachen bei euch herausgebracht hatten, nur wenig genannt. Wo würdest du WSD rückblickend verorten? Denkst du, dass einige Missverständnisse schon wieder ein eigenes Buch rechtfertigen würden?
Also Antony war ja ziemlich offen mit dem, was er wollte, das wäre ein traditioneller Plattenfirmen-Deal gewesen, und wir haben so etwas einfach nicht gemacht. Er war in dieser Hinsicht komplett in Ordnung, und er hatte ja auch recht – er hätte es definitiv nie so gut mit uns machen können wie nach seinem Weggang. Sicher, wir haben ihm auf seinem Weg geholfen, und die Beweiseliegen auf der Hand… und ich denke, das Album, das wir von ihm herausgebracht haben, ist in vielerlei Hinsicht besser als das, welches ihm den Durchbruch verschaffte; aber ich wünsche ihm nur alles Gute! Das Buch ist jedoch eine andere Sache; das geschriebene Wort neigt dazu, alles in Stein zu meiseln, ob es stimmt oder nicht, und England’s Hidden Reverse stimmt definitiv nicht; obwohl es auch Wahrheiten enthält. Ich sagte damals, dass es eine verpasste Gelegenheit war, und wenn ich zurückblicke, ist es wirklich traurig, wie viel Papierverschwendung da drin steckt. Keenan stellte es dem SAF-Verlag ursprünglich als Coil-Buch vor; und das hätte es eigentlich bleiben sollen. Keenan ist letztlich ein professioneller Journalist; er muss seine Arbeit verkaufen, also gebe ich ihm nicht die Schuld dafür, dass er den Fokus verschoben hat, als er eng mit Dave Tibet zusammenarbeitete, aber in der gleichen Weise, wie Coil Coil förderten, förderte Tibet C93, und so wurde es am Ende ein Buch über die Szene aus der Current 93-Perspektive, was schade war, da es wirklich viele Auslassungen und Beschönigungen gab, so dass dass es nie das werden konnte, was es zu sein vorgab. Keenan war mit Gibby befreundet – nun, Keenan war mit allen befreundet, solange es ihm passte, ich nehme an, das bedeutet nicht wirklich etwas, aber er hat uns alle interviewt, er hatte alle Informationen, die er brauchte, und trotzdem kam es so , wie es kam. Es war auch die Zeit, als sich Doug & Tibet überworfen hatten, also kamen Doug & DI6 überhaupt nicht drin vor – er wurde gefragt, trotz dessen, was er sagt, aber er hatte abgelehnt – trotzdem hätte Keenan das umgehen können. Er tat es einfach nicht. Das Buch war nicht über WSD, so mag es irgendwie auch legitim sein, dass wir nicht so sehr drin vorkamen; aber auch hier hätten wir wesentlich mehr Erwähnung finden müssen – und ist keine schmutzige Wäsche, es ist nur wie es ist. Es gab eine Reihe von Vorschlägen für ein WSD-Buch, aber ich nehme nicht an, dass es jemals passieren wird… und eine wahre Geschichte – naja, eine wahre Geschichte aus meiner Sicht, die würde wahrscheinlich niemandem gefallen!
Bist du mit der Erfahrung von heute froh, dass World Serpent in einer Zeit existiert hat, als die Leute – verglichen mit dem allgegenwärtigen Streaming heutzutage – noch physische Tonträger gekauft und gewürdigt haben?
Ja, absolut! Ohne das hätten wir es auch nie geschafft! CDs sind gerade aufgekommen, und sie kosteten sehr wenig in der Pressung und verkauften sich in Großbritannien für etwa zwölf Pfund. Sie kosten etwa 50 Pence in de Herstellung, so dass wir sie an den Großhandel in Großbritannien für sieben Pfund und an den Einzelhandel über Versand zu zehn Pfund verkaufen. Wir gaben eine gewisse Menge an Rabatt auf den Export-Großhandel, aber nicht viel – die Leute sagten oft, dass unsere Titel teuer gewesen wären; aber das lag an der Schifffahrt, plus Gewinnmargen am anderen Ende. Jeder, der direkt bei uns einkaufte, hat einen guten Preis bekommen. Und WSD operierte über den Gewinnanteil, so dass alle Bands bezahlt wurden und einen anständigen Lebensunterhalt verdienen konnten. Streaming – nun, es ist toll, dass man alles finden kann; und Scheiße, dass sich keiner mehr etwas anhört. In gewisser Weise mache ich tatsächlich lange Tracks aus purem Eigensinn… versuchen, die Menschen zu zwingen, über einen längeren Zeitraum zuzuhören. Funktioniert natürlich nicht… Sombre Soniks machen eine wöchentliche Radioshow, die zeigt, was mit Streaming erreicht werden kann, aber meistens ist das Zeug, das produziert wird, nur nur Müll.
Ich erinnere mich, dass ich einmal bei WSD vorbeikam (es muss so um 1995 gewesen sein, denn ich hatte mir die limitierte CD-Edition von ElpHs “Worship The Glitch”-CD besorgt) und es sehr angenehm fand. Hattet ihr viel persönliche Interaktion mit Kunden, die vorbeikamen?
Ja, wenn es tatsächlich jemand geschaft hatte, unseren Verschlag im tiefsten und dunkelsten Süd-London ausfindig zu machen, haben wir uns immer gefreut! Uns war immer klar, wer unsere Rechnungen bezahlt hatte, und neben jeder anderen Überlegung ist direktes Feedback immer das beste, was man bekommen kann!
Hattest du dich damals als typischen World Serpent-Musiker betrachtet, oder waren dir solche Stereotypen eher egal?
Ich denke, es gab musikalisch keine Stereotypen. Für mich lagen die Ähnlichkeiten eher in den Denksätzen; die Leute, mit denen wir arbeiteten, waren “real”, insofern dass das, was sie taten, ein teil von ihren war. Ich denke, es gab eine recht große Gemeinsamkeit an Interessen, die wir alle hatten, aber sie waren auch ziemlich breit, und jeder im unterschiedlichen Grad damit zu tun. Ich denke, wir waren im Grunde unseres Herzens alle ziemlich Punk, die DIY-Ethik und all das, auch wenn das nicht so sehr in der Musik zu finden war… So kannte Tibs z.B. Maldoror von vorn bis hinten auswendig, aber die meisten, die wir kannten, hatten es ebenfalls gelesen. Wir alle mochten kosmische Musik, aber Steve Stapleton war derjenige, der herumpilgerte und die entsprechenden Leute traf, und so weiter. Ich mochte nie den strummy Gitarrenstil, der Neofolk verkörperte – oder auch den Namen Neofolk, aber jeder war offen für Experimente, auf der Suche nach dem besten Weg, uns auszudrücken – und natürlich unsere arme, angstgeplagte Psyche. Und es wurde alles sehr “po-faced”, wie wir in England sagen – aber jeder hatte damals einen großen Sinn für Humor. Während die Leute es ernst meinten mit ihrer Arbeit, nahmen sie sich selbst nicht so ernst. Doug Pearce war ein witziger Kerl und imemr eine großartige Gesellschaft; jeder war das. Ich denke, damals hatten auch alle ihre Weltanschauungen perfekt formuliert und konnten sie ausdrücken, also gab es auch da eine Einigkeit. Aber die Stereotype – und ich weiß, was ihr – waren sicherlich nicht unsere Herstellung. Als die Szene als Ganzes größer wurde, schien das nicht mehr der Fall zu sein. Es gab damals auch ein gewisses heidnisches Element bei uns allen, das darf man ebenfalls nicht vergessen.
Gibt es für dich dieses eine zu Unrecht übersehene Projekt oder Album auf WSD, das du empfehlen würdest?
Vielleicht Reptilicus. Ihre Sachen waren großartig und haben sich nicht verkauft. Honourable Mentions gehen an The Rainfall Years und Zone. Zone hätten wirklich groß sein sollen, und ich verstehe ehrlich nicht, warum sie es nicht waren.
Ich erinnere mich, dass es in den frühen Jahren von World Serpent (zumindest in Deutschland) keine Anzeigen gab und viele Informationen bekam man nur vom Hörensagen mit. Hattet ihr das bewusst so gehalten?
Auf jeden Fall. Es ist nicht so, dass wir es nicht versucht hätten; in den ersten Jahren haben wir versucht, Werbung zu machen; wir wollten einen PR-Typen einstellen; über die Jahre gab es Aktionen mit preiswerten Compilations, aber all das hat keinen Unterschied gemacht – wir verkauften, was wir verkauften. Wenn es ein gutes Album war, verkaufte es sich; wenn es beliebig war, dann nicht. Wenn ein Vertrieb – z.B. Discordia in Deutschland – eine Kampagne machen wollte, hätten wir einen besseren Preis vereinbaren können, aber sie haben deshalb nicht mehr verkauft. In England haben wir von Anfang an mit Magazinen wie Music From The Empty Quarter, Fractured, Judas Kiss zusammengearbeitet… und in Deutschland immer wieder mit dem Black, als Thomas Wacker da war. Wir haben uns nie viel aus The Wire, Zillo, Orkus u.s.w. gemacht. Sie haben Sachen sowieso besprochen, also warum Werbung machen? Hauptsächlich war es wie gesagt so, dass es jedesmal keinen Unterschied gemacht hat, wenn wir es versuchten. Mund zu Mund-Kommunikation funktionierte viel besser!
Das hat vielleicht mit der letzten Frage zu tun: Ihr hattet immer betont, dass World Serpent kein Label, sondern ein Vertrieb ist. Würdest du das heute immer noch sagen oder denkst du, dass ihr am Ende – trotz der kleinen Labels der jeweiligen Künstler – zu einer Art Mutterlabel (in Ermangelung eines besseren Begriffs) geworden seid?
Nun, natürlich waren wir ein Label in allem außer dem Namen, soweit es öffentlich wahrgenommen wurde. Oder zumindest ein Rahmen – oder, wie ihr sagt, ein Mutterlabel. Wir waren jedoch kein Label, da wir die Aufnahmen im Allgemeinen nicht finanzierten, so dass alle Rechte bei den Künstlern blieben; Wir vereinbarten die gesamte Produktion – alles von dem Moment an, wenn wir die fertige Aufnahme bekamen, um die wir uns kümmerten, wir kümmerten uns um alle Verkäufe, und wir kassierten das Geld und verrechneten das mit den Künstlern und bazahlten sie. Ich habe mit der Verlegerei experimentiert, aber es hat nicht geklappt, also habe ich mir das aus den Kopf geschlagen. Wir waren also mehr ein Distributor und nicht wirklich ein Label. Wenn es am besten funktionierte, war es ein kooperatives System; und es war ein starkes, weil wir in der Lage waren, Skaleneffekte in der Produktion zu erzielen, und weil wir im Großen und Ganzen wählerisch waren, was die Titel angeht, die wir herausbringen wollten, unterstützte automatisch jeder den anderen; eine “World Serpent Band” zu sein garanierte so ein paar Verkäufe. Was gut für die neueren, noch unbekannten Bands war, aber manchmal den großen Acts nicht recht war.
Sind die beiden anderen Eigentümer heute auch noch in irgendeiner Weise in die Musikszene involviert?
Alison Webster hat sich zur Ärztin ausbilden lassen und ihren Abschluss gemacht und arbeitet nun, wie ihre Freunde sagten, in einem Krankenhaus. Das letzte, was ich über David Gibson hörte, war über Tibet; jemand versuchte, sich mit ihm zu treffen, und Tibet hatte den Kontakt und übermittelte die Nachricht, dass Gibby niemanden sehen wollte. Also, soweit ich weiß, haben sie nichts mit Musik zu tun!
Denkst du, dass es eine Möglichkeit gegeben hätte, die Sache noch weiter am Leben zu erhalten, oder denkst du, dass es irgendwann auch einfach Zeit war, aufzuhören?
Nun, WSD endete aus zwei Arten von Gründen, persönliche und finanzielle. Auf der persönlichen Ebene kann so ein Dreiergestirn zwar eine stabile Struktur bilden, aber wenn es darum geht, ein Unternehmen zu führen, saugt es mehr oder weniger die Kraft aus allem. Gibby & Alison waren auf jeden Fall miteinander befreundet – ich meine, sie trafen sich privat, hatten aber beide schon vorher für mich gearbeitet und waren zutiefst misstrauisch, dass ich hinter den Kulissen in irgendeiner Weise agierte, um The Boss zu sein – und natürlich so viel Zeit wie möglich in der Kneipe zu verbringen (was ich sicherlich in der Vergangenheit getan habe, ha ha). Außerdem hatte ich die Gründung von WSD mit einem Darlehen von einem Onkel finanziert, und obwohl wir es nicht ohne das hätten tun können, denke ich, dass es aus irgendwelchen Gründen einige Ressentiments gab. Englischer Klassenkram, nehme ich an. Es gab auch eine gewisse Uneinigkeit im Zusammenhang mit Orchis; Ich hatte anfangs nicht vor, “The Dancing Sun” über WSD herauszubringen, aber Gibby bestand darauf, dass ich es tun sollte – es lag schon bei den Herstellern, und ich musste WSD-Details zu dem Album hinzufügen… aber dann verkaufte es sich tatsächlich, was bedeutete, dass sie mich bezahlen mussten, was bedeutete, dass ich mehr Geld bekam als sie. Wenn ihr sie fragen würdet, würdet ich bestimmt eine andere Geschichte zu hören bekommen; aber auf jeden Fall gab es eine Menge 2 gegen 1-Geschichten, was bedeutete, dass wir viel vorsichtiger agierten, als ich es mir gewünscht hätte, was wahrscheinlich eine gute Sache war, aber das hat mich mächtig abgepisst, so dass ich wegging, sobald ich konnte. Die finanziellen Probleme waren meist die gleichen, die die gesamte Branche hatte – rückläufige physische Verkäufe aufgrund des Aufkommens des Online-Marktes, was bedeutete, dass es einfach weniger Einkommen und damit weniger Geld für die Künstler gab.
Wir mussten unsere Gewinnbeteiligungsvereinbarungen neu verhandeln – sonst hätten wir gar nicht weitermachen können – und darüber war niemand glücklich, und das lag dann auch auf der Hand. Ihr habt erwähnt, dass ihr bei uns wart, und dann wisst ihr ja, dass wir alles andere als eine luxuriöse Runde waren; und die Miete dort war niedrig genug, dass wir uns die Fläche leisten konnten, die von den Lagerbeständen eingenommen wurde, wenn wir denn gut verkauften, aber als der Umsatz sank und die Miete stieg – Seager Buildings ist heutzutage eine ganz neue, glänzende Welt – mussten wir umziehen. und, realistischgesehen, weg aus London. Alison ging nirgendwo hin; es gab eine Zeit, in der Gibby & ich davon sprachen, nach Norden zu ziehen – nicht unbedingt Glasgow, wo seine Familie war, und nicht unbedingt Lincolnshire, wo meine war, eher eine Art Kompromiss, aber am Ende kaufte er einen neuen Ort in Glasgow, also dachte ich ‘fuck it’ und gab mein Zuhause in London auf und zog mich zurück. Es war völlig richtig so, und ich hätte es schon früher tun sollen, aber ich musste zuerst das ganze juristische Durcheinander mit Doug Pearce klären – das ist eine andere Geschichte, und eine, die ich immer noch ziemlich lustig finde, wenn ich darüber nachdenke. Also, ich denke, wir haben ein bisschen länger weitergemacht, als wir hätten tun sollen, was am Ende niemandem wirklich zugute kam – aber, es ist, was es ist, und je ne regrette rien! Ich nehme an, es wäre auch möglich gewesen, dass wir uns digital hätten einrichten können, wie es State 51 tat, aber es war absolut nicht das, was wir konnten; das war es also.
(M. Göttert, U. Schneider, N. Seckel)
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