SHARRON KRAUS: Friends and Enemies, Lovers and Strangers

Sharron Kraus hat in ihrer umfangreichen Diskographie Folk in verschiedensten Ausprägungen gespielt – ob sie als Interpretin ihrer eigenen Stücke „Lieder der Liebe und des Verlusts“ sang oder Traditionals („Songs for the Twins“) interpretierte, selbstgeschriebene („Right Wantonly A-Mumming“) und fremde (wie etwa auf „Winter Songs“ zusammen mit Harriet Earis) die Jahreszeiten thematisierenden Alben aufnahm oder mit Christian Kiefer auf „The Black Dove“ improvisierte, immer konnte man eine Musikerin erleben, die sich musikalischer Traditionen bewusst war – und sie deswegen auch aufbrechen konnte.

Kraus ist stimmlich an verschiedenen Stellen mit Shirley Collins, der Grande Dame des englischen Folks, oder mit Vashti Bunyan verglichen worden – was natürlich auf ihre klare Stimme zurückzuführen ist, die zwar vielleicht in einem ähnlichen Kosmos angesiedelt ist wie die der beiden Genannten, aber etwas so Eigenständiges hat, dass man sie aus hunderten anderer Sängerinnen heraushören könnte.

Vor zwei Jahren veröffentlichte sie mit „Pilgrim Chants and Pastoral Trails“ ein weniger songorientiertes Album, das stärker von flächigen Passagen geprägt war – schon mit Tara Burke von Fursaxa hatte Kraus ein recht experimentelles Album unter dem Projektnamen Tau Emerald eingespielt – , das aber dennoch bedingt mit ihrem jüngst erschienenen Debüt für Clay Pipe Music zu tun hat, denn die Pilgergesänge waren stark von ihrer (temporären) Rückkehr nach Wales beeinflusst: So sprach sie von der „Magie“ des Ortes, die/der sie fasziniere und „Friends and Enemies; Lovers and Strangers“ ist dann auch fast schon unweigerlich von dieser Region geprägt, von ihrer Geschichte und ihren Geschichten, genauer gesagt, von den „Mabinogi“, einer Sammlung frühe(ste)r britischer Prosa. Kraus schreibt, dass ihre Songs eine Auseinandersetzung mit diesen Geschichten waren, für sie (auch) ein Versuch verwirrende Elemente dieser zu verstehen und in eine Songform zu (b)ringen.

Kraus’ klarer Stimme wohnt immer ein Moment des Melancholischen inne, was das Eröffnungsstück des Albums „My Friend’s Enemy“ erneut zeigt: (Die von Harriet Earis gespielte) Harfe, Flöte und Kraus’ Gesang erzeugen eine Art Klagegesang und auch das darauf folgende „The Hunter“, auf dem ihr Gesang von dezent gepickter Gitarre und Flöte(n) untermalt wird, ist von der Stimmung ähnlich. Nancy Wallace (von The Owl Service) unterstützt Kraus stimmlich auf „The Birds of Rhiannon“. Wer glaubt, ein Titel wie „A Hero’s Death“ redete einer naiven Kriegs(v)erklärung ins Wort, der höre auf Zeilen wie „I’ve a talent for destruction [...]/chaos is my only fun“, um eines Besseren belehrt zu werden. Kraus hatte auch schon auf „The Prophet“ von dem auf Durtro veröffentlichten Album „The Fox’s Wedding“ gezeigt, dass ihr Kritik an Autoritäten nicht fremd ist – mystifizierendes Raunen dann schon eher. „Branwen“ zeigt deutlich, welche Konsequenzen der Krieg der Männer für die Zuhausegebliebenen hat. Dass Kraus mit ihren Songs nicht so weit von den Gedanken der Ausgangstexte entfernt ist, zeigt sich, wenn man sich Bernhard Maiers Nachwort zur deutschen Übersetzung der „Mabinogi“ anschaut: „Mit ihrer nahtlosen Verbindung von Mythos, Märchen und zeitgenössischer Wirklichkeit, ihrer Veranschaulichung abendländisch-christlicher Werte durch Gestalten der vorchristlichen Überlieferung, ihrer subtilen Kritik überkommener heroischer Ideale und ihrem impliziten Votum für Besonnenheit und Mitmenschlichkeit gehören die Vier Zweige der Mabinogi zweifellos zum Schönsten, was die mittelalterlichen keltischen Literaturen hervorgebracht haben.” Dass das auf 500 Exemplare limitierte Vinyl mit einem umfangreichen Booklet ausgestattet ist, ist dann noch das sprichwörtliche i-Tüpfelchen. (M.G.)

Label: Clay Pipe Music