MICK HARVEY: Intoxicated Man / Pink Elephants

Wenn englischsprachige Popmusik die am meisten exportierte ist, dann ist ihr französischsprachiges Pendant vielleicht die am meisten übersetzte. Der immer etwas ambivalente Versuch v.a. anglophoner Sänger, französischen Songs die Ehre zu erbieten und sie sich zugleich sprachlich anzueignen, brachte Resultate zustande, die auch als Cover längst zu Klassikern geworden sind, wobei interessant ist, dass immer ein Interesse an etwas älteren Aufnahmen bestand. Jeder kennt die Jacques Brel-Interpretationen von Scott Walker und Marc Almond, und Mick Harveys Versionen von Serge Gainsbourg-Songs stehen ihnen in nichts nach. Die Wiederveröffentlichung seiner beiden Tribute-CDs „Intoxicated Man“ (1995) und das aus Resten der gleichen Session kompilierte „Pink Elephants“ (1997) auf einer Doppel-CD erscheint in einer Zeit, in der Harvey ohnehin recht produktiv ist.

Harveys Coverversionen waren damals – einzelne Ausnahmen mag es gegeben haben – mit die ersten Übersetzungen von Gainsbourg-Songs überhaupt, und vielen jüngeren Hörern wurde der Franzose erst dadurch etwas bekannter. Der Legende nach soll Harvey, als ihm ein französischer Freund Anfang der 90er ein Mixtape u.a. mit Liedern von Gainsbourg schenkte, derart perplex über seine eigene Bildungslücke gewesen sein, dass er einen missionarischen Eifer entwickelte, einige der besten Songs des neuen Idols seinen Fans und am besten allen nicht-frankophonen Musikfreunden näher zu bringen.

Durchweg lobenswert sind die Versuche des Australiers, dabei seinem eigenen Stil treu zu bleiben, ohne die Originale zu sehr zu verbiegen. Zwangsläufig kann so etwas angesichts gewisser Unterschiede nur bedingt gelingen. Auf beiden Alben ist Harvey immer dann mehr in seinem Element, wenn er die getrageneren, balladesken Nummern interpretiert, während viele der beschwingteren Stücke wie Ausflüge in ungewohntes Terrain wirken. Darüber hinaus ist Gentleman Harvey mit seiner vornehmen Stimme nur bedingt in der Lage, die raubeinige Seite Gainsbourgs in vollem Umfang wiederzugeben, und die wenigen Versuche in diese Richtung wirken dann auch etwas aufgesetzt. All dies vorausgesetzt bieten die beiden Scheiben aber eine wechselhafte Sammlung großartiger Songs mit erfrischend unverblümten Texten. Man erkennt Harvey an einer ganzen Reihe an Merkmalen wieder: in den australischen Surftwangs beim Spoken Words-Stück „To all the lucky Kids“ („Aux Enfants de la Chance“), das Gainsbourgs überraschend kritischer Beitrag zum Thema Drogen war, doch ebenso in der etwas pathetischeren, morriconelastigen Version des im Original mit Brigitte Bardot gesungenen Klassikers „Bonny & Clyde“ – die Rice/Partridge-Version des berühmten Schluckauf-Songs war definitiv von Harvey und seiner Lieblingskollaborateurin Anita Lane inspiriert.

Immer etwas museal wirken Songs, die den Flair der Swinging Sixties in eine Gegenwart übertragen, in der die Popkultur gerade etwas zaghaft begann, sich mit ihrer eigenen Geschichte zu identifizieren: „Anthracite“ mit seiner groovigen Orgel, „Jazz in the Ravine“ („Du Jazz Dans le Ravin“) oder „Chatterton“, bei dem Mädchen in Miniröcken zu einer Hommage an prominente Selbstmorde tanzen konnten – dass die hippen Kids den sarkatischen Spaß heute besser wiederbeleben können als ihre großen Geschwister in den 90s ist nur ein Grund, der für den Re-Release spricht.

Die Duette, die Gainsbourg mit den zum Teil beliebtesten Sängerinnen seiner Zeit sang, mit BB eben, mit Godard-Muse Anna Karina, mit France Galle und vor allem Jane Birkin, sind ähnlich wie die Songs von Lee Hazlewood und Nancy Sinatra längst zu Popmythen geworden, und das Klischee „böser Bube, liebes Mädchen“ hielt sich von Beginn an in Grenzen. Gainsbourg suchte sich (von der explizit mit ihrer kindlichen Ausstrahlung spielenden Galle abgesehen) Partnerinnen aus, die das verrucht Laszive auch im schmachtvollsten Seufzer zu verkörpern wussten, und Anita Lane haucht im „Song of Slurs“ ebenso gut wie einst Birkin. Schon deshalb sind diese Songs mehr als nur eine Blaupause für Campbell/Lanegan und andere populäre Duette der heutigen Zeit.

Die Doppel-CD enthält mit „Dr. Jeckyll“ und „Run From Happiness“ zwei bisher unveröffentlichte Songs. Live wurden die Versionen bereits beim letztjährigen ATP Festival einem größeren Publikum in Erinnerung gerufen. Diesen Sommer soll es dann auch eine Tour dazu geben, bei der man auf das Line-up gespannt sein darf.

A. Kaudaht

Label: Mute