Marissa Nadler zählt zu den Sängerinnen, die vom verblichenen Wirbel um akustische Musik einigermaßen profitieren konnten und dabei – zum Glück, möchte man sagen – nie allzu sehr abgefeiert wurden. Deshalb entging sie auch dem Schicksal, nun ein Sternchen von ehedem zu sein, was angesichts ihrer Originalität und musikalischen Konsequenz auch ganz unverdient wäre. In Besprechungen war immer wieder von einer fast teenagerhaften Morbidität die Rede, ebenso fielen Begriffe wie „kontemplativ“ und „weltabgewandt“ – Klischees, in denen mehr als nur ein Körnchen Wahrheit steckt, weswegen sie auch von Beginn an eher für traditionsbewusste Americana-Fans und schwarzgewandete Mauerblümchen interessant war als für die Marktschreier der hippen Gazetten, die mitunter etwas Schlagerhaftes in ihren Liedern erkennen wollten. Fast überrascht es, dass sie ausgerechnet von Sacred Bones überredet wurde, aus ihrer lichtscheuen DIY-Nische herauszutreten und dem Musikgeschäft eine zweite Chance zu geben. Ihre fragilen Songs sind hochemotional und ohne falsche Abgeklärtheit, und doch fehlt ihnen jede pathetische Schwere, um echte Downer zu sein. Lichte, beinahe blumige Momente sind in ihren mittlerweile sechs Alben keine Seltenheit, und als sie dies in „Little Hells“ mit einem eher folkfernen Shoegazersound kombinierte, sorgte das hier und da für Irritation.
Insgesamt wurde ihre Musik über die Jahre vielschichtiger und opulenter, auch wenn man dies als tendenzielle Entwicklungen betrachten muss, denn der schlichte, unverquaste Folksong ist nach wie vor ihr Metier, und daran ändert sich auch in ihrem neuen Album „July“ nichts. Die ebenso schmerz- wie lustvolle Auslotung dunkler Gestimmtheiten, das Erleben von Dekadenz und Resignation sind auch diesmal ebenso prägend wie ein offenkundiges Ringen um Hoffnung. Thematisch ist „July“ das am ehesten autobiografische Album der Amerikanerin, denn im Unterschied zu den mythischen Alter Ego-Figuren ihrer frühen Balladen ist das lyrische Ich hier das Medium der Sängerin selbst, die ganz direkt, wenn auch in einer von Andeutungen lebenden Bildsprache, eine gescheiterte Beziehung und einen persönlichen Neustart zum Thema macht.
Eines der wiederkehrenden lyrischen Motive ist das – mal panische, mal gefasste – Nachdenken über die Zeit als Inbegiff des Vergehens und Zurücklassens, das in stets neuen Bildern des Zerfalls anklingt, aber auch im nostalgischen Ausmalen vergangener Ereignisse und lange verlassener Orte. Dass diese Bilder in einem leicht verblassten Sepiaton erscheinen, liegt sicher mit an dem etwas fülligeren Klangbild, das sich zum einen Produzent Randall Dunn verdankt, zum anderen den kaum direkt spürbaren Beigaben von Steve Moore, einem Keyboarder mit Sinn für dezent orchestrale Töne. Vom verrauschten Klang in „Little Hells“ ist dies ebenso weit entfernt wie vom rein akustischen Sound des Debüts. Mit seinen dichten Streicherklängen bekommt „1923“ den Beiklang alter, melodramatischer Filmepen, zugleich aber auch eine gewisse Reife, die in früheren Alben nicht denkbar gewesen wäre. Songs wie „We are coming back“ oder „Dead City Emily“ jedoch, die etwas luftiger gestaltet sind, hätten in ihrer gedrosselten Wehmut fast auf eine frühe Platte gepasst. Wie vermehrt in jüngeren Jahren finden sich auch hier Popstücke, die an Songs der 60er erinnern, „Was it a dream?“ könnte das Cover einer unbekannten Westcoast-Ballade sein und unterstreicht die musikalische Entdeckerfreude, mit der die Sängerin, deren Musik nach wie vor im Lande Hawthornes und Lovecrafts zuhause ist, zu Werke geht. Vielleicht am ehesten unverändert ist die vertraute Laidback-Atmosphäre, die sich immer wieder in Melodien und dem unakkuraten Klang der Steelgitarre ausdrückt und letztlich dem Countryelement geschuldet ist. Einem lyrisch unverblümten Song wie „Firecracker“nimmt dies einiges von seiner Düsternis.
Man kann sicher in den Chor vieler Kollegen einstimmen und den innovativen Charakter von „July“ betonen und darüberhinaus auf die bisher unerreichte Dunkelheit verweisen. Aber man muss es nicht, denn in Wirklichkeit bewegt sich Nadler viel eher kontinuierlich weiter, vermeidet radikale Brüche und baut Eigenschaften aus, die in der einen oder anderen Form schon immer Teil ihrer Musik waren. „July“ ist das selbsbewussteste und bislang reifste Werk der Musikerin, was zum Glück ohne komplette Neuerfindung gelungen ist.
Label: Sacred Bones