ZOLA JESUS: Stridulum

Der Name der jungen Amerikanerin Nika Roza Danilova, die ihre künstlerische Inkarnation ZOLA JESUS nennt, raunte in den letzten zwei Jahren in zuverlässiger Regelmäßigkleit durch internationale Medien. Was hat es auf sich mit dieser merkwürdig retromäßigen Wave-Musik, die gerade einem Szene-Schuppen der frühen 80er entsprungen sein könnte und schon deshalb heute, wo die Eighties-Welle doch vor einiger Zeit erfolgreich abgeklungen ist, der letzte Schrei sein müsste? Vielleicht ist es die Ernsthaftigkeit der Philosophiestudentin aus dem provinziellen Wisconsin, die ihrer vordergründig so altbekannten Musik die verdiente Aufmerksamkeit beschert.

Wie schon bei Danilovas Debüt “New Amsterdam”, dem darauffolgenden “The Spoils” und der Split-Veröffentlichung mit dem Horror-Elektroniker BURIAL HEX sind die musikalischen Mittel auf ihrer neuen EP “Stridulum” zunächst recht überschaubar. Flächige, aber keineswegs ambiente Syntheziser-Schichten mit einem Touch ins Orchestrale, sowie minimalistische elektronische Midtempo-Rhythmen prägen den Hintergrund, dessen Produktion hier weit weniger Lofi ist, als bei den von nebligem Rauschen dominierten Vorgängern, die stellenweise klangen, als entströmte die Musik einem dunklen Kellerfenster in irgendeiner heruntergekommenen Seitengasse in Chicago. Dadurch wird der seltsam zweckentfremdete Shoegazer-Effekt der älteren Aufnahmen durch eine gewisse Aufgeräumtheit ersetzt, die dank einer Liebe zum dezent Verzerrten immer noch weit davon entfernt ist, glatt zu wirken. Geblieben ist ein metallischer Grundtenor des Klangbildes, welcher durch den Wegfall des Dumpfen eine von Beginn an vorhandene klangliche Unterkühltheit noch stärker hervorhebt. Bei genauerem Hinhören mag einem dies allerdings wie eine hauchdünne Schicht vorkommen, welche eine musikalische Wärme schützend umschließt, die wohl Legionen von Musikschreibern mit der (irgendwie passenden) Metapher “organisch” versehen würden. Dies verdankt sich zum einen der einnehmenden Melodik der Songs, zum anderen den letztlich im Vordergrund stehenden Vocals der Künstlerin, die mal vorübergehend an eine klassische Gesangskarriere dachte und sich am Ende doch für dunkle Popmusik entschied. Wie schon der jüngst bei Black vorgestellten Kal Cahoone wird Nika oft eine große gesangliche Ähnlichkeit mit Siouxsie Sioux attestiert; doch während erstere auf eine bunte und fast anheimelnde Art von Schönheit setzt und die emotionale Komponente meist sehr direkt anbringt, sind die großen Gefühlsmomente hier eher inmitten von tristen, desolaten Szenerien zu suchen, in denen das Gerührtsein in der Geste der Festgefrorenheit umso intensiver umkreist wird. Als Hörer eher gitarrenlastiger Musik, dessen Kanon der letzten Jahre stark auf eine Musik vor Postpunk und Industrial verweist, ist mir die Wave-typische Ambivalenz zwischen starker Emotionalisierung und ebenso starker Gefühlshemmung und Beherrschtheit vielleicht weniger nah als dem typischen JOY DIVISION und SUICIDE-Hörer – dennoch bin ich eingenommen von der emotionalen Vielschichtigkeit und dem erfreulich untheatralischen Gestus dieser Musik, die einem sämtliche Retroaspekte im Laufe des relativ kurz bemessenen Hörerlebnisses vergessen macht – ganz im Unterschied zu so manchem, was sich Minimal Electro schimpft. Im Grunde wirkt die EP am besten als ein Ganzes, wenngleich gerade der Auftakt “Night” auch schon als der Hit auf “Stridulum” betrachtet werden kann. Seiner Melodie Ohrwurmqualität zu attestieren hieße sie zu trivialisieren, wenngleich man sie wirklich nicht aus dem Kopf bekommt, wenn man erst einmal infiziert wurde. Auf die folgenden, zum Teil etwas dissonanter klingenden Stücke wie das düster kriechende “Run Me Out” oder das zwischen Bedrücktheit und Euphorie schwankende “Manifest Destiny”, trifft das ebenfalls zu. Sie alle sind Perlen einer vordergründig coolen, stylischen Monotonie, einladend zum Tanz ohne vitalistischen Ausbruch, der dennoch all die Dinge erfahrbar machen kann, die in den Texten anklingen: Angst, Vertrauen, Hoffnung, Einsamkeit, Nähe, Distanz.

Ich spreche nicht gerne solche Empfehlungen aus, aber wer beim Gedanken an Siouxsie, Anne Clarke oder Kate Bush von Nostalgie übermannt wird und den epigonalen Zustand vergleichbarer Musik heutigen Datums beklagt, der sollte sich dringend mit ZOLA JESUS beschäftigen. Und wer sich das Ganze noch einen Schuss poppiger (zum Beispiel als eine Art Schwarz-Weiß-Variante von HERCULES AND LOVE AFFAIR) vorstellen könnte, der soll mal die Ohren aufhalten nach Danilovas neuem Duett NIKA+RORY, von dem bislang niemand so richtig weiß, ob es nur als temporäres Freizeitprojekt gedacht ist oder noch mehr von sich reden machen wird. (U.S.)