ANDREW LILES: Cover Girls

Im Vergleich zu Steven Stapleton, den Liles seit Jahren sowohl live als auch im Studio unterstützt, ist letzterer sicher stärker am Song orientiert, an Songs interessiert und hat sich im Verlauf der Jahre an verschiedensten Genres/Musiken abgearbeitet, z.B. Metal. Dabei ist man bei seinen (Re-)Interpetationen vielleicht versucht von Dekonstruktionen zu sprechen, wobei da der semantische Resonanzraum vielleicht zu groß ist. Aber dazu später mehr.

Insgesamt 11 Sängerinnen lässt Liles auf „Cover Girls“ Stücke verschiedenster Epochen und Stile interpretieren. Auf „Morning Has Broken“ singt Katie Oswell den Text a capella mit glasklarer Stimme, bevor dann im weiteren Verlauf kristalline Drones dazukommen, die sich gegen Ende in atonale Fragmente verwandeln – kaputte Elektronik. „I Touch Myself”, die Masturbationshymne der australischen Divynyls, verwandelt sich von einer öden glattpolierten Rocknummer in ein düsteres, von Keyboardflächen und dezentem Pochen untermaltes Stück, auf dem Gena Netherwood den Text rezitiert. In den frühen 90ern hätte damit auch gut die eine oder andere Schwarzkitteltanzfläche beschallt werden können. Baby Dees Interpretation ihres eigenen „So Bad“ – auf ihrem zweiten Album eine melancholisch-traurige Ballade – überzeugt hier nicht ganz, zu disparat klingt das Stück, zu wenig scheinen Stimme und die musikalische Untermalung durch Akustikgitarre zueinander zu passen. Aus Tina Turners „Acid Queen“ wird eine Billigdisconummer, wobei Jess Roberts’ Organ dem von Tina Turner in nichts nachsteht. David Essex’ „Rock On“ interpretiert Cosey Fanni Tutti sinnlich kühl, während es im Hintergrund pocht und pluckert. Liles’ Frau Melon trägt den Text von „Video Killed The Radio Star“ mit somnambuler Stimme vor verrauschter Klangkulisse vor, das exaltiert-hysterische „Oh-a oh“ des Originals (er)klingt nur als fernes Echo in einem Klangnebel und das Beklagen des Verlusts der Relevanz des Radios – heute fast schon wieder ein Anachronismus – bekommt hier eine ganz andere Stimmung. Dr Johns „I walk On Guilded Splinters“, nur sehr spärlich instrumentiert, klingt durch Lavina Blackwalls Sprechgesang leicht bedrohlich. „Zerstörte Zelle“ der Einstürzenden Neubauten ist musikalisch gar nicht so weit vom Original entfernt, wobei Miranda Kinkelaar den Text mit sehr starkem Akzent vorträgt, was durchaus als Verfremdungseffekt lesbar ist. Alizees „Moi… Lolitta“ ist unter Liles Ägide kein unbeschwerter französischer Pop mehr: Aus der treibenden glatten Oberfläche des Originals machen simple Klavierfolgen und der Vortrag von Alexandra Jako kein (unreflektiertes) Nabokovspiel, sondern hier erklingt eine erwachsene Frau in der Rolle der souveränen Femme fatale – das Original lässt Liles nur kurz am Ende aus dem Äther auftauchen. Vor karger Instrumentierung (Bass, Perkussion) macht Comus’ Bobbie Watson aus dem treibenden „Rock Bottom“ von UFO ein sinnlich-schwüles Stück. „Lust For Death“ von Foetus (ver)wandelt sich von dem Übersteigerten, dem latent Hysterischen des Originals in eine von Jess Roberts vorgetragene Rock ‘n’ Roll-Nummer. Hatte Liles sich schon an anderer Stelle an den Sisters of Mercy mit seiner „Phantom“-Interpretation versucht, so wählt er auf “Cover Girls” „Never Land“, allerdings nicht in der regulären, das „Floodland“-Album abschließenden Version, deren Untertitel „A Fragment“ ist, sondern er orientiert sich an der erst vor einigen Jahren sicher ohne Eldritchs Zustimmung erschienenen vollständigen Version. Liles behält die reduzierte Instrumentierung des Originals weitgehend bei, während Elisabeth Oswell den Txet zurückhaltend und unterkühlt vorträgt.

Die Sisters-Interpretation führt uns zum Anfang des Textes zurück, denn inzwischen hat Liles anlässlich des 30-jährigen Jubiläums von „First And Last And Always“ das Debüt der nach einem Leonard Cohen-Stück benannten Band vollständig als instrumentales elektronisches Album neu eingespielt, was bei den Fans nur bedingt goutiert wurde und er schreibt auf seiner Website: „My version to some may be a travesty, deemed a novelty recording, even considered sacrilege by others, the devil may care but I don’t mind, those opinions do not concern me. This is my heartfelt homage to a moment in time and a wonderful album.“ Das illustriert ganz gut die Ambivalenz, die einer ganzen Reihe von seinen Arbeiten innewohnt: nämlich, dass man sie sie sowohl als verquere Hommage oder aber als augenzwinkernde Verballhornung lesen kann. (M.G.)

Label: Dirter