ALMAGEST!: Fun House Mirrors

Als vor gut vier Jahren das erste offizielle Almagest!-Album „Messier Objects“ in den Regalen stand, hielten viele das Projekt für eine einmalige Geschichte, die lose an das von Ernesto Tomasini und Fabrizio Modonese Palumbo eingespielte Debüt „Canes Vernaci“ anknüpfte. Da nun mit Paul Beauchamp und Evor Ameisie zwei weitere umtriebige Musiker an Bord waren, sah das ganze noch mehr nach einer temporären Supergroup aus – was schade gewesen wäre, denn der experimentierfreudige Hybrid aus Gedröhne, Klangkollagen, bluesigen Rockanklängen und einem Touch von Varieté und Musical hatte doch etwas ganz eigenes und schrie geradezu nach einer Fortführung.

Just als kaum mehr jemand damit gerechnet hätte, regten sich die Lebenszeichen, und spätestens seit einem Jahr wussten alle Affizierten, dass zwischen London, Turin und Mailand die Drähte heiß laufen und etwas Neues am entstehen ist. Zusammen mit illustren Gästen – u.a. Julia Kent und Marco Schiavo (Larsen)- wurde dieses nun fertig gestellt und nennt sich „Fun House Mirrors“.

Ich will den Vergleich mit „Messier Objects“ nicht überstrapazieren, doch ganz allgemein kann man – neben dem weitgehend helleren Klangbild – feststellen, dass die auch hier wieder unberechenbare, von Brüchen und Kontrasten geprägte Abenteuerlichkeit der zerfledderten Songs eine gänzlich andere ist. Hatte man beim Vorgänger das Gefühl, dass die Band im besten Sinne destruktiv vorging und neben vertrauten Mustern auch gestandene Klassiker von Duran Duran und Jefferson Airplane zersägte und vom Kopf auf die Füße stellte, so erscheinen die neuen Stücke, gleichwohl nach wie vor kollagenhaft, wie die Konstruktion einer ganz eigenen Kunstwelt. Im Opener scheint diese, vielleicht durch Tomasinis Flüstern am Anfang, sicher aber mehr noch durch den verspielten Computersound, in den sich eigentlich unpassende Rockriffs mischen, auf die Größe eines Puppenhauses geschrumpft, in das man wie durch einen Türspion linst. Wie illusionär dieser Schauplatz ist, bemerkt man spätestens, wenn der Sänger sich als „Snake oil salesman“, als Bauernfänger und Quacksalber vorstellt.

Die besondere Kunst der fünf Tracks besteht darin, all die Kontraste dennoch harmonieren zu lassen – davon abgesehen hat aber jedes der Stücke seine ganz eigene Exzentrik: In „Lustighe Ghai“ spricht, singt und krächzt Tomasini in einer Sprache, die an das erinnert, was sich ein Fremdsprachler vielleicht unter deutsch vorstellt, und ein bisschen musste ich auch an die Interview-Passage aus „An hour with Ernesto Tomasini“ denken, in der er (nach einem besonderen Loblied auf Giuseppe Verdi) über Richard Wagner herzieht.

Die instrumentelle Kulisse aus Dröhnung, abgehackten Beats und Gitarrensoli hält sich hier noch zurück, in „Piume“, dessen Rezitation einem neorealistischen Film zur Ehre gereicht hätte, geht es schon etwas heftiger zur Sache, Noise tritt auf den Plan, gefolgt von unheimlichen, rückwärts gespielten Passagen. Wer glaubt, dass die Band hier schon in Spiellaune war, der hat das kryptisch betitelte „Nne“ noch nicht gehört, bei dem man zwischen Gedröhne und Gefrickel mit Postpunk-Echo die Orientierung verlieren könnte, bis dass das Growlen einer Bestie aus den Ritzen dringt. Ob das wirklich Tomsini ist, oder doch eher Palumbo? Der größte Trumpf wird erst zum Schluss aus dem Ärmel gezogen, denn das fast zwanzigminütige „Durch den Irrgarten hindurch“ enthält Episodenstoff für ein ganzes Album: Zwischen dem plastischen Vibrieren und dem smoothen Trompeten-Ausklang hangelt sich der Plot, in dessen Zentrum ein Vortrag über den Naturwissenschaftler Helmholtz steht, durch Easy Listening-Zitate und rituelles Pochen und Prasseln, das wohl Ameisies Handschrift trägt, durch schwebende Flächen, chaotische Brüche. Tomasini, der sich als Countertenor bislang merklich zurückhielt, zeigt hier zuguterletzt, zu wieviel Ausdrucksintensität er sich empor schwingen kann.

„Fun House Mirrors“ ist in der Tat so verwirrend wie ein Spiegelsaal, in dem man sich immer wieder vergeblich zu orientieren versucht – verwirrend auch, da sich Ernsthaftes und Hoax die Klinke in die Hand drücken und man kaum erkennt, wo das eine aufhört und das andere beginnt. Und doch wirkt alles wie eine runde Sache, die viel weniger als der Vorgänger auf Musikgeschichtliches bezogen scheint. Spätestens jetzt also sollten auch Zweifler erkennen, dass Almagest! nicht bloß ein Projekt, sondern eine Band ist. (U.S.)

Label: Backwards