THE PROTAGONIST: Songs of Experience

Magnus Sundström alias The Protagonist ist ein streng konzeptuell arbeitender Musiker, der mit seinen Kompositionen und seiner Auswahl an literarischen Referenzen recht fundamentalen Fragen auf die Spur zu kommen sucht, Fragen, die für Außenstehende vage und unbestimmt bleiben müssen und doch immer um Themen der Vergänglichkeit, des Ennui und einer damit zusammenhängenden Dandyhaltung kreisen. Medium seiner Suche war in der Vergangenheit meist bestimmte Literatur von der frühen Romantik bis zur klassischen Moderne – poetische Strömungen, die man meist der Dekadenz zuordnet bzw. der schwarzen Romantik in der Definition eines Mario Praz. Auch musikalisch ist der Schwede vom 19. Jahrhundert inspiriert. Seine Musik ist von einer bombastischen Schwere und scheint (mit Vorbehalt, da ich kein Klassikkenner bin) auch stark vom Kino beeinflusst.

Sieben Jahre nach seinem Debüt „A Rebours“ ließ der Musiker erneut von sich hören und brachte eine EP namens „Interim“ und vor allem das Album „Songs of Experience“ (beide CMI) heraus, das formal wie inhaltlich nah am Vorgänger ist und durchaus als Fortsetzung verstanden werden kann. Veränderungen im Kleinen gibt es insofern, dass experimentierfreudigere Passagen mit weniger geradlinigen Sounds etwas mehr Raum bekommen, so beispielsweise bei der einleitenden Umsetzung von William Blakes „The Sick Rose“, ein Stück, das schon von vielen Musikern vertont wurde, am Prominentesten vielleicht von Coil. Es war Teil des illuminierten Gedichtszyklus, nach welchem Sundström das ganze Album benannte – die lyrischen Texte verschreiben sich der Erforschung eines menschlichen Seelenzustandes, welcher der Unschuld diametral entgegen gesetzt ist: Ein Zustand, der vom Verlust des kindlichen Urvertrauens und der despotischen Macht banaler weltlicher Institutionen geprägt ist und in Blakes Mythologie der Vertreibung aus dem Paradies entspricht. In „The Sick Rose“ wird Schönheit und Freude durch einen mysteriösen Trieb zerstört, der als dunkle, heimliche Liebe auftritt, allegorisiert durch die Figur eines unsichtbaren Wurmes – Jonathan Grieve (Contrastate) illustriert diese destruktive Kraft durch seinen grimmigen Stimmvortrag. An Coil (die musikalisch eigentlich Lichtjahre entfernt sind) musste ich auch bei der perkussiv-dramatischen Lovecraft-Vertonung „Hesperia“ denken, bei der der Vortragsstil an „The Golden Section“ erinnert. Wer bei diesem Stück an klassische Monumentalfilme denken muss, der kann sicher meine Kinoassoziation nachempfinden.

Insgesamt gestaltet sich „Songs of Experience“ recht wandlungsreich. Während „Spirits of the Dead“ mit wechselnden Tempi und Rhythmen spielt, offenbart das wieder an Huysmans abgelehnte „Down There“ mit seinen Chören eher die schwere Seite des Albums und hält Titel und Thema entsprechend einige der bedrückendsten Momente parat. Relativ unprätentiös und gerade deshalb einer der Höhepunkte ist die lange Version von Baudelaires „La Fin de la Journée“, das besonders von seinem gelungenen französischen Textvortrag lebt. Größtmögliche Gesten und ein enormer Breitbandsound finden sich dagegen wieder bei „The Hunt“ und bei „Strife“ (eine von Tomas Petterson vorgetragene Passage aus „Romeo & Julia“), das zum Teil in einem großen Theater eingespielt wurde.

Für jemanden, der wie ich meist um orchestrale Musik einen Bogen macht, klingt ein solches Album ungewöhnlich, und an einigen Stellen ist es mir etwas zu viel an Dramatik und Wucht – Kunstgriffe, über die ich daher ebenso wenig ein Expertenurteil abgeben will wie zu den gelegentlich hervorgehobenen Referenzen an Komponisten des späten 19. Jahrhunderts. Dass The Protagonist damals Standards setzte, hinter denen viele Nachfolger unter dem Begriff „Neoklassik“ weit zurück blieben, steht fest. Wie schon der Erstling wurde „Songs of Experience“ durch das Berliner Label Raubbau wieder zugänglich gemacht und enthält als Bonus die drei weiteren Stücke der „Interim“-Ep, die sich nahtlos an die Albumstücke anschließen – nach weiteren sieben Jahren, und vielleicht impliziert die Zahl ja eine gewisse Regelmäßigkeit, die Fans auf weitere Lebenszeichen gespannt machen können.