HEROIN IN TAHITI: Canicola

Wenn Musiker die Sonne, die Flora und die regionalen Bräuche ihrer Länder besingen, endet das nicht selten im Postkartenkitsch, v.a. wenn es sich bei dem Land auch noch um ein beliebtes Touristenziel handelt. Wer Heroin in Tahiti kennt, weiß allerdings, dass sie unter exotischem Charme etwas anderes verstehen, denn ihre im Zeitlupen-Surfsound beschworenen Südseesettings strahlten eine dreckige Düsternis aus, die mehr mit einem Neo Noir-Streifen gemein hat als mit einem auf Hawaii spielenden Elvis-Schinken. Wer die römische Band in den Jahren ihres Bestehens etwas genauer verfolgt hat, der erinnert sich vielleicht daran, dass sie sich auch schon ihrer italienischen Heimat gewidmet haben. Erst im letzten Jahr lieferten sie die Musik zu einem grobkörnig verwaschenen Kurzporträt der Region Basilicata, das vom sporadisch filmenden Noisemusiker Torba gedreht wurde. Mit seinen unberechenbaren Schnitten und seinem Fokus auf Marginalia ist dieses dekonstruierte Idyll keineswegs an den Durchschnittstouri adressiert.

Auf dem neuen Tape widmet das Duo sich erstmals konzeptuell dem Thema Italien und folgt dabei den Spuren des hierzulande nur Spezialisten bekannten Anthropologen und Religionsforschers Ernesto de Martino (1908-1965), dessen Themen von antiken Kulten bis hin zu volkstümlichen Bräuchen und den mythisch-religiösen Subtexten des modernen italienischen Lebens reichen. “Canicola” ist nach eigenen Angaben der Sonne, dem Aberglauben und dem gelbgoldenen Korn Italiens gewidmet und macht schon im ersten Stück klar, dass die Hitze hier siedend ist und die porträtierte Kultur einen obsessiven, wahnhaften Unterton aufweist. Beim Titelstück, das die erste Seite komplett ausfüllt, offenbaren sich Heroin in Tahiti erst mit der Zeit, wenn sie irgendwann nach diversen Breaks mit doomigen Zeitlupenriffs und den vertrauten WahWahs jeden Zweifel ausräumen, dass sie es sind. Weite Strecken des Stücks jedoch bedienen einen Computersound mit 80er Jahre-Charme, den man vielleicht noch eher beim Kollegen Mai Mai Mai erwartet hätte. Im groben Soundbrei der kreisenden Elektronik erscheint die Sonne kaum lichtspendend, die Hitze, die sie verbreitet, hat eher etwas von drückender Schwüle als von maritimer Frische, und die einzigen unmissverständlich italienisch anmutenden Details scheinen die versteckten Giallosounds zu sein, die sich zwischen Dröhnen und funkigen Einsprengseln finden (oder überhört werden). Willkommen also in einem modernen Italien, das einem hier keinesfalls auf dem Serviertablett des Fremdenverkehrs präsentiert wird. Etwas mehr Abwechslung tut sich in den kurzen Fragmenten der zweiten Tapeseite auf. Eine verfremdete Spieluhr greift die cineastischen Assoziationen des ersten Teils auf und kombiniert sie mit nicht weniger filmisch konnotierbaren Desert Rock-Gitarren. Ihr fatalistische Picking taucht an einigen Stellen erneut auf, verschmilzt mit nervigen Vögeln und allerhand noisigem Dröhnen, in “La Madonna” verwandelt es sich vollens in eine Klangwand, die zusammen mit einer gesampleten Arie und einem monoton-schleppenden Rhythmus den größten Kracher des Tapes hervorbringt.

Nach dem Longplayer-Debüt “Death Surf” (Boring Machines), dem Split mit Ensemble Economique (No=Fi) und der Single auf Yerevan Tapes demonstrieren Heroin in Tahiti mit “Canicola” erneut ohne Pause, dass sie sich kaum auf ihreen Lorbeeren ausruhen und ihren Sound v.a. zu variieren wissen. Der leicht hörspielartige Grundtenor des Tapes gelingt ebenso gut wie die Evokation eines für viele ungewöhnlichen, mythischen Italiens. Sollte demnächst wieder ein rockiger Slow Tempo-Nachfolger von “Death Surf” auf dem Plan stehen, wäre das dennoch zu begrüßen. (U.S.)

Label: No=Fi