Die Luft ist schwer, mit Drama aufgeladen – so beschreibt es ein Gedicht von Charbel Haber, dessen Verse dem neuen Album von Haber, Nicolás Jaar und Sary Moussa als Titel und atmosphärische Grundlage dienen. Es zeichnet das Bild einer Welt im Umbruch, in der Realität und Fiktion verschwimmen, Nachrichten zur Groteske werden, und das Alltägliche von einer latenten Gewalt durchdrungen ist. Die in ein an William Turner erinnerndes Licht getauchte Weiterlesen
V.A.: Lost Coast: Some Visionary Music from California, 1980–1992
Kalifornien ist wohl der amerikanische Staat, der am meisten quasimythisch aufgeladen ist, der „golden state“, dessen Geographie in besonderem Maße Versprechen des amerikanischen Traums enthielt. Man denke an die Küste, die die Lyrik Robinson Jeffers’ prägte. Es ist sicher dann auch kein Zufall, dass zahlreiche gegenkulturelle Bewegungen in all ihrer Ambivalenz – Weiterlesen
BELLUCCI: Seta
“Seta”, das Debütalbum von Bellucci, einem neuen, wohl in Berlin ansässigen Projekt der Künstlerin Paola Lesina, ist eine bemerkenswerte Veröffentlichung, die auf den ersten Höreindruck fast verschlossen anmutet und in ihrer Vielschichtigkeit nur schwer zu fassen ist – ein Werk, das sich gängigen Kategorisierungen weitgehend entzieht, dabei aber v.a. duch seine präzise Gestaltung beeindruckt. Weiterlesen
SIMONEL: Cartographies Of Silence
Unter dem Namen Simonel veröffentlicht der in Mexiko geborene Joan Obed Márquez mit „Cartographies Of Silence“ nach dem 2023 erschienenen „Colmena“ das zweite Album auf Line. Konzeptionell will das Album verstanden werden als Antidot zum ubiquitären Lärm: „’Cartographies of Silence’ is an intentional space. A place to listen deeply, to contemplate, and to discover the resonant beauty held within the quiet corners of our experience.“, schreibt das Label. Weiterlesen
DARK SCROTUUM: Rotting Dreams
Die unausweichliche Verdammnis des Schicksals, das seine eigenen Entscheidungen bringt, ausführt und vergehen lässt – davon kündet ein kurzes Gedicht in den Liner Notes von “Rotting Dream”, das die Grundstimmung des ersten Longplayers des englischen Duos Dark Scrotuum recht gut zusammenfasst. Es beschreibt einen Kreislauf, in dem alles – das Neue, das Gute, das Schlechte – gleichermaßen vergeht und sich Weiterlesen
COIL: Black Antlers
Wenn man wieder in einem Anflug des Bedauerns die Liste der nicht realisierten Coil-Projekte betrachtet, dann wird wieder klar, dass Coil Meister des Ankündigens von Projekt(nam)en waren. Beim Durchschauen der hervorragend kuratierten und gestalteten bei Timeless erschienenen Bücher „The Cupboard Under The Stairs“ und „The Universe Is A Haunted House“ (letzteres leider nicht mehr lieferbar) kann man sehen, wie Textzeilen, Titel, Ideen teils nach Jahren (wieder) aufgegriffen wurden. Weiterlesen
FARAH KADDOUR / MARWAN TOHME: Ghazel
Manchmal entsteht musikalische Nähe nicht durch das Verfolgen eines Konzepts, sondern durch Zuhören – ein vorsichtiges Sich-Antasten verschiedener Instrumente, die einander Raum geben. So beginnt auch das erste als Duo aufgenommene Album “Ghazel” von Farah Kaddour (Buzuq) und Marwan Tohme (Gitarre, Elektronik), beide neben anderen Aktivitäten auch Mitglieder der experimentellen Weiterlesen
ENTEN HITTI: Mistiche Ribelli
Enten Hitti ist ein hierzulande noch wenig bekanntes Ensemble aus Mailand um die beiden Komponisten Pierangelo Pandiscia und Gino Ape, das in seinen neoklassischen Kompositionen das Vertrauen in das Spirituelle jenseits institutioneller Dogmen als einen stillen, unaufdringlichen Widerstand feiert. Auf dem neuen Album “Mistiche Ribelli”, auf dem einige unserer Leser sicher die Stimme Carmen d’Onofrios (Camerata Mediolanense) wiedererkennen, setzen die Musiker sich mit Weiterlesen
ZÖJ: Give Water To Birds
Ein Fenster steht offen, draußen zwitschern Vögel, das Meer rauscht irgendwo in der Ferne, vielleicht war es sogar näher, vielleicht direkt vor dem Haus. Diese scheinbar beiläufige, gleichwohl idyllische Klanghkulisse ist nicht nur eine zufällige Aufnahme, sondern integraler Bestandteil eines Albums, das mit großer Sorgfalt gerade solche Momente des Ungeplanten bewahrt. Es ist ein leiser, aber eindringlicher Auftakt für “Give Water to Birds”, dem neuen Werk von ZÖJ. Weiterlesen
IN GOWAN RING: The Wondrous Stubborn Lyre
Manchmal sind es eher die sanften Stimmen, die sich am klarsten behaupten, und das nicht primär durch eigene Dominanz, sondern durch ein offenes Ohr für das, was sie umgibt. B’ee und sein “Symbolist Folk”-Projekt In Gowan Rings sind nicht nur ein Beispiel dafür, seine neue digitale Single “The Wondrous Stubborn Lyre” kündet auch genau davon: von einem Instrument, das sich nur demjenigen erschließt, der nicht versucht, es zu beherrschen, sondern ihm zuhört. Weiterlesen
MEKETA POWER ELECTRONICS: 777
Power Electronics und Religion sind oftmals eher von Aversion geprägte Begriffe: So hat Mike Dando auf einer Reihe von Veröffentlichungen durch Strategien wie (Über-)Affirmation („Seven reasons why I love my saviour Jesus Christ“) und Konfrontation mit den weniger erquicklichen Seiten des Christentums („Rome Songs“) (organisierte) Religion scharf kritisiert. Die Schweden von Mental Destruction dagegen wollten ihren selbst so betitelten „orthodox industrial“ als echten Ausdruck von Liebe zu Christus verstanden wissen. Weiterlesen
PHLÅSS: Cut
Nicht jeder Bruch ist laut, manche wirken sogar dann am stärksten, wenn sie sich beinahe verstecken – im Rauschen, im Flirren, in der subtilen Andeutung. “Cut”, das neue Album des italienischen Duos Phlåss, bewegt sich genau in diesem Bereich: zwischen dem Sichtbaren und dem beinahe Ausgeblendeten, zwischen Experiment und emotionaler Verdichtung. Weiterlesen
KATHLEEN YEARWOOD: Wormwood 7″
Manche künstlerischen Stimmen verweigern sich konsequent jeder Form von Glättung, da sich die Welt, in der sie leben, nicht glätten lässt. Kathleen Yearwood gehört zu diesen Stimmen. Auf ihrer neuen, in rotem Vinyl geschnittenen 7″-Single “Wormwood / Voices and Lightenings” greift sie zentrale Motive der biblischen Apokalypse auf, allerdings weniger als religiöses Programm, sondern als Bildbereich für Weiterlesen
ØJERUM: Til Vinden I Dine Øjne
Etwas rauscht, als wäre es schon immer da gewesen. Ein leises Flirren, das an der Schwelle zwischen Luftzug und Erinnerung liegt. Aus dieser Szenerie nahe an der Stille entsteht “Til Vinden I Dine Øjne”, das neue zwei lange Stücke umfassende Album des in Kopenhagen lebenden Künstlers øjeRum. Zwei lange Kompositionen entfalten sich in einem kreisenden Fluss, der keine Weiterlesen
ABUL MOGARD: Quiet Pieces
Das neue Album “Quiet Pieces” des italienischen Komponisten Abul Mogard basiert auf einem Prozess der Wiederaneignung: Der Künstler arbeitete mit älterem, bislang unbearbeitetem Archivmaterial und kombinierte es mit neu entstandenen Stücken, die auf Samples aus klassischen Schallplatten seines verstorbenen Onkels beruhen. Diese spielte er in verlangsamter Geschwindigkeit ab, bearbeitete sie mit Effekten und ließ sie in die neuen Kompositionen einfließen. Dabei entstand Weiterlesen
TRAPPIST AFTERLAND: Collected Solo Works
Der australische Folksänger und Mehrfachinstrumentalist Adam Geoffrey Cole hat in den vergangenen knapp zwanzig Jahren eine ganze Reihe an Alben aufgenommen und meist als Trappist Afterland, vor einigen Jahren aber auch unter seinem eigenen Namen veröffentlicht. Die Entscheidung für den einen oder den anderen Interpretennamen hat wenig mit der Anzahl eventuell beteiligter Gäste zu tun, vielmehr wohl dagegen mit Fragen nach einer Weiterlesen
THE VOMIT ARSONIST: To What End
Nicht etwa, dass in Genres wie Power Electronics oder Death Industrial Subtilität eine weitverbreitete Eigenschaft ist, aber der Name des Einmannprojekts aus Rhode Island klingt schon in besonderem Maße infantil. Andrew Grant meinte dann auch vor etlichen Jahren in einem Interview: „It was a stupid name I came up with 10 or so years ago, when the project was supposed to be nothing more than the most unlistenable garbage I could come up with. “ Weiterlesen
SPANO.: Spano II
Mit “Spano II” setzen Stefano Fano, auch bekannt als Stefano Roman, und Paolo Spaccamonti ihre Zusammenarbeit fort, die sich schon auf dem Vorgänger als feinsinnige, aber zugleich kompromisslose Auseinandersetzung mit instrumentalem Hip-Hop und den Möglichkeiten elektronischer Texturen gezeigt hat. Auch diesmal steht nicht die klare Form im Vordergrund, sondern die Spannung zwischen Fragment und Weiterlesen
SWANS: Birthing
Es dürfte wenige Bands geben, die nach ihrer Reformierung, oder – wie es Michael Gira damals formulierte – „reconstitution“ so aktiv wie die Swans waren/sind. Zuerst mag man Giras Insistieren auf der Begrifflichkeit als semantische Spitzfingerei abgetan haben, aber die Jahre seit dem Erscheinen von „My Father Will Guide Me up a Rope to the Sky“ im Jahr 2010 waren beeindruckend – Weiterlesen