VINCENT VON FLIEGER: Day 1

Die Musik Vincent von Fliegers ist so eigenwillig wie sein einprägsamer Künstlername. Man sollte ihn allerdings nicht mit Bombast und großen Worten ankündigen, nicht nur, weil er das nicht nötig hätte, sondern weil die Songs, die der junge Nürnberger jüngst auf sein Debüt gepackt hat, weit entfernt sind von großen Gesten aller Art. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist Markanz und Eindringlichkeit durchaus vorhanden.

Als Solokünstler erschien Vincent erst im letzten Jahr auf der Bildfläche. Aus Liebe zu Worten, wie es irgendwo hieß, formte er sein Projekt, und dafür ist die Attitüde des souveränen, nachdenklichen Einzelgängers, der im Alleingang schreibt, singt und sich auf der Gitarre begleitet, wohl nach wie vor eines der besten musikalischen Ausdrucksmittel. Eine Vorgeschichte gibt es aber dennoch, denn der Künstler ist bereits seit einigen Jahren Teil der Band Mio Myo, deren elektronischer „Ghost Rock“ bereits auf Album zu hören ist und im Vorprogramm von bekannten Bands wie The Whitest Boy Alive zu sehen war. Solo tourte er zuletzt mit Acts wie Vivian Void und The Great Park, was dann auch die Brücke zu seiner Labelheimat Woodland Recordings schlägt. Die Musik auf „Day 1“ lässt sich nur grob in Kategorien pressen. Freilich kann man allgemeine Begriffe wie Singer Songwriter oder Acoustic Folk in den Raum stellen und jedem, der durch die Musik von Will Oldham oder Bon Iver die Welt schon mal mit ganz anderen Augen gesehen hat, raten, sich das Werk nicht entgehen zu lassen. Was an den Songs fesselt hat allerdings mit einer ganz eigenen Stimmung zu tun – einer oftmals dunklen Stimmung, die flüchtig und ungreifbar sein kann, da in den Songs schon mal ruhige, relaxte Passagen spontan in intensive, spannungsgeladene Momente übergehen. Im Titelsong, dessen schlichtes Saitenspiel so hypnotisch ist, dass man fast wünscht, es würde sich soundscapeartig verselbständigen, kommt eine abgeklärte Note hinzu, die mir jedoch nie resigniert oder betont cool erscheint, sondern von einer Akzeptanz und Genügsamkeit zeugt, die den Musiker von der eitlen Selbstdarstellung so mancher Kollegen unterscheidet. Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb sein Gesang, der sich in einigen Stücken zu einem androgynen Falsett emporschwingt, kaum an den Stil typischer Indie-Kids erinnert. In “22:22″, bei dem Vincent mehrmals die Stimmlage wechselt, kommt die Ernsthaftigkeit des souveränen Loners besonders zur Geltung, ebenso in der Desolatheit des rauen “Skin & Bones”. Andere Songs wie das fragile “Yolk” oder das gospelartige “Final” geben sich viel offener emotional. Andere geraten fast zu hymnischen Klageliedern, “Mission” mit seiner verhaltenen Euphorie, oder das DNA-Cover “New York Mugshots”, das den Abspann eines Abel Ferrara-Streifens untermalen könnte und sich hier ebenso ins Ganze einfügt wie eine akustische Interpretation von Björks “Happiness”, die wohl als Hommage und Bonus gedacht ist.

“Day 1″ ist eine der Platten, denen man heimlich wünscht, sie hätte schon viel früher das Licht der Welt erblickt – in einer Zeit, in der folkige Akustikalben noch seltener waren, man mit Eigenständigkeit noch deutlicher herausragen konnte und die entsprechende Wahrnehmung und Würdigung fast sicher war. Will man heute aus der schieren Masse an Singer Songwriter-Releases herausragen, ist um so mehr Originalität und Durchhaltevermögen gefordert. In gewisser Hinsicht mag dies sein Gutes haben, und im Falle Vincent von Fliegers bin ich recht zuverlässig, dass sich seine kreativen Stärken auszahlen werden.

Label: Woodland Recordings