V.A.: Werewolf Songs. Music Inspired by Swedish Folklore

Als Regissuer Joe Dante über die Genese seines Films The Howling und die damit verbundenen Recherchen sprach, wies er darauf hin, dass ein Großteil „unseres Wissens über Werwölfe aus dem Kino kommt […], dass sich dieses Wissen aber ganz erheblich von den alten Mythen unterscheidet.“ Nach einer Renaissance des Werwolfs im Kino der 80er/90er, an deren Beginn Dantes Film anzusiedeln ist, steht er inzwischen wieder im Schatten des Vampirs, sei es in der anämisch-keuschen „Twilight“-Reihe oder in der sexuell aufgeladenen und blutigen HBO-Serie True Blood. In beiden Fällen spielen die auftretenden Werwölfe vergleichen mit den teils blassen, teils extrem virilen Blutsaugern nur eine sekundäre Rolle.

Der Werwolf ist natürlich auch immer ein Symbol für das Herausbrechen des Animalischen und des Triebhaften gewesen, das im Falle des Werwolfs allerdings weitaus mehr jenseits der bzw. bar jeder Ratio ist als im Falle Nosferatus – Stevensons Dr. Jekyll und Mr. Hyde ließe sich vielleicht als moderne, „wissenschaftliche“ Version des Mythos lesen.

Der kleine schwedische Verlag Malört, der die hervorragende Zusamenstellung „The Devil in Love“ herausgebracht hat und sich sonst auf die Veröffentlichung von Texten „about the fantastic, the numinous and the aberrant“ spezialisiert hat, interessiert sich nicht für (die) Filmwerwölfe, denn auf der aufwändig gestalteten Zusammenstellung „Werewolf Songs“ geht es um die Rolle des Werwolfs in schwedischem Brauchtum. Dabei orientierten sích die beteiligten Musiker an dem Buch Varulven i svensk folktradition der schwedischen Ethnologin Ella Odstedt – allerdings mit einer Einschränkung: Denn der Text konnte nur gelesen werden, sofern man des Schwedischen oder Deutschen mächtig ist. Diejenigen, denen eine Lektüre nicht möglich war, nutzten -wie in den Linernotes freimütig bekannt wird- den Text eher als allgemeine Inspirationsquelle, was sich zum Teil auch in den Songs widerspigelt.

Eröffnet wird das Album von Sedayne & Rapunzel, die auf „Winter: Werewolf“ eine Ich-Perspektive („I run by tooth and claw“) annehmen und somit eine Identifikation mit dem Animalischen, A-Moralischen („For all is life and self“) nahelegen. Musikalisch lassen sich in dem getragenen, von leicht dissonanten Streichern und zweistimmigem Gesang geprägten Stück die Musikwelten der Sinti und Roma entdecken. Womit wir dann doch kurz beim Film wären, denn in George Waggners The Wolf Man ist es ein Vertreter dieser Volksgruppen, der den Protagonisten anfällt und infiziert. Das instrumentale und von Wolfsheulen durchzogene „Varulvslåten“ von Hedningarna ist ungleich treibender und dynamischer und macht deutlich, dass folkloristische Elemente sich auch mit Elektronik vertragen können. Hier wird sehr klar das Vital-Ekstatische betont. Tara Burke hat sich unter dem Projektnamen Fursaxa über die Jahre mit Transformationen ganz anderer Art beschäftigt: nämlich mit denen, die Alraunen und Pilze verursachen können. Ihr Beitrag „The Wolf Month“ ist eine leicht atonale Nummer mit minimalistisch-repetetivem Gitarrenspiel, die in Dissonanz ausklingt. Vie Sinä Leena knüpfen etwas daran an, wobei die Streicher dem Stück eine melodischere Note geben. Die Faun Fables hoffen in „A Fearful Name“, dass der die Schafe reißende graue Wolf nicht gefasst wird: „May the sun find you alive“. Wie auf ihren bisherigen Alben zeigen Nils Frykdahl und Dawn McCarthy, dass sie Songs komponieren können, die eine unglaubliche Dramatik entwickeln können. KTAOABC machen auf dem verspielten „Waltz for Wolves“ deutlich, dass sogar ein Walzerrhythmus als musikalisches Mittel dem Sujet angemessen zu sein scheint. Im Gesamtkontext des Albums ist Birch Books „Werewolf’s Eyes“- ein wunderschönes langes narratives Stück, das von Bees melancholischem Gesang und dem Zusammenspiel von Akustikgitarre und Flöte geprägt ist – vielleicht mit dem stimmungsmäßig ähnlichen „Vainolainen“ von Hexvessel das melancholichste Stück. Sehr traditionell klingen die mit Maultrommel und zweistimmigem Gesang arbeitenden und ein Traditional interpretierenden Korp. Die passend betitelten Ulvens Döttrar bauen ihr Stück auf Snare, Gitarre und mehrstimmigem Frauengesang auf. Tondurakar versuchen mit dem an der schwedischen Geschichte orientierten und an der Schwelle vom 17. zum 18. Jahrhundert angesiedelten Text über den schwedischen Soldaten Anders Gråben vielleicht den ambitioniertesten Versuch sich dem Werwolfmythos zu nähern, auch wenn ihr Folkidiom etwas betulich ausfällt.

Das ganze Album ist – soviel sollte deutlich geworden sein – weit entfernt vom Klischee und dürfte wahrscheinlich weder Freunde bei „Art of Dark“-Kunden noch bei verklemmten Lönsverehrern finden – aber das sollte kaum gegen diese sowohl optisch als auch musikalisch hervorragende Zusamenstellung sprechen.

(M.G.)

Label: Malört