It’s Nice To Make Things. Ein Gespräch mit Liz Green

Wäre Liz Green ein halbes Jahrzehnt früher auf der medialen Bildfläche erschienen, dann wäre ihr Name sicher noch mehr durch aller Munde gegangen als es nun nach der Veröffentlichung ihres ersten Albums “O, Devotion!” der Fall ist. Damals nämlich hatten akustische Klänge folkloristischer Grundierung gerade Hochkonjunktur – vorzugsweise wenn sie über eine gewisse Schrägheit und ihre Erzeuger über einen deutlich erkennbaren Außenseitergestus verfügten. Von diesen Modephänomenen hätte sie nicht nur profitiert, sie hätte die ganze Bewegung auch bereichert. Zum einen, weil sie Engländerin ist, was in dem doch sehr amerikanisch geprägten Folk 2.0 selten war. Zum anderen aber auch, weil sie eine bislang unbekannte Note beigegeben hätte: Ihre Durchmischung britischer Trockenheit mit der Beschwingtheit amerikanischer Ragtime-Schlager ist bislang einzigartig und passt genau genommen zu keinem der gängigen Retro-Trends. Schon deshalb begrüßen wir es, dass ihre Musik in einer Zeit entdeckt wird, in der Folk wieder ein Musikphänomen unter vielen ist und die Feinheiten ihres Stils viel deutlicher ins Auge fallen. Zu den Feinheiten zählen auch die vielen außermusikalischen Details wie ein konzeptuell stimmiges Artwork, Releases in kleineren Formaten und Videos, fast ausschließlich in Eigenregie kreiert – it’s nice to make things, wie sie im Interview resümieren wird. Im Rahmen ihrer Europatournee trat sie wieder einmal im King Georg in Köln auf, an das alle Bandmitglieder nur positive Erinnerungen haben. Das Konzert machte deutlich, dass ihre im folgenden Interview gemachten Aussagen kein bloßes Kokettieren sind, denn ihr Auftritt war geprägt von Spielfreude, einer beeindruckenden Bühnenpräsenz und ihrer Fähigkeit Geschichten zu erzählen. Dafür war sie auch bereit unter einer Kapuze singend die Rolle eines Vogels anzunehmen.

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Denkst du, dass der Ort, an dem du aufgewachsen bist, wichtig war für die Art Musik, die du spielst?

Ja, das ist eine gute Frage. Ich bin in West Kirby auf dem Wirral aufgewachsen, das ist ein wirklich kleiner Ort in Großbritannien, der an drei Seiten von Wasser umgeben ist.

Ich kenne den Ort, denn ich habe auch eine Zeit lang dort gelebt.

Oh, wirklich?

In West Kirby.

Oh, was hat dich dorthin verschlagen?

Ich hatte dort ungefähr ein Jahr lang als Fremdsprachenassistent für Deutsch gearbeitet.

In der West Kirby Grammar School?

West Kirby Grammar School for Girls and Calday Grange oben auf dem Hügel.

Oh, das ist dir Schule, auf der ich war. West Kirby…

Wann war das?

1994 bis 2000.

Das ist witzig.

Warst du in der Zeit dort?

Ja, ich begann im Herbst 1994 dort zu arbeiten und blieb bis zum Sommer 1995.

Oh wow. Ich war damals im ersten Jahr der Sekundarstufe. Das ist wirklich witzig (lacht). West Kirby ist ein lustiger Ort und auch etwas merkwürdig. Für einen Teenager ist die ganze Szenerie dort ziemlich langweilig, verstehst du, ziemlich öde.

Das kann ich mir vorstellen.

Aber Liverpool ist ganz in der Nähe. So hatte ich dann quasi diese zwei Leben. Auf dem Wirral hing ich zuhause fest, da war nicht viel zu machen. So las ich viel und war kreativ. Ich saß viel in meinem Zimmer… nachdenkend (lacht). Und dann hatte ich dieses andere Leben, als ich anfing nach Liverpool zu gehen und in Rock Clubs rumhing mit 14, 15 und ein lautes, verrücktes Leben hatte. Ja, es hat die Musik definitiv beeinflusst.

Wenn über deine Musik gesprochen wird – ich denke da an etwas aus dem Guardian, dass du auf deiner Website gepostet hattest – betonen anscheinend alle das Vintage-Element. Kommst du mit diesem Stempel klar?

Nun ja, es hört sich schon so an. Du weißt schon, die Instrumentierung und mein Gesang. Es fällt den Leuten schwer, das auf den Punkt zu bringen. Für mich klingt es nicht nach Vintage und ich versuche auch nicht so zu klingen. Es ist einfach das, was dabei herausgekommen ist. Ich war in keinen Bands, als ich aufgewachsen bin, ich hatte auch nicht gesungen oder Gitarre gespielt als ich aufgewachsen bin. Ich verdaute eine Menge Musik und eine Menge Bücher und eine Menge Informationen anderer Art und irgendwann kam einfach etwas dabei heraus, und dies ist es nun, was dabei heraus kam. Ich denke es ist eine Art Schmelztiegel all der Dinge, die mich beeinflusst haben.

Auf unserer Webseite gibt es eine Review zu deinem Album und der Redakteur musste bei deiner Musik an Autoren denken, die teilweise mit dem sogenannten Southern Gothic assoziiert werden, Flannery O’ Connor zum Beispiel oder auch William Faulkner. Interessierst du dich für diese Autoren?

Ja, ich mag Geschichten und ich interessiere mich für Southerrn Gothic, es gibt da eine Geschichte von Richard Brautigan. Wie heißt sie noch mal? Die Gothic-Artige jedenfalls. Ich mag seine Art zu schreiben, dieses Geisterhafte. Mich faszinieren Orte, die nicht da sind, wo du bist. Das geht jedem so, nicht wahr? Weil sie dieses Element des Exotischen haben. Amerika zum Beispiel erscheint als eine riesige Wüste voller Freakshows und Coney Island und Tom Waits singt irgendwo um die Ecke und Bluesleute kommen die Straße runter auf mich zu. Amerika ist so ein neues Land, aber all die Mythen, die darum entstanden sind… Das ist ziemlich beeindruckend für etwas, dass erst ein paar Jahrhunderte alt ist.

Gibt es englische Autoren, die du besonders magst?

Ich mag Bücher generell, ich lese eine Menge. Ich kann mich gar nicht erinnern, wer ist englisch?

Macht nichts.

Ich mag alle Bücher. Ich kann mich gar nicht erinnern, ich lese so viel. Aber ich mag auch Geschichten aus anderen Ländern. Ich mag Hermann Hesse sehr, Dostojevski, sie sind ziemlich philosophisch, aber vor allem Dostojewski ist auch sehr witzig. Oh, George Orwell. Er ist großartig.

Erst heute hab ich mit einer Gruppe Schüler über “1984″ gesprochen.

Wow. “1984″ ist unglaublich. Eines meiner Lieblingbücher von George Orwell ist “Coming up for air”, es handelt von einem Mann mittleren Alters, der mit seiner Frau und seinen Kindern in einem Dorf lebt und über seine verlorene Jugend klagt.

Als ich so 16 war hatte ich eine Reihe an Orwell-Büchern gelesen: “1984″, “Road to Wigan Pier“, “Down and out in Paris and London”. Ich erinnere mich noch an das Ende von “1984″, wenn er schließlich Big Brother liebt – ich war wie erstarrt. es gab einfach kein Entkommen.

Ja, es gibt ähnliche Themen in “Coming up for air”. Ich ging an die Uni um einen Abschluss in Englisch zu machen. Ich liebe Bücher, deshalb dachte ich, dass ich das machen sollte, aber es stellte sich heraus, dass ich zwar die Bücher liebte und auch gerne darüber forschte, allerdings nicht so gut im Schreiben von Essays war. Ich wollte nichts auf eine vorgeschriebene Art zurück geben. Es kam anders. Aber während ich da war, entwickelte ich ein großes Interesse an der Idee des gesellschaftlichen Außenseiters. Jeder findet manchmal, dass es niemanden wie ihn gibt oder dass er unsichtbar ist. “Aufzeichnungen aus dem Kellerloch” von Dostojewski und Ralph Ellisons “Der unsichtbare Mann”. Dieser Mann sitzt im Keller unter dem Gebäude und zweigt Elektrizität ab. Er hat tausende von Glühbirnen, und mir gefiel diese Vorstellung dieses stillen Trotzes.

Da du dein Interesse an Außenseitertum erwähnst – du hast zwei Singles herausgebracht, war das auch ein Statement gegen Downloading?

Wir wollten sogar eine Grammophon-Platte machen, aber wir konnten niemand finden, der das preiswert genug macht (lacht). Es war das erste, was wir heraus brachten. Er ist nun mein Manager, aber damals waren wir nur Freunde und wollte nur so zum Spaß was rausbringen. Eine Grammaphon-Platte wäre gut gewesen. Es ist fast so, als wollten wir, dass keiner sich das anhört. Ich denke tatsächlich, dass 7′-Singles heutzutage ein nettes Format sind. Musik hat sich verbilligt, na ja, nicht wirklich verbilligt, aber sie ist jetzt so einfach verfügbar. CDs sind nun irgendwie obsolet geworden. Wenn du jemandem eine 7′ gibst, hat das eine Art taktilen Wert. Du weißt, dass es zurück kommt. Die Leute kaufen eher Vinylplatten als CDs. Es ist schön, Sachen zu machen.

Es ist schön, sie zu haben. Wenn alles sofort erhältlich ist, verliert es seinen Wert.

Es ist das gleiche wie mit vielem in der Gesellschaft. Wir müssen nicht sparen. Wir haben Kreditkarten und keiner spart mehr Geld. Die Vorstellung, limitierte Auflagen zu machen, die etwas Besonderes sind, ist großartig.

Ich denke, dass jemand wie Stephen [Burch, The Great Park, Woodland Recordings] tolle Sachen macht.

Ja, ich war zuvor auch auf einem Label namens Humble Soul. Wir machten genau das gleiche, ein Freund von mir hat ein Label namens Red Deer Club, auch das geht in die gleiche Richtung. Alles, was wir machen, sind kleine Auflagen handgemachter Schönheit. Ja, es ist wirklich wichtig, dass man es persönlich und besonders und sammelbar hält. Es macht Spaß, diese Dinge zu sammeln. Sie sind nicht nur wegen der Musik wertvoll. Wenn du weißt, dass die Person, die die Musik macht, auch die CD gepresst oder das Artwork gemacht hat, ist es etwas Zusätzliches.

Wenn du ein Tetrabyte Musik auf deiner Festplatte hast, dekontextualisiert es alles vollkommen.

(Lacht) Ich hab immer noch all meine CDs, ich kann sie nicht einfach loswerden. Und dann habe ich meine CD gemacht, obwohl alles, was ich bisher gemacht hatte, selbst gemacht war, wie mit der Hand genäht. Was mich am meisten davor zurückschrecken ließ, auf ein größeres Label zu wechseln, war die Angst, dass ich das verlieren könnte – klar ist es unmöglich, so viel Kontrolle über das ganze Zeug zu behalten. Aber ich versuche immer noch so gut es geht, kleine Sachen zum Verkauf herzustellen und was ich machen wollte, als wir die CD machten, war, dass es auf dem Karton drauf war, der mir gefiel und dass ich die Zeichnungen dafür machte, obwohl sie eigentlich mein Gesicht auf das Cover machen wollten. Ich habe gesagt: Nein, das wird nicht passieren. Ich werde euch Artwork geben. Und sie meinten: OK. Es hat ihnen gefallen. Als ich das Textbooklet machte, sorgte ich dafür, dass es all die Dinge enthielt, die mir gefallen, wenn ich eine CD kaufe. Ich will die Texte, ich will eine Dankesliste. Mir gefällt es zu lesen, wem gedankt wird. Ich habe versucht, es mit so viel Liebe wie möglich zu machen, ohne es tatsächlich eigenhändig zu machen.

Als du die CD aufgenommen hattest, hast du glaube ich auch altes Material verwendet, und dafür noch einmal überarbeitet.

Ja.

Wieso hast du dich dazu entschieden?

Nun, es war eine natürliche Entwicklung, und die Idee zu dem Album als “O Devotion“ gab es schon seit etwa drei Jahren. Ich versuchte es in vielen verschiedenen Formen aufzunehmen, und die Trackliste veränderte sich über die Jahre nur sehr gering. Ich wusste, es sollte diese fast chronologische Reihenfolge der ersten Songs haben, die ich aufgenommen hatte. So in etwa wollte ich es machen. Und obwohl ich zum Zeitpunkt der Aufnahme schon fast wieder genug Songs für ein weiteres Album fertig hatte, wollte ich immer noch dieses Album zuerst fertig bekommen. Als ich die Songs in ihrer ursprünglichen Form gespielt hatte, konnte ich mir immer noch andere Dinge dazu vorstellen, selbst wenn es nur ich und meine Gitarre war. Ich hatte diese Dinge die ganze Zeit in meinem Kopf. Ich konnte die Bilder sehen, die Klänge hören. Ich hatte damals keine Band und ich kannte niemanden, der spielen konnte. Ich hatte dieses Schattenspieltheater und ich schnitt mir einen kleinen Saxophonisten und einen kleinen Doublebass-Schatten und einen kleinen Klavier-Schatten aus. Bei der Show würde ich dann ankündigen: “Dies ist mein kleiner Saxophonist” und mir vorstellen, wie wir zusammen spielen. Es ist die Imagination und es hilft. Es passierte alles ganz natürlich, ich freundete mich mit diesen Typen an und wir begannen zusammen Musik zu spielen. Es war wichtig, dass die Leute auf dem Album Freunde sind und ich mich zu nichts gezwungen fühlte. Ich hätte ja auch ein reines Akustikalbum machen können. Ich dachte, ich bekommen vielleicht nur ein Album hin und ich wollte etwas von Dauer darin haben, so egoistisch das auch ist. Etwas, woran man sich erinnert, wenn ich nicht mehr da bin. Aber wenn das das einige war, wollte ich es so gut wie möglich machen (lacht).

Was denkst du haben Leute wie du und Stephen gemeinsam?

Ich denke, wir würden immer noch diese Songs spielen, auch wenn niemand sie hören würde. Wir würden immer noch exakt das gleiche machen. Wir lieben wirklich was wir tun, und es macht uns Spaß, wir müssen das tun. Das ist es was wir gemeinsam haben. Seele. Ein kleines bisschen Seele.

Wie habt ihr euch eigentlich kennen gelernt?

Stephen und ich trafen uns als wir zusammen auf Shows spielten. Wir gingen zu dem selben Festival in Schottland, ich sah ihn spielen und war hin und weg. Er sah meinen Show ebenfalls und wir fanden uns dann gegenseitig auf Myspace, das damals immer noch relevant war. Ich schickte ihm einen Nachricht, während er mir die gleiche Nachricht schickte. Ich hatte dann Gigs für ihn in Manchester organisiert und er organisierte welche für mich in Brighton. Wir erweiterten unseren Kreis, es gibt mittlerweile eine gute Verbindung zwischen Manchester und Brighton. Als er dann nach Berlin gezogen ist, gab er meine CDs einem Freund, der Shows in Deutschland organisierte, und der machte dann ein paar Sachen für mich. Und nun bin ich in Deutschland (lacht). Es ist alles Stephens Schuld.

In welchem Bezug stehen bei dir die britischen und amerikanischen Einflüsse zueinander?

Ich war nie so gut beim Analysieren. Die Leute fragen: Was hat es damit auf sich? Und ich sage: Ich habe das irgendwie einfach so gemacht. Ich hab mir da nie wirklich Gadanken drüber gemacht. Der Bezug? Es ist nicht nur amerikanisch und britisch. Ich mag einfach gerne amerikanische Musik. Englische Folkmusik gefällt mir nicht so richtig, ich weiß auch nicht weshalb. Ich mag Seemannslieder. Ich hab keine Ahnung, wie das mit dem Bezug ist. (Lacht) Das ist wirklich eine schwere Frage. Gut für einen Essay.

Was ist dein Lieblings-Plattenladen in Liverpool?

Probe und Harry Records. Ich interessierte mich damals sehr für amerikanische Garage Music und die Typen von Probe haben mir immer CDs rausgesucht. Sie sagten, ich könnte sie nach einer Woche zurück bringen, wenn sie mir nicht gefallen.

Gibt es Probe echt immer noch?

Auf jeden Fall. Sie haben mein Album (lacht). Es ist wirklich toll, dass es imemr noch gut läuft. Es gibt nur noch wenige Independentläden.

Vielleicht noch eine letzte Frage. Ich hatte vor einiger Zeit mit einem Freund über deine Musik geredet und kurze Zeit später kaufte ich am Bahnhofskiosk ein Musikmagazin, und da war diese Compilation mit Leonard Cohen-Covers und plötzlich tauchte da auch dein Name auf. Was war der Grund, dass du das Piano als Hauptinstrument für deine Version von “Sisters of Mercy“ ausgewählt hattest?

Eine Sache ist, dass ich eine viel bessere Pianistin als Gitarristin bin. Ok, vielleicht nicht viel besser, aber ich bekomme ganz gut was hin, weil ich die Noten sehen kann. Ich weiß nie, was ich gerade mit der Gitarre mache, ich weiß nicht, wie man die Noten bezeichnet. Aber auf dem Klavier habe ich wenigstens C, D, E, F. Dann kommt dazu, dass es sehr schwer ist, einen Leonard Cohen-Song zu covern. Es ist mehr eine Art Hommage. Du kannst ihn nicht wirklich neu interpretieren, das ist unmöglich. Er hat den Song auf der Gitarre gespielt, so dachte ich dann, dass ich es auf dem Klavier mache. Es war wirklich nett, ich mag den Song besonders, und er hat ziemlich einfache Akkorde. Ich konnte ihn in ungefähr zwei Tagen lernen. Als ich meine Mutter anrief, und sie ist ein großer Leonard Cohen-Fan, sagte ich ihr, dass ich “Sisters of Mercy” spiele und sie sagte nur “mein Lieblingssong”. Und als ich nachhause kam zeigt sie mir ein Buch mit seinen Gedichten, dass sie schon seit einer Ewigkeit hat und hinten hatte sie etwas reingeschrieben, als die zwanzig war. Sie hatte handschiftlich den Text von “Sisters of Mercy“ ans Ende des Buches geschrieben. Das war wirklich schön.

(M.G./U.S.)

lizgreenmusic.co.uk

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