Searching for Subterranean Sounds. Interview mit Silvia und Andrea von Yerevan Tapes

Abgesehen von der ursprünglichen Bedeutung als Ettikett rangiert die Semantik des Begriffs “Label” zwischen Plattenfirma und Marke, und auch in weniger kommerziellen Nischen kann man viele Labels dahingehend unterscheiden, welche der beiden Bedeutungen ihnen eher entspricht. Zum einen gibt es die Labels, die innerhalb eines nicht allzu eng gefassten Spektrums eine gute Bandbreite an Acts verlegen, ohne dass es eine klar erkennbare Hausphilosophie und eine deutliche ästhetische Linie gäbe. Auf der anderen Seite gibt es solche, die durch einen wiedererkennbaren Sound, oft aber auch durch außermusikalische Kriterien wie die visuelle Gestaltung einen Rahmen schaffen, der das Image der Bands mitprägt und der Veröffentlichungsgeschichte erst ihren roten Faden gibt. So gibt es dann fraglos einen typischen 4AD-Stil, aber das selbe von PIAS zu behaupten wäre Unsinn. Auch Yerevan Tapes aus Bologna zählt klar zur zweiten Kategorie. Das Label, das erwartungsgemäß v.a. Tapes, gelegentlich aber auch Vinyl in angemessener Limitierung verlegt, wurde vor vier Jahren von AVANT!-Chef Andrea Napoli und seiner aus Armenien stammenden Partnerin Silvia Anhayt gegründet. Die Tonträger erscheinen stets in einer ebenso schönen wie irritierenden Gestaltung, die stets die gleiche Handschrift erkennen lassen. Was die Musik und die oft von Silvia selbst gestalteten Designs verbindet, ist eine Überblendung von (oft mystisch-religiöser) Tradition und einem spielerischen Popart-Gestus, dem jeder Hang zur platten Persiflage fehlt. Yerevan Tapes steht auch dafür, dass vieles möglich ist, wenn man nur die richtige DIY-Haltung an den Tag legt und einen sicheren Blick für Passendes hat. Dazu passt irgendwie auch die unkomplizierte Art, mit der die beiden ihre Arbeit im folgenden Interview vorstellen.

English version

Soweit ich weiß habt ihr in Bands wie z.B. His Electro Blue Voice gespielt und eine Hälfte von euch betreibt das Label Avant! Records. Später habt ihr dann Yerevan gegründet. Wie kam es dazu, dass ihr euch neben der eigenen Musik auch für die Labelaktivität entschieden habt?

Genau genommen war nur Andrea in His Electro Blue Voice involviert, und zwar als Drummer vom ersten Tag bis zum 2013er Full Length-Album auf Sub Pop. Avant! Records macht er seit 2007. Wir haben Yerevan Tapes zusammen 2011 ins Leben gerufen mit der Intention, neue, bisher unerhörte Sounds zu erforschen.

Wo lagen eure musikalischen Wurzeln? Gab es eine Art Musikszene, der ihr angehörtet?

Wir mögen unterschiedliche musikalische Hintergründe haben, aber nach mehreren Jahren des gemeinsamen Hörens brauchten wir beide etwas neues, etwas, das tiefer, künstlerischer und spirituell fordernder ist. Genau da liegt das Fundament, auf dem Yereven Tapes seine ersten Schritte unternahm.

Ich habe den Eindrucke, dass die Labels, v.a. Yerevan, mehr ein eigenes Kunstprojekt als ein Unternehmen ist. Sehr ihr das ähnlich?

Meinstens entstehen Indielabels ja aus Leidenschaft, oft noch mit einen gewöhnlichen Job nebenbei, um etwas Geld einzubringen. So etwas lässt genügend Raum, um eine spezielle Identität entstehen zu lassen und die notwendige Freiheit, um die besten Inhalte zu wählen. Im Falle von Yerevan ging es uns darum, etwas mit einer starken Identität aufzubauen, wo Musik, Gestaltung und die symbolische Kommunikation eins sind.

Wenn ihr ie ästhetische Vision von Yerevan Tapes skizzieren sollten, wie würdet ihr die auf den Punkt bringen?

Wie unser Motto sagt, sind wir ein “Kassetten- und Vinyl-Label für heilige Klänge”. Das heißt wir sind auf der Suche nach Musikprojekten, die ihre eigene Vision des Heiligen einbringen, ihre Weltanschauung, ganz egal, auf welche Art. Wenn man sich unseren Katalog anschaut, fallen einem vielleicht mehr die Unterschiede zwischen den Künstlern als die Ähnlichkeiten ins Auge, aber sie alle verbindet ein gemeinsames Ziel.

Eure beiden Labels unterscheiden sich nicht nur im Hinblick auf das Medium (Avant! meist Vinyl, Yerevan meist Tape), sondern auch ein Stückweit im Hinblick auf die Stilauswahl, denn Avant! hat einen starken Fokus auf Post-Punk/Dark-Pop, während auf Yerevan im weitesten Sinne experimentelle und psychedelische Musik erscheint. Hat sich das eher ergeben oder denkt ihr, dass die Musikarten und die Tonträgermedien gerade so zusammenpassen?

Das Tape ist ein fast schon natürliches Medium für experimentelle Musik seit den 70ern, wenn nicht schon länger. So ist es keine Überraschung, dass es bei YT unsere erte Wahl war. Es ist preiswerter, es ist leichter weltweit zu vertreiben und es gibt dir die Möglichkeit, Material von obskuren Künstlern herauszubringen, ohne dich mit den Schwierigkeiten einer Vinl-Produktion herumschlagen zu müssen. Gleichzeitig, ebenso wie in der Post-Punk/Dark-Pop-Welt, ist das Tape seit einiger Zeit als Medium zurückgekehrt. Bislang haben wir drei Vinylveröffentlichungen gemacht und planen noch mehr in der nächsten Zeit.

Bands wie Father Murphy, Bird People, G.G. Rosacroce oder German Army machen etwas sehr verschiedenes, aber ihr sagtet ja bereits, dass es auch eine Art Verbindung gibt. Worin, denkt ihr, liegt die?

Wie gesagt haben sie sicher sehr unterschiedliche Stile, und doch ist es gar nicht so schwer zu sehen,w as sie zusammenhält. Ihre Suche nach unterirdischen Klängen mag in unterschiedlichen künstlerischen Resultaten enden, aber was sie antreibt, scheint das gleiche zu sein: der Drang nach einer spirituellen Suche.

Gibt es irgendwelche Begrenzugen in eurem Spektrum an Stilrichtungen, gibt es eine musikalische No Go-Area, oder würdet ihr prinzipiell Musik aus allen Genres herausbringen?

Natürlich gibt es Grenzen, wir würden zum Beispiel nicht Punkrock oder Heavy Metal veröffentlichen, zugleich geht es aber nicht streng nach Musikstilen, da es mehr darum geht, ob etwas zu dem passt, was wir mit YT ausdrücken möchten. So lange wir das gefühl haben, dass es an das anknüpft, was wir machen, ziehen wir es in Betracht.

Gibt es für euch eine Lieblingsveröffentlichung auf Yerevan, die eine besondere Bedeutung für euch hat?

So rhetorisch sich das anhört, wir haben keine Lieblingsveröffentlichung, da jede ihre eigene Identität und ihre spezielle Geschichte hat. Hinter jeder Aufnahme, die wir herausbringen, gibt es eine Verbindung, die so persönlich wie möglich ist, eine Verbindung zur Musik, aber auch zu den Künstlern, die sie geschaffen haben. Aus verschiedenen Gründen sind wir bislang von allen begeistert.

Artwork spielt eine große Rolle nicht nur in der Gestaltung der Tapes, sondern auch auf euren Webseiten, und es gibt dort immer eine Menge religiöser und ritueller Symbole aus verschiedenen Kulturen zu sehen. Woher kommt dieses Interesse?

Obwohl wir Einflüsse aus religiösen und künstlerischen Ausdrucksweisen verschiedener Orte und Zeiten sammeln, haben wir ein besonderes Auge für die cinematischen Resultate, die armenische Filmemacher aus der Sowietzeit erreicht hatten. Die Tatsache, dass Silvia einen Abschluss in Kulturanthropologie hat, spielt sicher eine starke Rolle in Yerevan Tapes’ ästhetischer Suche.

Könntet ihr ein paar armenische Filme nennen, die euch besonders beeindruckt haben?

Sicher. Die Kassettencover auf Yerevan kommen direkt aus einem bestimmte räumlich-zeitlichen Kontext. Und es sind nicht nur armenische Filme, auch manchmal georgische oder ukrainische; der Punkt ist, dass sie alle aus einer bestimmten Zeit und einem bestimmten Zusammenhang kommen: Die sowietischen länder der späten Siebziger und deren spezifische Kosmogonien. In der Art, wie sie die Welt präsentieren, ist etwas, das eine starke Verbindung zu unserem Label hat. Um eine Vorstellung davon zu vermitteln, nenne ich nur einige wenige, neben dem ziemlich bekannten Sergej Paradžanov und seiner großartigen Filmografie (all seine Filme sind perfekte Juwelen in einer ganz eigenen Art, v.a. “Shadows of Forgotten Ancestors” (1964) den ich sehr liebe), ich kann außerdem “Wishing Tree” (1976) von Tengiz Abuladze empfehlen sowie zwei Kurzfilme von Artavazd Pelešjan: “Inhabitants” (1970) und “Seasons” (1975).

So beantwortet sich auch schon die Frage, die ich euch als nächstes gestellt hätte. Der Name der armenischen Hauptstadt wurde nicht nur aus “exotischen” Gründen gewählt…

Wie gesagt resutierte eine erste Schwärmerei aus Silvias akademischen Studien armenischer Kultur, Sprache und vor allem Geschichte. Wir denken, der gewählte Name steht für etwas, das eine Brücke zwischen hier und dort bauen kann. Es hätte nicht zwangsläufig Yerevan sein müssen, aber in jedem Fall ein Toponym, denn wir finden, dass Ortsnamen starke und weitreichende Begriffe sind.

Experimentelle oder als psychedelisch bezeichnete Musikarten gibt es schon lange. Was denkt ihr zeichnet gerade heutige Vertreter solcher Genres aus, und was könnte der Grund sein, dass solche Musik wieder populärer geworden ist?

Vielleicht ist der starke mystische Reiz psychedelischer Musik einer der Gründe, warum sie sich nach so vielen Jahren immer noch hält. Trommeln auf tribale Art und tiefe Drones üben eine unmittelbare Macht auf unsere Seelen aus. Musikmoden kommen und gehen, aber es wird immer Raum geben, mit Klängen zu experimentieren.

Viele jüngere Psychbands beschäftigen sich heute mit esoterischen und okkulten Dingen, aber oft in Kombination mit einer spielerischen oder auch ironischen Note. Bei vielen schlägt dann gleich der Hipsteralarm, aber denkt ihr, dass solche Themen vielleicht sogar vitaler daherkommen, wenn sie nicht zu ernst angegangen werden?

Wir möchten nicht gerne als zu ernst wahrgenommen werden, aber gleichzeitig denken wir nicht, dass wir sehr ironisch mit unserer Ikonografie umgehen. Wir verbinden religiöse Symbole gerne mit zeitgenössischem Artwork, aber das ist nicht witzig gemeint. Wir suchen nur nach einem neuen Kontext für diese zeitlosen Bilder.

Wie denkt ihr über eine tag wie Italian Occult Psychedelia, der in der Presse teilweise auch für Bands von eurem Label verwendet wird?

Wir denken, dass es sich als sehr gutes Schlagwort erwiesen hat, um unterschiedliche Bands aus unterschiedlichen Stilrichtungen unter einen Hut zu bringen. Wie bei allem ist der Begriff kein perfektes Mittel, aber war sicher hilfreich dabei, den italienischen Sound von heute zu exportieren.

Hierzulande wurde immer nur punktuell über italienische Musik berichtet, auch wenn es schon immer zahlreiche Veröffentlichungen gegben hat. In den letzten Jahren hat sich das ein wenig gewandelt und die Leute bekommen Wind von der Vielzahl italienischer Musik. Habt ihr eine Idee, wie es zu diesem Wandel gekommen sein könnte?

Wir denken nur, dass das, was du sagst, unseren Standpunkt trifft. Manchmal braucht es kleine Strategien, damit Sachen besser funktionieren.

Ihr habt zuletzt ein Tape der Electronica-Producer Zone Demersale veröffentlicht. Was steht sonst noch bei Yerevan Tapes auf dem Plan? Irgendwelche neuen Entdeckungen?

Gerade vor diesem Interview haben wir eine brandneue Vinyl-12” EP namens “Porta” von dem aus der Toskana stammenden Trio Umanzuki herausgebracht. Dies ist unser letztes Release vor dem Sommer, aber wir kommen zurück mit mehr Tapes und Vinyl, nicht nur vonitalienischen Künstlern und auch mehr elektronisch orientiert.

Vielen Dank für das Interview.

(U.S.)

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