Bis zum 2005 erschienenen Album „The Devil’s Steed“ war es Tony Wakeford über die Jahre mit Hilfe von Leuten wie Sally Doherty und Matt Howden gelungen, SOL INVICTUS in eine harmonischere und klassische Richtung zu lenken und auf „Thrones“ sogar dezente Jazzeinflüsse zu integrieren. Er selbst bezeichnete das damalige Lineup mehrfach (u.a. in den Linernotes zu der Compilation „The Giddy Whirls of Centuries“) als das beste der Bandgeschichte.
Vor „The Devil’s Steed“ verließen die beiden oben genannten Musiker die Band und das Album klang dann auch erheblich rauer und rustikaler als der Vorgänger. Auch Tor Lundvalls ungewohnt spärliches Artwork konnte man als Illustration einer gewissen Reduktion lesen. Kurze Zeit nach Erscheinen des Albums verließen dann auch noch Eric Roger und Karl Blake unter wenig erfreulichen Umständen die Band und seitdem veröffentlichte der ewig produktive Wakeford zahlreiche Soloalben und Zusammenarbeiten mit anderen, allerdings kein neues Album seiner Hauptband und es hieß, er habe zwischenzeitlich darüber nachgedacht, sie aufzulösen (der Ballast der Vergangenheit wiegt manchmal und in diesem Fall – gelinde gesagt – besonders schwer).
Sechs der dreizehn auf „The Cruellest Month“ zu findenden Songs sind in der einen oder anderen Version in den vergangenen Jahren veröffentlicht worden, etwa auf Samplern („To Kill All Kings“, „The Blackleg Miner“), als Vorabsingle („The Bad Luck Bird“, „Stella Maris“) oder auf dem DUO NOIR-Livealbum „Sintra“ (das Titelstück und „Edward“). Glaubt man beim Eröffnungsstück „Raining in April“ durch die recht melodischen Streicherpassagen noch, hier werde mit neuer Besetzung versucht, an klassische Alben und das ehemalige „Lieblingslineup“ anzuknüpfen, kommen schnell scheppernde Drums hinzu, die das Stück dann etwas ruppiger klingen lassen, bevor dann mit dem in anderer Form auf „John Barleycorn Reborn“ veröffentlichten „To Kill All Kings“ dieser Eindruck gänzlich aufgelöst wird: atonale Streicher, die wie Warnsirenen tönen, erneut brachiales Schlagzeug und eine hektische Flöte, die das Stück sperriger als die Ausgangsversion klingen lassen, da das Zusammenspiel der einzelnen Instrumente immer eine leicht atonale Note hat. Das wird sich fast leitmotivisch durch das gesamte Album ziehen. Auch der Gesang klingt entsprechend rau. Möwenkreischen kündigt das ruhige„The Sailor’s Aria“ (die Vertonung eines Textes des irischen Dichters Hanum Tate) an: Drones im Hintergrund untermalen Kings leicht schiefen Gesang. An die Seethematik (und passend von einem Akkordeon untermalt) knüpft „Fools’ Ship“ an, das Narrenschiff, das mit leicht anderem Namen auch Wakeford als Auftrittsort diente und die (syntaktisch holprigen und semantisch leicht schiefen) Zeilen „Books and bodies burn/To prove we never learn“ zeigen wie üblich eine Desillusionierung und Skepsis, was den menschlichen Fortschritt anbelangt (und man muss Wakeford schon übel gesonnen sein, wenn man glaubt, hier Spengler’sche Untergang-des-Abendlandes-Phantasien herauszuhören). Thematisch knüpft „Toys“ daran an: Als Metapher für den katastrophalen Zustand der Welt dient die Destruierung klassischer und allseits bekannter Spielzeuge: Der unschuldige und nicht erwachsen werdende Peter Pan „schläft mit Huren“, Action Man, die englische Version von G.I. Joe, ist ein Päderast und Noddy dreht Snufffilme (um drei willkürliche Beispiele herauszugreifen) und am Ende findet sich die pessimistische Schlussfolgerung: „we are easily brought [!] and easily sold/England expects you to do as your [!] bloody well told“ (ein Lektor wäre nicht schlecht gewesen). King trägt von Gitarre untermalt das Traditional „Edward“ vor und hier retten gerade die letzten instrumentalen, erneut leicht schiefen letzten Minuten das Stücke vor allzu großer Berechenbarkeit. Das schon bekannte „The Bad Luck Bird“ mit dem tollen Zusammenspiel von treibenden Flöten und Akustikgitarre ist vielleicht der Hit des Albums. Das Instrumental „April Rain“ mit Flöte, Hackbrett und Geige verweist auf den ersten Titel. Auf acht Minuten kommt Kings Interpretation des Traditionals „Cruel Lincoln“, als „Long Lankin“ schon von einer Reihe anderer Bands vertont. Was hier mit dezenter Akustikgitarre beginnt, steigert sich im Verlauf der vorgetragenen Geschichte in ein aggressiv-polterndes Stück; hier beeindruckt, wie sich der Gesang bis zur Darstellung des Mordes am Ende beharrlich steigert. Verzerrter Gesang findet sich bei der ansonsten recht typischen SOL INVICTUS-Nummer „Something is Coming“. „Stella Maris“ ist vergleichen mit einigen anderen Tracks dagegen fast schon etwas antiklimatisch, wenn auch kein schlechtes Stück. Das Titelstück ist zurückhaltend, eine Flöte leitet das Lied ein, dann folgen Streicher und Hackbrett, zu denen Wakerford erneut desillusioniert „This indeed is the cruellest month/We swap young limbs for bloody stumps/This indeed is the cruellest month/The hiss of snakes and governments“ intoniert. Dabei spielt der Titel natürlich auf das vielleicht berühmteste Gedicht in englischer Sprache an, T.S. Eliots 1922 erschienenes Magnum Opus „The Waste Land“ (dessen Eröffnungszeilen „April is the cruellest month, breeding/Lilacs out of the dead land“ selbst die Eingangszeilen „Whan that Aprill, with his shoures soote/The droghte of March hath perced to the roote“ aus Chaucers Canterbury Tales umkehren). Mit der Antistreikbrecherhymne „The Blackleg Miner“ endet das Album brachial.
Durchgängig fällt auf, dass der Akustikgitarre eine geringere Rolle als zuvor zukommt, wie vital diese fast komplett neu besetzte Band ist und wie wenig Wakeford eigentlich mit einem Genre zu tun hat, das heutzutage oftmals von Kniebundhosen tragenden Biedermännern und Möchtegernjägern bevölkert ist, deren steife Posen, die völlige musikalische und textliche Gehalt- und Belanglosigkeit ihrer Stücke verbergen sollen. Für all diejenigen, die wenig mit oftmals langweiliger Lagerfeuerromantik anfangen können, ist dieses raue, oft atonale Album ein willkommenes Gegenmittel und vielleicht sollte man Wakeford einfach mal wünschen aus dieser Ecke herauszukommen, denn seine Musik ist schon lange weit davon entfernt, insofern ist die auf „Something’s Coming“ gestellte Frage „Do you play dead or do you advancve?“ leicht zu beantworten.
(J.M.)