V. A.: The Devil In Love

Compilations sind eine seltsame und oftmals wenig befriedigende Art von Tonträger, da man  sich häufig die sprichwörtlichen Rosinen aus dem Teig des Mediokren herauspicken muss. Noch etwas anders verhält es sich bei thematisch gebundenen Samplern: Die Gefahr liegt darin, dass sich ein paar Vertreter einer Subkultur einem dieser Subkultur vermeintlich angemessenen Thema widmen –  einem Thema, das oft schon zum Klischee geronnen ist –,  was zu einer – positiv gewendet – gewissen Kohärenz beiträgt, aber auch – böse (oder ehrlich) gesagt – zu einer ziemlichen Monotonie führen kann. Zudem hat man häufig den Eindruck, Künstler steuerten zweitklassige Outtakes oder unveröffentlichte Stücke bei, die wenig mit der thematischen Klammer zu tun haben.

Bei der in Schweden veröffentlichten Doppel-CD handelt es sich um eine sich einem bestimmten Thema widmende Zusammenstellung, ist „The Devil in Love“ doch als Soundtrack für den ursprünglich im 18. Jahrhundert erschienenen Kurzroman „Der verliebte Teufel“ von Jacques Cazotte konzipiert. Dieser Roman hat sehr unterschiedliche Interpretationen erfahren – etwas, das auch in den Linernotes hervorgehoben wird. Im Kindler heißt es: „Intention und literarisches Genre dieser Geschichte sind nicht eindeutig festzulegen.“ Das wird nicht dadurch einfacher, dass das Romanende je nach Ausgabe variiert, damit die Polyvalenz, die Deutungsmöglichkeiten noch einmal steigernd. Im Roman beschwört ein junger Adliger den Teufel, der ihn im Folgenden als Kamel, Hund, Diener und schließlich als attraktive Frau begleitet, in die er sich verliebt.

Die Auswahl der Musiker ist auf den ersten Blick durchaus passend, da sich eine ganze Reihe der hier Beteiligten im Laufe ihrer Karrieren in irgendeiner Form mit dem Unheimlichen, dem Irrationalen beschäftigt haben – sei es auf satirische, sei es auf ernstere Weise.

Das Album wird von „Biondetta“ (das ist der Name, den der Teufel in Frauengestalt trägt) von den großartigen THE SCARRING PARTY eröffnet, die ihre von Akkordeon und Tuba dominierte Musik selbst in der Music Hall-Tradition der 20er und 30er verorten.  Passenerweise folgen darauf  die vom Cabaret geprägten TIGER LILLIES mit ihrem so typischen Falsettgesang, wobei sie sich auf „I’m in Love with the Devil“ recht kontemplativ und zurückhaltend geben, der melancholisch-reflektierende  Gesang von getragenen Streichern und dezent gezupfter Gitarre untermalt wird. Das düstere „A Devil in Love“ der COFFINSHAKERS (die sicher Roy Orbison wie auch Johnny Cash einiges verdanken und deren sonstige Arbeiten – wie der Name schon vermuten lässt – sehr augenzwinkernd mit der Finsternis umgehen) ändert dann die Stilrichtung. Natürlich darf auch PAUL ROLAND nicht fehlen, der sich im Laufe seiner langen Karriere immer wieder mit Gotischem und Makabrem, Okkultem und Esoterischem beschäftigt hat: Hier ist er mit einer schönen Singer-Songwriter-Nummer namens „I Dared the Devil“ vertreten. JARBOE gibt sich in ihren Linernotes, in denen sie ihr Interesse an Kaballah, dem tibetanischen Totenbuch und Magie darlegt, (etwas zu?) ernsthaft: „Mistress of deceit“ ist ein von Akustikgitarre und Klavier und dem leicht verzerrten Gesang bestimmter Song, der am Ende durchaus hysterische und bedrohliche Züge annimmt.  SHARRON KRAUS ist mit einem unglaublich minimalistischem Song vertreten, auf dem Sprechgesang und merkwürdige wortlose Vocals dominieren und der sich von der Musik ihrer letzten Alben ziemlich entfernt und stark experimentellen Charakter hat. Dagegen klingt der Beitrag des in Brighton ansässigen PIERS BLEWETT fast schon (zu) konventionell: ruhiger, leicht melancholischer Folk. RIKKE LUNDGREEN & ANE LAN spielen eine Art ritualistischen, sakralen Folk, der durch den Gesang entfernt an Fursaxa erinnert. Timothy Renners wieder aktive STONE BREATH steuern eine lange von Saradas Stimme geprägte Nummer bei, der das Cembalo, das im zweiten Teil des Songs auftritt, etwas Barockes verleiht. Nach diesen Beiträgen kann man den Track „Biond“ der aus Berlin stammenden (und etwas an Gravenhurst erinnernden) BRACE/CHOIR durchaus schon rockig nennen. Abgeschlossen wird die erste CD von den Schweden von DIFFERNET: Eine Sängerin kämpft sich durch  fragmentierte Elektroakustik.

Die zweite CD wird passenderweise von GAVIN FRIDAY eröffnet: Er trägt seinen Text wie ein dekadenter Dandy vor, seine gesprochenen Worte werden von verlangsamten Chorälen untermalt. Das japanische Einmannprojekt SHINKIRO bewegt sich eher im Bereich Dark Ambient, beweist aber mit „Biondetta Reveals Herself“ wie variantenreich man innerhalb dieses oft eng abgesteckten Genres arbeiten kann.  JOHN ZORNs orientalisch geprägtes „Yeqon“ ist eine tolle Klezmernummer; die seit Jahren aktiven SHINJUKU THIEF offerieren kaum zu lokalisierende Geräusche und Drones, bevor der instrumentale Pop von MOLLY NILSSON die Stimmung etwas aufhellt. Dreizehn Minuten dauert dann ART ZOYDs monumentaler von Orgeldrones und Vogelzwitschern durchzogener Track. KALKI LODGE knüpfen mit ihrem von orientalischen Flöten geprägten Dronestück daran an. Altmeister KEIJI HAINOs foussiert sich auf Gitarre und seinen fragilen Gesang; der schräge Pop von DÖDENS LAMMUNGAR dürfte ebenso wie SHAPESHIFTERs sehr elektronische rhythmische Nummer auch Intro-Lesern und anderen Hipstern gefallen. Abgeschlossen wird die zweite CD von MARTIN BLADH, der sich schon lange als den versehrten menschlichen Körper in den Vordergrund stellenden Künstler in der Tradition der Wiener Aktionisten sieht und der auf „Of Flies…“ Fliegengeräusche und gesprochenen Text einsetzt, dabei wie schon auf anderen Soloarbeiten weniger brachial als bei IRM agiert. Verglichen mit der ersten CD fällt diese hier etwas experimenteller aus.

Um auf den Anfang zurückzukommen: Bei ein paar der instrumentalen Stücke ist der Bezug zum Roman schwieriger festzustellen als bei denen, deren Text Anknüpfungspunkte gibt. Dass es aber trotz oder wegen der ziemlichen Heterogenität der Beiträge keinen einzigen Ausfall gibt, sollte allein schon für diese Zusammenstellung sprechen. CD-Hülle und Booklet sind dezent mit Bildern von Édouard de Beuamont illustriert, die ursprünglich eine 1845 erschienene französische Ausgabe zierten. Ob es von vornherein klar war, dass die Vielschichtigkeit der Beiträge auf gewisse Weise die vielen Deutungsmöglichkeiten des Romans widerspiegeln soll, sei dahingestellt, bei einer solch durchweg gelungenen Zusammenstellung sollte man diese von Labelseite gemachte Äußerung aber im Zweifelsfall glauben.

(M.G.)