MIRCO MAGNANI / ERNESTO TOMASINI: Madame E

Georges Bataille scheint durch seine Überlegungen zur Transgression oftmals der Haus- und Hofphilosoph von den Vertretern randständiger Musik zu sein, die eher am Überschreiten von geschmacklichen als von musikalischen Grenzen interessiert sind, wobei man oftmals den Eindruck hat, die Rezeption verlaufe primär über Schlagworte und gehe nicht einmal so tief wie die Juniuseinführung – ähnlich den Neofolkern, die als Lieblingsdenker Nietsche [sic] angeben.

Der in Berlin ansässige Mirco Magnani und der wieder in London residierende Ernesto Tomasini versuchen sich an einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Werk des Franzosen und interpretieren auf „Madame E“ Batailles Kurzgeschichte „Madame Edwarda“, auf der das Libretto basiert. Dem ursprünglich unter dem Pseudonym Pierre AngéIique veröffentlichten Text hatte Bataille ein unter seinem eigenen Namen verfasstes Vorwort vorangestellt, das sich passagenweise wie ein Abriss seiner Philosophie lesen lässt: “But I invite the reader of this preface to turn his thoughts for a moment to the attitude traditionally observed towards pleasure (which, in sexual play, attains a wild intensity, an insanity) and towards pain (finally assuaged by death, of course, but which, before that, dying winds to the highest pitch).” Die eigentliche Kurzgeschichte hat dann auch eine teils halluzinatorisch-phantasmagorsiche “wilde Intensität”, wenn der Besuch des Ich-Erzählers im Bordell bei der titelgebenden Figur schließlich zu einer Reise durch die Nacht wird, in der es zu Exzess und Überschreitung kommt.

Schon auf seiner im letzten Jahr veröffentlichten Arbeit mit Sam Shackleton hatte Tomasini gezeigt, dass er in einem elektronischen Umfeld zuhause sein kann, wobei gerade das Zusammenspiel von elektronischen und akustischen Instrumenten die „Devotional Songs“ zu einem beeindruckenden Werk machte. Auf “Madame E” hat die von Mirco Magnani komponierte Musik zwar eine klar elektronische Ausrichtung, aber Cello und Klavier spielen eine tragende Rolle. Der „Prologue“ ist von einem leicht dissonanten Klavier durchzogen, eine Stimme taucht auf, Beats sind zu hören. „Absolue Souveraine“ führt dies weiter: elektronisches Pochen, Klavierpassagen und Tomasini zeigt, in welche Höhen und Tiefen sich seine Stimme begeben kann. „Dieu Dans Le Bordel“ kombiniert Cello mit dem Knistern der Elektronik und Tomasinis Falsett. Das Stück klingt geschlossener, songorientierter und gleichzeitig wesentlich getragener – verströmt eine sinnliche Schwüle und ist voller Pathos. „Sous La Voute De Saint-Denis“ oder „Les Halles“ knüpfen – was Stimmung und Instrumentierung anbelangt – daran an und gehören für mich zu den stärksten Tracks des Albums. „Folle“ dagegen ist hektischer, lässt an die Passagen des Textes denken, in denen Edwardas Körper in Spasmen zuckt. „Angelique Denudeè“ ist ein ruhiges, fast ambientes von Bläsern (?) dominiertes Stück. Der das Album abshließende „Epilogue“ ist wieder ein kontemplatives von Cello und Tomasinis Falsett geprägtes Stück, das in Lachen ausklingt. Wie heißt es bei Bataille: „Laughter is the compromise attitude man adopts when confronted by something whose appearance repels him, but which at the same time does not strike him as particularly grave.” Keine Zeilen, die dieses hervorragende Album auch nur im Ansatz beschreiben würden. (MG)

Label: Undogmatisch